Forschungsschwerpunkt „Extremistische Mädchen und Frauen“ (ExFem)

Extremismus unter Mädchen und Frauen war lange Zeit in Wissenschaft und Fachpraxis ein sowohl unterschätztes als auch unterrepräsentiertes Thema. Erst seit den 2010-er Jahren hat sich die Wahrnehmung von weiblichen Aktivistinnen verändert. Eine verstärkte fachliche Auseinandersetzung setzte damals zunächst zur Rolle von Mädchen und Frauen im Rechtsextremismus ein. Mädchen und Frauen im islamistischen Extremismus sind dagegen vor allem seit den Ausreisen junger Mädchen und Frauen in die vom sogenannten Islamischen Staat besetzten Bürgerkriegsgebiete in Irak und Syrien in den Jahren zwischen 2014 und 2019 Thema. Wenngleich sich damit der Blick auf Mädchen und Frauen in Rechtsextremismus sowie islamistischem Extremismus verändert und mit zunehmender Forschung auch der Wissensstand hinsichtlich Mädchen und Frauen im Extremismus in den zurückliegenden Jahren erweitert hat, sind nach wie vor spezifische Desiderate identifizierbar, die für eine präventiv-pädagogische Praxis handlungsrelevant sind:

Aktuelle empirische Forschungen zu Mädchen und Frauen im Rechtsextremismus

Dies betrifft (1) im Phänomenbereich Rechtsextremismus aktuelle Forschungen zu Hinwendungs-, Verbleibs- und Ausstiegsverläufen von Mädchen und Frauen sowie die dahinterstehenden Motivlagen und Kontexte. Hier gelten in der bundesdeutschen Diskussion nach wie vor empirische Forschungen aus den frühen 2000-er und 2010-er Jahren als Referenzwerke.

Im Phänomenbereich Rechtsextremismus gibt es spätestens seit den 2010-er Jahren eine fachliche Auseinandersetzung um die Verankerung von sowohl jungen-, als auch mädchenspezifischen Ansätzen in der Präventionsarbeit, und mittlerweile dürften genderspezifische Perspektiven als zumindest grundlegend verankert gelten.

Genderbezogene Ansätze in der Prävention von islamistischem Extremismus

Zum islamistischen Extremsimus wurden dagegen vor dem Hintergrund der neueren Aktualität des Phänomens zahlreiche Forschungen zu Einstiegen, Verbleiben und Distanzierungen von Islamistinnen und den Beweggründen dafür auch hierzulande forciert und somit vergleichsweise aktuelle Wissensstände generiert. Dagegen sind (2) geschlechts- und genderbezogene Aspekte einer präventiv-pädagogischen Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus bislang kaum diskutiert. Dabei sind auch islamistisch-extremistische Ideologien durch dichotome Geschlechtervorstellungen gekennzeichnet, die in ihrer vermeintlichen Klarheit bedeutsame Attraktivitätsmomente islamistisch extremistischer Akteure darstellen. Zugleich können Mädchen und Frauen auch als Teil islamistisch-extremistischer Gruppen Opfer geschlechtsbezogener Gewalt werden. Diese Genderspezifika bergen erhebliche Herausforderungen auf allen Ebenen der Präventionsarbeit. Um ihnen in der präventiv-pädagogischen Arbeit gerecht zu werden, empfehlen sich genderbezogene Ansätze, die ideologisch begründete Geschlechtskonstruktionen sowie jeweils eigene Bedarfe und Interessen von Mädchen/ Frauen aufgreifen und diese durch spezifische Ansprachen und Arbeitsmethoden adressieren. Sie stehen in der Tradition einer genderbewussten Pädagogik, die in der Arbeit mit Mädchen und Jungen für ein geschlechtsrollensensitives Arbeiten eintritt. In der Prävention von islamistischem Extremismus sind allerdings diesbezügliche praktische Implementierungen – trotz einer intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit genderspezifischen Ideologieangeboten und Geschlechtskonstruktionen – bislang eher selten. Auch eine wissenschaftlich-systematische Aufarbeitung genderspezifischer Präventionsan-sätze, die zu einer reflektierten, fachlich fundierten Verankerung entsprechender Ansätze beitragen kann, steht bislang aus.

Extremistinnen in Justizkontexten

Ein weiteres Forschungsdesiderat im Themenfeld betrifft „Extremistinnen in Justizkontexten“. Hierzu finden sich bislang nur einzelne Forschungsarbeiten, am ehesten im Phänomenbereich islamistischer Extremismus, die im Wesentlichen nach dem Zusammenbruch des sogenannten Islamischen Staats im Zuge der Inhaftierung von Rückkehrerinnen entstanden sind. Hier werden neben hinwendungs-, radikalisierungs- und abkehrprozessbezogenen Aspekten auch Fragen zur biografischen Phase nach der Rückkehr, z. B. im Kontext von Strafverfolgung oder Reintegration in die Herkunftsgesellschaft berührt. Außerdem werden in diesem Zusammenhang erste, mitunter präventive Fragestellungen, z. B. zum Umgang mit rückkehrenden ISIS-Aktivistinnen (und ihren Familien) bearbeitet. Weitere Eindrücke zur präventiv-pädagogischen Arbeit mit islamistisch-extremistischen Mädchen und Frauen finden sich punktuell in Evaluationen von Angeboten der Extremismusprävention. Insgesamt ist die vorliegende, insbesondere empirische Befundlage allerdings dürftig.

Diese benannten Forschungslücken werden von der AFS im Zuge eines Forschungsschwerpunktes zum Thema „Extremistische Mädchen und Frauen“ in mehreren Forschungsmodulen bearbeitet:

(1) Aktualisierung des Forschungsstands zu „Hinwendungs-, Verbleibs- und Ausstiegsmotivationen rechtsextremer Frauen“ mittels Literaturreview,

(2) empirisch-qualitative Fachkräftebefragung zu genderbezogenen Ansätzen in der Prävention von islamistischem Extremismus und 

(3) zweiteilige empirisch-qualitative Studie zu Erfahrungen und Lebenslagen von extremistischen Mädchen und Frauen in Justizkontexten, bestehend aus einer Fachkräftebefragung sowie einer Befragung extremistischer Mädchen und Frauen in Justizkontexte.

Sally Hohnstein, wissenschaftliche Referentin

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