Trotz einer seit Jahren rückläufigen Anzahl gewaltbedingter Todesfälle von Kindern in Deutschland liegt die Bundesrepublik hinsichtlich der Geschwindigkeit der Abnahme und des erreichten Standes nur im Mittelfeld entwickelter Industrieländer. Für nicht tödliche Formen von Kindesvernachlässigung, Kindesmisshandlung und innerfamiliärem sexuellen Missbrauch lässt sich eine zurückgehende Häufigkeit in Dunkelfeldstudien in Deutschland bislang nicht belegen (Witt u.a. 2017).

Vor diesem Hintergrund besteht Konsens, dass weitere Anstrengungen erforderlich sind, um gewaltbedingte Todesfälle noch unwahrscheinlicher zu machen und alle Formen von Kindeswohlgefährdung in ihrer Häufigkeit und ihren schädlichen Folgen zurückzudrängen. Unterstrichen wird der Bedarf an einer weiteren Verbesserung des Kinderschutzes durch Analysen fehlgeschlagener Fälle, die aus mehreren Bundesländern vorliegen. Zumindest für diese Einzelfälle konnten dabei überwiegend Möglichkeiten aufgezeigt werden, die die Chancen eines milderen oder positiveren Fallverlaufs hätten erhöhen können.

Zudem wurden im Kinderschutz in den vergangenen zehn Jahren eine Vielzahl an praxisrelevanten Studien zu verschiedenen Themen wie der Aussagekraft von Risikoeinschätzungsverfahren (van der Put u.a. 2017), der Exploration von Kindern (Lamb 2015) oder der Wirkung bestimmter Hilfen (Chaffin u.a. 2012) durchgeführt. Der Transfer neuer Erkenntnisse in die Praxis gelingt in Deutschland allerdings nur schleppend. 

Im Projekt „Qualitätsentwicklung im Kinderschutz in Baden-Württemberg“ fließen in der jugendamtlichen Praxis wahrgenommene Entwicklungsbedarfe, Lehren aus Fallanalysen und wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen. Ziel des gemeinsamen Konzepts des Deutschen Jugendinstituts, des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg und des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (Landesjugendamt) ist die praxisorientierte Weiterentwicklung der Kinderschutzverfahren in Baden-Württemberg.

Das Ziel der praxisorientierten Weiterentwicklung der Kinderschutzverfahren in Baden-Württemberg wird in drei Schritten erarbeitet. Zunächst wird die Situation des Kinderschutzes in den Jugendämtern in Baden-Württemberg mittels eines Selbstevaluationsinstrumentes erhoben und ausgewertet. Befragt werden Leitungs- und Fachkräfte der Jugendämter, die im Kinderschutz arbeiten. Die Ergebnisse der Befragung werden in Fokusgruppen mit den befragten Leitungs- und Fachkräften diskutiert und interpretiert. Jedes Jugendamt legt auf dieser Grundlage bis zu drei Qualitätsentwicklungsbedarfe fest.

In einem nächsten Schritt werden schriftliche Analysen des Forschungsstandes zu ausgewählten Themen im Kinderschutz erarbeitet. Das Deutsche Jugendinstitut erstellt für bis zu drei von den Jugendämtern benannten Qualitätsentwicklungsbedarfen jeweils eine Expertise. In den Expertisen wird der aktuelle Forschungsstand zum jeweiligen Themenfeld aufbereitet. Auf dieser Grundlage werden Empfehlungen für die lokale Weiterentwicklung des Kinderschutzes gegeben. Die Expertisen werden in einem Vor-Ort-Termin pro Amt vorgestellt und erläutert.

Abschließend werden die aggregierten Daten der oben genannten Befragung aufbereitet und ausgewertet. Zudem werden in dem schriftlichen Bericht die aggregierten Entwicklungsbedarfe erörtert und Empfehlungen für Qualitätsentwicklungsmaßnahmen auf Landesebene abgeleitet.

Chaffin, Mark/Hecht, Debra/Bard, David/Silovsky, Jane F./Beasley, William H. (2012): A statewide trial of the SafeCare home-based services model with parents in Child Protective Services. In: Pediatrics, 129. Jg., H. 3, S. 509–515

Lamb, Michael E. (2015): Toward developmentally aware practices in the legal system. Progress, challenge, and promise. In: American Psychologist, 70. Jg., H. 8, S. 686–693

van der Put, Claudia E./Assink, Mark/van Boekhout Solinge, Noëlle F. (2017): Predicting child maltreatment. A meta-analysis of the predictive validity of risk assessment instruments. In: Child Abuse & Neglect, 73. Jg., S. 71–88

Witt, Andreas/Brown, Rebecca C./Plener, Paul L./Brähler, Elmar/Fegert, Jörg M. (2017): Child maltreatment in Germany. Prevalence rates in the general population. In: Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health, 11. Jg., H.1, S. 47

Am 14.07.2021 stellten Frau Eppinger und Frau Kadera Ergebnisse des Projekts im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Familie am Mittag" der Abteilung Familie und Familienpolitik des DJIs vor.

Die Folien finden Sie hier.

Kontakt

+49 89 62306-245
Deutsches Jugendinstitut
Nockherstr. 2
81541 München