Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)
Der flächendeckende Ausbau von Ganztagsschulen wurde insbesondere durch das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (2003 bis 2009) des Bundes und durch verschiedene Programme in den Ländern angestoßen und massiv gefördert. Mit dem Ausbau waren zahlreiche Erwartungen und Ziele verbunden, u.a. Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bessere individuelle Förderung für alle Schülerinnen und Schüler, Abbau von herkunftsbedingter Bildungsungleichheit (Rekus 2005).
StEG ist ein Forschungsprojekt in Kooperation des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), des Deutschen Jugendinstituts (DJI), des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Technischen Universität Dortmund sowie der Justus- Liebig-Universität Gießen, das die Entwicklung von Ganztagsschulen und deren Wirkungen seit 2005 wissenschaftlich begleitet und evaluiert.
Weitere Informationen und Ergebnisse der vorangegangenen Projektphasen erhalten Sie auch unter www.projekt-steg.de
In der ersten Förderphase (2005-2011) lag der Fokus der durchgeführten Untersuchungen zum einen auf schulischen Prozessen und Entwicklungen, die an Schulen mit der Einführung und Institutionalisierung des Ganztagsbetriebs durchlaufen werden. Zum anderen sollten individuelle Wirkungen bzw. Entwicklungsverläufe durch die Inanspruchnahme von Ganztagsangeboten bei den Schüler/-innen untersucht werden.Während im europäischen Raum zu diesem Zeitpunkt nur wenig über die Bildungsqualität von außerunterrichtlichen Angeboten bekannt war, gab die US-amerikanische Forschung eine Reihe von Hinweisen auf positive Effekte der Teilnahme (Feldman/Matjasko 2005).
Es wurde ein integrierender Forschungsansatz gewählt, der Untersuchungen im Zeitverlauf auf unterschiedlichen strukturellen Ebenen und aus der Perspektive verschiedener Personengruppen ermöglicht: Bundesweit wurden über 300 Ganztagsschulen im Längsschnitt untersucht. Dazu wurden Schulleitungen Schüler/-innen der Jahrgangsstufen 3, 5, 7 und 9 sowie deren Eltern schriftlich befragt, alle Lehrkräfte und das weitere dort pädagogisch tätige Personal sowie die Kooperationspartner.
In der zweiten Förderphase (2012-2015) wurde das bundesweit repräsentative Systemmonitoring eingeführt, dass seit 2012 alle drei Jahre durchgeführt wird, um Veränderungen der Ganztagsschullandschaft zu beobachten. Zusätzlich verantwortete jeder der Konsortialpartner Teilstudien, die die Wirkung der Ganztagsteilnahme auf Kinder und Jugendliche vertiefter als in der ersten Förderphase in den Blick nahmen. Hintergrund hierfür war die auf Basis neuerer Studien begründete Annahme, dass insbesondere die Qualität der Ganztagsangebote für die Wirksamkeit der Teilnahme entscheidend sei (Shernoff 2010). Das DJI führte die Teilstudie StEG-A „Stabilisierung von Bildungsverläufen durch die Ganztagsschule“ durch. Zentrales Ziel hierbei war es, den Einfluss der Inanspruchnahme von außerunterrichtlichen, insbesondere von Ganztagsangeboten auf den schulischen Erfolg, der Herausbildung von Bildungsaspirationen und der Bewältigung des Übergangs am Ende der Schulzeit systematisch zu prüfen.
Hierzu wurden Schüler/-innen in Abschlussklassen von Hauptschul- oder Realschulbildungsgängen sowie einmalig auch die Schulleitungen befragt. Dabei wurden die Schulbiografien mit Fokus auf den Ganztag rückblickend erhoben und die betroffenen Schüler/-innen nach deren Schulabschluss weiterhin begleitet.
In der dritten Förderphase (2016-2019) wurde das Systemmonitoring weitergeführt. Darüber hinaus führten die Konsortialpartner zum übergreifenden Thema "Individuelle Förderung" Teilstudien zu spezifischen Fragestellungen durch, da die eigenen Befunde und andere Untersuchungen gezeigt hatten, dass diese zentrale Erwartung an Ganztagsschule noch unzureichend eingelöst wurde (z.B. Killus/Tillmann 2014). Am DJI wurde unter dem Titel „Ganztagsbildung aus Sicht von Schulkindern und ihren Eltern“ (StEG-Bildungsorte) der Frage nachgegangen, ob Ganztagsschulen den Erwartungen von Familien an individuelle Förderung entsprechen, inwieweit Ganztagsschulen Teil von familialen Bildungsstrategien sind und die Erwartungen erfüllt werden.
Hierfür wurde der Blick auf Ganztagsschule gezielt erweitert, indem auch Schüler/-innen an Halbtagsschulen und deren Eltern in die Untersuchung einbezogen wurden, um den spezifischen Ertrag der Ganztagsschule herausarbeiten zu können. Daher sollte der Zugang zu den Befragten in StEG-Bildungsorte zum ersten Mal direkt und nicht indirekt über Bildungsinstitutionen hergestellt werden. Die Befragungen von Schüler/-innen und deren Eltern fanden in den Frühjahren 2017 und 2018 als telefonische Interviews statt. Grundlage für die Stichprobe war der DJI-Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A). Für StEG-Bildungsorte sollten Kinder und Jugendliche aus AID:A erreicht werden, die bei der ersten StEG-Erhebung zwischen 8 und 14 Jahre alt waren. Die Eltern wurden darum gebeten, Auskünfte zur Schule, zum Haushalt, zur Familiensituation und zu den Bildungsplänen zu erteilen. Ein Teil der Schüler/-innen hat nach der Follow-Up-Erhebung den Wechsel an eine allgemeinbildende Schule vollzogen.
Erste Förderphase (2005-2011)
Zwischen 2005 und 2009 haben die Ganztagsschulen die Zahl und Vielfalt ihrer Angebote ausgebaut. Allerdings zeigt sich, dass im Vergleich zu Freizeitangeboten Fach- und Förderangebote weniger verbreitet sind und auch geringere Teilnahmequoten verzeichnen. Dieses Ergebnis spiegelt sich in den Angaben der Eltern wider, die insgesamt mit der Ausstattung und Organisation des Ganztags zufrieden sind, sich aber deutlich eine bessere individuelle Förderung erhoffen als sie bislang vorfinden.
Das umfassende Ganztagsangebot wird in der Regel durch eine Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern realisiert, wobei die meisten Kooperationen in den Bereichen Sport, Kinder- und Jugendhilfe und kulturelle Bildung zu finden sind.
Ein weiteres bedeutsames Ergebnis aus der ersten StEG-Phase zeigt sich hinsichtlich der hohen Teilnahmeselektivität an den Angeboten. Besonders im Primarbereich nehmen weniger Kinder mit Migrationshintergrund bzw. Kinder aus sozial benachteiligten Familien an Ganztagsangeboten teil. Im Sekundarbereich ist die Verteilung hinsichtlich des sozioökonomischen Status der Familie ausgeglichener. Auch das Alter der Kinder und Jugendlichen zeigt sich als entscheidend für die Teilnahme an Angeboten, da besonders die jüngeren Schüler/-innen die Ganztagsangebote wahrnehmen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Bedeutung von Betreuungs- und Bildungsangebote für erwerbstätige Eltern von jüngeren Kindern am höchsten ist und mit steigendem Alter der Kinder an Relevanz verliert.
Darüber hinaus lieferte die Studie Belege für die Wirksamkeit der Teilnahme an den Ganztagsangeboten. So zeigte sich, dass bei regelmäßiger, dauerhafter Teilnahme und hoher Qualität der Angebote die Schulfreude gesteigert, das Sozialverhalten und die Schulnoten verbessert sowie die Gefahr der Klassenwiederholung verringert werden kann.
Zweite Förderphase (2012-2015)
Das Systemmonitorings der zweiten Förderphase konnte anhand mehrerer Faktoren veranschaulichen, in welcher Weise Ganztagsangebote landes- und schulformspezifisch konzipiert, ausgestaltet und genutzt werden. Beispielsweise sind in den ostdeutschen Bundesländern die Teilnahmequoten höher, die Tagesöffnungszeiten länger und die konzeptionellen Ziele stärker auf die „Erweiterung der Lernkultur“ sowie auf „Kompetenzorientierung und Begabungsförderung“ gerichtet als in den westdeutschen Ländern. Weiterhin ist die Angebots- und Tagesstruktur in Gymnasien stärker fachbezogen und unterrichtsorientiert als an anderen Schulen der Sekundarstufe I. Die Daten deuten ebenso darauf hin, dass einige Schulen ihre Möglichkeiten als Ganztagsschulen nicht ausschöpfen, indem sie zu wenig den Schulalltag rhythmisieren, die Lernkultur anreichern, thematische Schwerpunkte setzen oder kompetenzorientierte Lernangebote anbieten.
Bericht "Ganztagsschule 2012/2013"
Bericht "Ganztagsschule 2014/2015"
Scientific-Use-Files zum StEG-Systemmonitoring
Mit den Untersuchungen der einzelnen Teilstudien konnten einerseits Ergebnisse aus der ersten Phase bestätigt werden, da sich in der Befragung wiederum ergab, dass die Teilnahme am Ganztag zu einer Verbesserung der Schulnoten führen kann - besonders dann, wenn die Nutzung über mehrere Jahre hinweg erfolgte. Andererseits konnten neue Erkenntnisse gewonnen werden, beispielsweise dass auch die Art der genutzten Angebote eine Rolle hinsichtlich der Schulnoten spielt: Insbesondere die Teilnahme an leistungs- bzw. fachbezogenen, aber auch an musischen und sozialen Angeboten geht mit einer positiven Entwicklung einher. Es zeigt sich jedoch auch, dass die Teilnahme an fachbezogenen Angeboten nicht mit einer Steigerung der entsprechenden Fachkompetenzen einhergeht.
Zentrales Ergebnis der DJI-Teilstudie StEG-A „Stabilisierung von Bildungsverläufen durch die Ganztagsschule“ ist, dass die Teilnahme an Ganztagsangeboten für verschiedene Schüler/-innen mit unterschiedlichen Zielen und Wirkungen verbunden ist. Während leistungsstarke Schüler/-innen aus Realschulzweigen die Angebote zur Umsetzung von höheren Bildungsaspirationen zu nutzen scheinen, nehmen Schüler/-innen aus Hauptschulbildungsgängen eher an den Ganztagsangeboten teil, um ihren Leistungstand zu wahren oder den Schulabschluss zu erreichen. Für einen gelungenen Übergang spielen für diese Gruppe jedoch stärker Berufsorientierungsangebote eine positive Rolle als Ganztagsangebote.
Dritte Förderphase (2016-2019)
Die Auswertungen der dritten Erhebung des Systemmonitorings im Schuljahr 2017/18 ergaben, dass viele Aspekte der Ganztagsschulen stabil geblieben sind: die Organisationsstrukturen, das vielfältige Angebotsspektrum, die Teilnahmequoten. Im Detail lassen sich jedoch interessante Veränderungen feststellen, die einer weiteren Aufmerksamkeit bedürfen. Nach Angaben der Schulleitungen verändern sich die pädagogischen Zielsetzungen des Ganztags: Motive einer erweiterten Lernkultur oder der Begabungsförderung verlieren schulformübergreifend an Bedeutung. Ebenso nimmt eine Verbindung von Angebot und Unterricht weiter ab. Gleichzeitig fällt die Bewertung der personellen und räumlichen Ausstattung durch die Schulleitungen schlechter aus als in den Jahren zuvor (außer an Gymnasien). Als größtes Problem für die Weiterentwicklung der Schulen wird die Rekrutierung von geeignetem zusätzlichem Personal genannt. Daher bleibt kritisch zu beobachten, inwieweit das mit Ganztagsschulen verbundene Ziel einer qualitativ hochwertigen Bildung und Förderung in Zukunft Bestand haben wird.
Bericht "Ganztagsschule 2017/2018"
Scientific-Use-Files zum StEG-Systemmonitoring
Die Teilstudie StEG-Bildungsorte hat diverse Teilfragestellungen untersucht. An dieser Stelle ist für jede Perspektive (Eltern, Kinder, Jugendliche) exemplarisch ein zentrales Ergebnis dargestellt:
(1) Aus Sicht der Eltern spielt der Ganztag bei der Suche nach einer passenden weiterführenden Schule für ihr Kind nur eine untergeordnete Rolle. Wird die zukünftige Schule des Kindes kein Gymnasium sein, ist ein Ganztagsangebot in der Sekundarstufe jedoch für ein gutes Drittel der Eltern wichtig. Gleichzeitig ist hiermit in dieser Elterngruppe der Wunsch nach individueller Förderung in Form eines gezielten Eingehens auf Stärken und Schwächen der Kinder verbunden.
(2) Aus Sicht der Kinder überwiegt die Vorfreude auf die neue Schule gegenüber den Sorgen. Dabei ist es weitestgehend ohne Bedeutung, ob es sich bei der geplanten Schule um eine Ganz- oder Halbtagsschule beziehungsweise um ein Gymnasium oder eine andere Schulform handelt. Zukünftige Ganztagsschülerinnen und -schüler sind jedoch stärker besorgt, dass sie im Unterricht nicht mitkommen werden oder dass zu viel von ihnen verlangt wird. Rückblickend bewerten Ganztagsschülerinnen und -schüler im Vergleich zu Kindern an Halbtagsschulen den Übergang jedoch häufiger als leichter als gedacht, und zwar unabhängig von der Schulform.
(3) Aus Sicht der Jugendlichenzeigen Ganztagsschülerinnen und -schüler eine bessere Entwicklung prosozialen Verhaltens als Nicht-Teilnehmende, während sich vergleichbare Effekte für Mathematik-Noten nicht zeigen. Allerdings hängt eine bessere Mathematik-Note mit der Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften oder Förderkursen zusammen, nicht aber mit generellem Besuch des Ganztagsbetriebs. Im Bereich non-formaler Bildung werden Kompensationseffekte durch Ganztagsschulbesuch bei sportlichen Aktivitäten erkennbar, da ganztagsschulische Sportmöglichkeiten bei Ganztagsteilnahme hier sozialschichtspezifische Unterschiede ausgleichen. Die herkunftsspezifische Teilhabe an organisierten Musikaktivitäten bleibt hingegen stabil, weil sie stark vom kulturellen Kapital der Familien abhängig ist und somit die Ganztagsschulteilnahme die herkunftsbedingten Differenzen nicht verändert.
Broschüre "Individuelle Förderung: Potenziale der Ganztagsschule"
Feldman, Amy F./Matjasko, Jennifer L. (2005). The Role of School Based Extracurricular Activities in Adolescent Development: A Comprehensive Review and Future Directions. In: Review of Educational Research, 75. Jg., H. 2, S. 159-210
Killus, Dagmar/Tillmann, Klaus J. (Hrsg.) (2014): Eltern zwischen Erwartungen, Kritik und Engagement – Ein Trendbericht zu Schule und Bildungspolitik in Deutschland. Münster
Rekus, Jürgen (2005): Theorie der Ganztagsschule – praktische Orientierungen. In: Ladenthin, Volker/Rekus, Jürgen (Hrsg.): Die Ganztagsschule. Alltag, Reform, Geschichte, Theorie. Weinheim/München, S. 279-297
Shernoff, David J. (2010): Engagement in After School Programs as a Predictor of Social Competence and Academic Performance. In: Journal of Community Psychology, 45. Jg., H. 3-4, S. 325-337