Straßenjugendliche in Deutschland
– eine Erhebung zum Ausmaß des Phänomens
Nach wie vor scheint eine Gruppe von Jugendlichen zu existieren, die über einen bestimmten Zeitraum auf der Straße lebt oder zumindest keinen festen Wohnsitz hat. Eine allgemeingültige Definition von Straßenjugendlichen gibt es allerdings nicht, da immer wieder über den Geltungsbereich des Begriffs diskutiert wird. Dies ergibt sich vor allem aus der schwierigen Abgrenzung des Gegenstandsbereichs sowie aus der schwere Erreichbarkeit der Gruppe, z.B. dadurch, dass sich Betroffene im Stadtbild nicht immer eindeutig identifizieren lassen (Fernandes 2014, S. 330), zunehmend aus dem öffentlichen Raum vertrieben werden (Simon 2006, S. 162f.) oder, vor allem wenn sie irgendwo untergekommen sind und nicht direkt auf der Straße leben, oft gänzlich unsichtbar bleiben. Aufgrund der fehlenden Definition ist es schwierig, den Umfang dieser Gruppe quantitativ zu erfassen. Es besteht hier ein Dunkelfeld, das sich angesichts der kümmerlichen Datenlage einer Quantifizierung weitgehend entzieht.
Genaue Daten zur Anzahl von Straßenjugendlichen liegen für Deutschland demnach nicht vor. Um dem durchaus berechtigten Anliegen von Politik, Fachpraxis, aber auch der Wissenschaft, Informationen über das quantitative Ausmaß des Phänomens Straßenjugendliche, nachkommen zu können, wurde mit diesem Projekt eine entsprechende Erhebung mit der Zielsetzung der Quantifizierung des Phänomens durchgeführt.
Die Studie gliederte sich in zwei Phasen. In einem ersten Schritt wurde sich im Sinne einer Dunkelfeldforschung mittels quantitativen methodischen Vorgehens der Gruppe der Straßenjugendlichen angenähert, in dem Betroffene selbst zu ihrer Lebenssituation befragt wurden. Im anschließenden zweiten Schritt wurde eine Befragung von Fachkräften kommunaler und freier Träger durchgeführt, auf deren Grundlage das Ausmaß an Straßenjugendlichen in Deutschland geschätzt wurde.
Die Erhebung der 1. Phase fand in drei Großstädten - Berlin, Hamburg und Köln - mittels quantitativer persönlicher Befragungen statt. Von Interesse waren dabei sowohl Jugendliche und junge Erwachsene, die zum Befragungszeitpunkt (zumindest zeitweise) auf der Straße lebten, als auch ehemalige Straßenjugendliche. Über den Zeitraum der zurückliegenden zwei Jahre wurden verschiedene Informationen zu Straßenkarrieren erfasst. Zugänge bildeten dabei Hilfseinrichtungen und typische Anlaufstellen für Straßenjugendliche. Die Durchführung der Fragebogenerhebung erfolgte mit Hilfe von Studentinnen und Studenten einer in den Untersuchungsstandorten vorhandenen Universität bzw. Fachhochschule.
Auf Basis der in der quantitativen Dunkelfeldstudie gewonnenen Erkenntnisse über die Gruppe der Straßenjugendlichen schloss sich im zweiten Schritt die Erfassung von Daten zum quantitativen Ausmaß des Phänomens bei den entsprechenden Fachkräften an. Diese wurden ebenfalls quantitativ mittels eines Onlineinstruments befragt. Ziel war es, auf Grundlage der Einschätzung der Fachkräfte das Ausmaß an Straßenjugendlichen in Deutschland zu bestimmen.
Die Ergebnisse der beiden Erhebungen wurden in zwei getrennten, jedoch aufeinander aufbauenden Berichten veröffentlicht.
Fernandes, Karina (2014): Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlicher Sicherheitsorientierung und den Straßenkarrieren Jugendlicher und junger Erwachsener. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie. 39, S. 325-340
Simon, Titus (2006): Jugendliche auf der Straße. In: Witte, Matthias D./Sander, Uwe (Hrsg.): Erziehungsresistent? „Problemjugendliche“ als besondere Herausforderung für die Jugendhilfe. Baltmannsweiler, S. 153-167