Das Forschungsprojekt „Familienwohnen in Gemeinschaft und Nachbarschaft“ (FaGeNa) ist Teil des interdisziplinären Forschungsverbunds „Familienleben in Bayern – empirische Einsichten zu Transformationen, Ressourcen und Aushandlungen (ForFamily). Zusammen mit dem Lehrstuhl für Urban Design an der Technischen Universität München (TUM)beforscht das DJI Praktiken und Ressourcen des Familienwohnens und Familienalltags am Beispiel gemeinschaftlicher und nicht gemeinschaftlicher Wohnformen und deren Einbettung in Quartier und Nachbarschaft.

Hintergrund des Projekts

Infolge des demografischen Wandels, steigender Frauen- und insbesondere Müttererwerbstätigkeit, veränderter Geschlechterverhältnisse sowie einer wachsenden Zahl multilokaler Mehrgenerationenfamilien sind Familien bei der Erfüllung ihrer Fürsorgeaufgaben zunehmend auf tragfähige und lokal verankerte soziale Netzwerke angewiesen, die über die Kernfamilie hinausreichen. Die Bedingungen des Wohnens werden dabei nicht zuletzt durch die aktuelle Wohnungskrise für das familiale Zusammenleben immer bedeutsamer.

Sowohl aufgrund von Bildungsmobilität als auch aufgrund veränderter Lebensstile von Senior:innen stehen unterstützende Großeltern als Care-Ressource vor Ort oftmals nicht mehr selbstverständlich zur Verfügung. Auch wachsende Ansprüche und Anforderungen an Elternschaft tragen dazu bei, dass das Doing Family (Jurczyk 2020) anspruchsvoller wird und Familien zunehmend auf kooperative, entlastende Strukturen im Nahraum angewiesen sind.

Gleichzeitig differenzieren sich familiale Wohnbedürfnisse aus.Formen des Familienwohnens wandeln sich. Gemeinschaftliches Wohnen wird vor diesem Hintergrund als Experimentierfeld der Transformation von Care-Arbeit (Spellerberg 2021) und nachhaltiger Lebensführung (Görgen 2021) beschrieben. Zudem bergen gemeinschaftliche Wohnformen ein Potenzial wohn- und stadträumlicher Transformationen (Tummers 2016).

Gemeinschaftliche Wohnformen sind sehr vielfältig und differenzieren sich bezüglich ihrer Größe, der Rechts- und Bauform sowie dem Selbstverständnis und dem Grad der Gemeinschaftlichkeit und der Selbstorganisation weiter aus. Im Rahmen des Projekts werden sie als Formen längerfristigen und selbstbestimmten gemeinschaftlichen Zusammenwohnens über familiale oder verwandtschaftliche Bezüge hinaus verstanden, bei denen private Wohnräume durch gemeinschaftliche Räume bzw. Freiflächen ergänzt werden und bei denen die Bewohner:innen im Rahmen der Selbstorganisation (mit-)bestimmen können (Roller/Eck 2022; Abt/Pätzold 2017).

Fokus und Fragestellung des Projekts

Anknüpfend an die Vorarbeiten im Projekt „Familien in gemeinschaftlichen Wohnformen“ (FageWo) thematisiert das interdisziplinäre Projekt FaGeNa die Verschränkungen von familialen Alltags- und Wohnpraktiken mit wohn-und stadträumlichen Transformationen. Es wird der Frage nachgegangen, ob und wenn ja wie Formen gemeinschaftlichen Wohnens das Familienwohnen und den Familienalltag in sozialer und (stadt-)räumlicher Hinsicht verändern und sozial-ökologische Transformationen des Wohnens abbilden. Damit verbindet das Projekt Ansätze der Familien-, Wohn- und Stadtforschung sowie der Nachhaltigkeitsforschung; eine Schnittstelle, die bislang noch wenig Beachtung in Forschung, Politik und Praxis gefunden hat.  Hier setzt das DJI-Projekt an, indem es wohnform- und sozialraumsensibel soziale Bedingungen und Aushandlungen von Familien daraufhin untersucht, ob und inwieweit sie erweiterte Unterstützungsnetzwerke und Formen nachhaltiger Lebensführung hervorbringen.

Die Fragestellung wird anhand von drei Aspekten analysiert:

  1. Praxis der Care-Arbeit
  2. Formen nachhaltiger Lebensführung
  3. Nachbarschafts- und Quartiersentwicklung

Das DJI-Projekt fokussiert dabei schwerpunktmäßig zwei Aspekte: Erstens wird die Organisation von Care-Arbeit zwischen Geschlechtern und Generationen sowie in familialen wie in wahlverwandtschaftlichen Konstellationen in Bezug auf die Entstehung erweiterter Familiennetzwerke beforscht. Konzeptionell wird dabei zwischen personen- und wohnprojektbezogenem Caring (Roller/Eck 2022) unterschieden. Zweitens werden Aushandlungen, Bedingungen und Ressourcen untersucht, die eine nachhaltige Lebensführung von Familien generieren oder erschweren.

Forschungsdesign des Projekts

Das Forschungsdesign des DJI-Projekts umfasst ein multimethodisches Vorgehen, das Fallstudien, Expert:inneninterviews, quantitative Analysen sowie einen validierenden Expert:innenworkshop integriert. Empirisches Kernstück sind vier multiperspektivische Fallstudien im städtischen und ländlichen Raum in Bayern. Die Fallstudien verbinden jeweils folgende drei Perspektiven:

  1. Innenperspektive auf gemeinschaftliche Wohnprojekte
  2. Außenperspektive auf den sozial- und stadträumlichen Kontext des Quartiers bzw. des ländlichen Umfelds, in den die Wohnprojekte situiert sind
  3. Kontrastierende Perspektive auf exemplarisch ausgewählte, nicht-gemeinschaftlich strukturierte Formen des Familienwohnens in den jeweiligen Quartieren

Das perspektivische Vorgehen ermöglicht, Unterschiede und Gemeinsamkeiten bezüglich der Herausbildung von lokal verankerten Care-Netzwerken und Formen nachhaltiger Lebensführung zwischen gemeinschaftlich und nicht-gemeinschaftlich strukturierten Wohnformen herauszuarbeiten.

In das Forschungsprojekt ist ein Promotionsvorhaben eingebettet.

Abt, Jan/Pätzold, Ricarda (2017): Neue Formen des gemeinschaftlichen Wohnens – Definition des Forschungsgegenstands

örgen, Benjamin (2021): Nachhaltige Lebensführung: Praktiken und Transformationspotenziale gemeinschaftlicher Wohnprojekte. Bielefeld, Germany

Jurczyk, Karin (Hrsg.) (2020): Doing und Undoing Family. Konzeptionelle und empirische Entwicklungen. Weinheim

Roller, Katrin/Eck, Sandra (2022): Gutes Leben – gutes Care: Innovative Wohn-Care-Projekte zwischen utopischer Spinnerei und umsetzbarem Reallabor. In: Knobloch, Ulrike/Theobald, Hildegard/Dengler, Corinna/Kleinert, Ann-Christin/Gnadt, Christopher/Lehner, Heidi (Hrsg.): Caring Societies - Sorgende Gesellschaften. Neue Abhängigkeiten oder mehr Gerechtigkeit? Weinheim/Basel, S. 222–240

Spellerberg, Annette (2021): Gemeinschaftliches Wohnen. In: Eckardt, Frank/Meier, Sabine (Hrsg.): Handbuch Wohnsoziologie. Wiesbaden, S. 503–520

Tummers, Lidewij (2016): The re-emergence of self-managed co-housing in Europe: A critical review of co-housing research. In: Urban Studies, 53. Jg., H. 10, S. 2023–2040

 

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