In Nordrhein-Westfalen erfolgte 2014 im Rahmen der Revision des Kinderbildungsgesetzes eine Neuausrichtung der sprachlichen Bildung in den Kitas. Für die Implementierung alltagsintegrierter Sprachbildung wurden mehrere Maßnahmen eingeleitet, unter anderem die zusätzliche finanzielle Förderung von Kitas mit besonderem Unterstützungsbedarf, d. h. mit einem hohen Anteil an Kindern mit besonderem Sprachförderbedarf und/oder aus sozial und bildungsbenachteiligten Familien.

Im Projekt "Sprachbildung und -entwicklung im Kita-Alltag" (SEIKA-NRW) werden die in Nordrhein-Westfalen unternommenen Anstrengungen zur Implementierung der alltagsintegrierten Sprachbildung im Elementarbereich evaluiert und die Bedingungen einer wirksamen frühen Sprachbildung erforscht.

Ungenügende Kenntnisse in der Bildungssprache eines Landes gehen mit eingeschränkter Bildungsteilhabe und geringerem Bildungserfolg einher. Der sprachlichen Förderung im Elementarbereich wird somit eine zunehmend wichtige Rolle zugeschrieben (Schneider u.a. 2012). Studien zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem (frühzeitigen) Besuch frühkindlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen und dem sprachlichen Entwicklungsstand von Kindern (Sylva u.a. 2004). Besonders Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus sozial und bildungsbenachteiligten Familien profitieren von frühkindlicher Bildung und Betreuung mit einer hohen Qualität (Beckh u.a. 2014). Der sich hieraus ergebende Handlungsauftrag wurde auf politischer Ebene erkannt.

Im Bundesland Nordrhein-Westfalen erfolgte 2014 eine Revision des Kinderbildungsgesetzes, die mit einer Neuausrichtung der sprachlichen Bildung in den Kitas einherging. Erklärtes Ziel der Landesregierung ist die Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder von Anfang an. Im Zuge dieser Revision wurde beschlossen, dass Sprachförderung in Kitas nicht mehr primär in zeitlich begrenzten Einheiten mit einer selektiven Gruppe von Kindern stattfinden, sondern als alltagsintegrierte Sprachbildung den gesamten pädagogischen Alltag durchdringen soll. Zudem werden seither als flankierende Maßnahme zusätzliche finanzielle Mittel an Kitas mit besonderen Bedarfslagen verteilt (MFKJKS 2014). Ziel des Projekts SEIKA-NRW ist es, diese Neuausrichtung wissenschaftlich zu begleiten sowie die Bedingungen und Wirkungen der Sprachbildungsmaßnahmen zu beforschen.

In der ersten Projektphase wurde im Rahmen eines Verbundprojekts mit der Ruhr-Universität Bochum (RUB; Projektleitung: Prof. Dr. Birgit Leyendecker) und mit Unterstützung durch den Forschungsverbund DJI/TU Dortmund eine systematische Wirkungsevaluation der Maßnahmen angestoßen. Hauptaugenmerk lag hier auf der zusätzlichen finanziellen Förderung von Kitas. Die Studie wurde in zwei Projektteilen durchgeführt:

Im Projektteil des DJI wurde in der ersten Projektphase die Verteilung und Verwendung der zusätzlich bereitgestellten finanziellen Mittel für Kitas mit besonderem Unterstützungsbedarf (plusKITAs) und für Kitas mit zusätzlichem Sprachförderbedarf untersucht. Diese Mittel wurden unter anderem unter Verwendung sozialraumbezogener Indikatoren an die Jugendämter verteilt; diese wiederum übernahmen die Verteilung an Kitas im jeweiligen Jugendamtsbezirk. Ziel war es zu klären, wie plusKITAs und Kitas mit zusätzlichem Sprachförderbedarf ausgewählt werden, wie die Mittel auf die einzelnen Einrichtungen verteilt werden, ob die Mittel in den Einrichtungen ankommen, für die sie gedacht sind, und wie die Mittel in den Einrichtungen verwendet werden. Des Weiteren wurde die Umsetzung der alltagsintegrierten Sprachbildung in den Einrichtungen beleuchtet.

Die Untersuchung erfolgte in vier Schritten: 1) Zunächst wurden Interviews mit elf Jugendämtern durchgeführt. So ließen sich Kriterien und Strategien der Mittelverteilung auf Ebene der Jugendämter identifizieren. 2) Um die Mittelverwendung auf Einrichtungsebene sowie die Umsetzung der sprachlichen Bildung zu untersuchen, wurden zweimalig (im Abstand von einem Jahr, um eventuelle Veränderungen erfassen zu können) Interviews mit 27 Kita-Leitungen durchgeführt. 3) Diese wurden ergänzt um eine groß angelegte quantitative Online-Befragung auf Kita-Ebene, an der 1.679 Kita-Leitungen teilnahmen sowie 4) um eine ebenfalls groß angelegte quantitative Online-Befragung auf Trägerebene mit 457 Teilnehmenden.

Ziel der quantitativen Erhebungen war es, auf einer breiten empirischen Basis deskriptive Untersuchungen (z. B. Schätzung von Verteilungen in Kitas in NRW in Abhängigkeit von der zusätzlichen finanziellen Förderung) vorzunehmen und Hypothesen entsprechend der obern genannten Fragestellungen zu überprüfen. Die qualitative Erhebung dagegen zielte auf die Vertiefung, Anreicherung und Triangulation der gewonnenen Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Datenerhebungen ab.

Im Projektteil des Kooperationspartners RUB ging es in einem ersten Schritt um die Erfassung des Sprachentwicklungsstands der Kinder im Elementarbereich. Hierfür wurde eine querschnittliche Erhebung mit einer repräsentative Stichprobe von ca. 2.300 Kindern im Alter zwischen zwei und sechs Jahren durchgeführt. Dabei wurde auch untersucht, inwiefern ein Zusammenhang zwischen Sprachentwicklungsstand und Dauer des Kita-Besuchs besteht. Zudem wurde die Einschätzung der pädagogischen Fachkräfte zum Sprachförderbedarf der Kinder überprüft.

In einem zweiten Schritt wurde vom Kooperationspartner RUB eine Längsschnittstudie mit einer repräsentativen Stichprobe von ca. 1.000 Kindern, welche sich zu gleichen Teilen auf zwei Interventionsgruppen (Einrichtungen mit zusätzlichen finanziellen Mitteln) und eine Kontrollgruppe (Einrichtungen ohne zusätzliche finanzielle Mittel) verteilten, durchgeführt. Diese Längsschnittstudie startete im Frühjahr 2016 mit Erhebungen an einer Kohorte zweijähriger Kinder. 2017 und 2018 folgten zwei weitere Erhebungswellen. Ziel dieser Längsschnittstudie war die Untersuchung des Wirkungszusammenhangs zwischen einer alltagsintegrierten Sprachbildung in der Kita und der Sprachentwicklung der Kinder im Zusammenhang mit der zusätzlichen finanziellen Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen.

In der zweiten Projektphase steht die Identifikation von Gelingensfaktoren effektiver Sprachbildungsmaßnahmen im Vordergrund. Hierzu liegen für den deutschen Sprachraum bislang wenige gesicherte Erkenntnisse vor (Egert/Hopf 2016). Daher soll nun anhand der bisher erhobenen Daten der ersten Projektphase geklärt werden, wie es manchen Kitas durch Sprachbildung gelingt, Kindern mit herkunftsbedingt ungünstigen Voraussetzungen zu einer besonders positiven Sprachentwicklung im Deutschen zu verhelfen, und welche Faktoren auf Ebene der Kita/Kitagruppe hierfür förderlich bzw. hemmend sind. Im Sinne der Qualitätsentwicklung und -sicherung ist ein weiteres Ziel der zweiten Projektphase die Identifikation und Beschreibung sinnvoller Verteilungsstrategien und gelingender Steuerungsprozesse hinsichtlich der zusätzlichen finanziellen Förderung.

Schwerpunkt der zweiten Projektphase ist die vertiefte und verknüpfte Auswertung der Daten aus der ersten Projektphase, die auf unterschiedlichen Ebenen sowie anhand unterschiedlicher Erhebungsverfahren vorliegen. Für die Auswertungen im Rahmen der zweiten Projektphase erfolgt zum einen eine Integration der Daten aus unterschiedlichen Erhebungsperspektiven, die in der ersten Projektphase durch das DJI realisiert wurden. Zum anderen werden die vom Projektteam des DJI erhobenen Daten mit den vom Kooperationspartner RUB erhobenen Daten zusammengeführt. Die Fragestellungen der zweiten Projektphase werden dann anhand von (zum Teil kombinierten) quantitativen und qualitativen Datenauswertungen betrachtet. Bei dieser Auswertungsmöglichkeit der verknüpften Datensätze handelt es sich um ein Multiple Source (unterschiedliche Erhebungsdaten wie Test-, Beobachtungs-, Fragebogen- und Interviewdaten) und Multilevel (unterschiedliche Erhebungsebenen wie Jugendamt, Träger, Kita, Kitagruppe, Kind, Eltern) Design. Dies deckt ein breites Spektrum ab und birgt damit ein großes und belastbares Aufklärungspotenzial.

Beckh, Kathrin/Mayer, Daniela/Berkic, Julia/Becker-Stoll, Fabienne (2014): Der Einfluss der Einrichtungsqualität auf die sprachliche und sozial-emotionale Entwicklung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. In: Frühe Bildung, 3. Jg., H. 2, S. 73–81

Egert, Franziska/Hopf, Michaela (2016): Zur Wirksamkeit von Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen in Deutschland. Ein narratives Review. In: Kindheit und Entwicklung, 25. Jg., H. 3, S. 153–163

Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (MFKJKS) (2014): Alltagsintegrierte Sprachbildung und Beobachtung im Elementarbereich – Grundlagen für Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf. https://www.kita.nrw.de/fachkraefte-fachberatung/sprachliche-bildung (12.12.2018)

Schneider, Wolfgang/Baumert, Jürgen/Becker-Mrotzek, Michael/Hasselhorn, Marcus/Kammermeyer, Gisela/Rauschenbach, Thomas/Roßbach, Hans-Günther/Roth, Hans-Joachim/Rothweiler, Monika/Stanat, Petra/Schmiedeler, Sandra/Chilla, Solveig (2012): Expertise „Bildung durch Sprache und Schrift (BISS)“. Berlin

Sylva, Kathy/Melhuish, Edward/Sammons, Pamela/Blatchford, Iram Siraj/Taggart, Brenda (2004): The Effective Provision of Pre-school Education (EPPE): final report. A longitudinal study funded by the DfES 1997-2004. Annesley

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