Stiefkindadoptionen machen mit derzeit 61% einen beträchtlichen Anteil der Adoptionen in Deutschland aus (Statistisches Bundesamt 2018) und stellen gleichzeitig eine besondere Form der Adoption dar. Die Verfahren der Stiefkindadoptionen wurden in der Fachwelt in den letzten Jahren zunehmend kritisch diskutiert. Als Problemfelder wurden in der Adoptionspraxis unter anderem ein Zeitdruck bei der Erstellung der fachlichen Äußerung der Adoptionsvermittlungsstellen durch die familiengerichtlichen Verfahren, eine überwiegend fehlende Beratung des abgebenden Elternteils, das Vorliegen sachfremder Motive in manchen Fällen sowie eine häufig unzureichende Berücksichtigung der Perspektive der Kinder identifiziert (Expertise- und Forschungszentrum Adoption, 2019).

Anknüpfend an diese Kritikpunkte hat der Gesetzgeber Reformen im Adoptionsrecht vorangetrieben. Mit dem Inkrafttreten des Adoptionshilfegesetzes am 1. April 2021 wird mit dem neu eingeführten § 9a AdVermiG eine verpflichtende Beratung aller an einer Stiefkindadoption Beteiligten durch Fachkräfte einer Adoptionsvermittlungsstelle vor dem Adoptionsantrag festgelegt.

Bei der vorbereitenden Beratung geht es darum, alle Beteiligten über die Adoption und ihre rechtlichen Wirkungen sowie über mögliche Alternativen zu einer Adoption zu informieren. Die Vorschrift zur Beratung (§ 9a AdVermiG) trägt damit dafür Sorge, dass die Adoption tatsächlich dem Wohl des Kindes dient und gute Chancen auf ein dauerhaft stabiles Zusammenleben als Familie nach einem Adoptionsausspruch bestehen (Bovenschen u.a. 2017b; Miehler 2016; Frank 2010). Veränderungen im Vergleich zur bisherigen Praxis ergeben sich neben der bisher kaum vorhandenen Einbeziehung des Elternteils vor allem hinsichtlich einer Stärkung der Partizipation der Kinder.

Über die mit der Beratung verbundenen zusätzlichen Aufgaben hinaus verändert die gesetzlich verankerte Beratungspflicht den gesamten Ablauf der Verfahren bei Stiefkindadoptionen. So erhielten in der bisherigen Praxis das Jugendamt bzw. die örtliche Adoptionsvermittlungsstelle nur durch die Aufforderung des Familiengerichts zur Stellungnahme nach §§ 189, 194 FamFG Kenntnis von einem Adoptionsantrag eines Stiefelternteils. In Zukunft wird stets eine vorbereitende Beratung aller Beteiligten stattfinden, ehe dann gegebenenfalls die erforderlichen Einwilligungen nach §§ 1746 ff. BGB eingeholt werden und der Adoptionsantrag gestellt wird. Es ist daher wahrscheinlich, dass die gesetzliche Neuregelung auch die Kooperation der Vermittlungsstellen mit den Familiengerichten und anderen am familiengerichtlichen Verfahren Beteiligten (z.B. Verfahrensbeiständen) verändert und somit die Möglichkeit zur Entwicklung von Modellen guter Kooperationen eröffnet.


Vor dem Hintergrund der gesetzlich eingeführten Beratungspflicht bei Stiefkindadoptionen verfolgt das vorliegende Projekt zwei Ziele. Im Rahmen des Projekts sollen zunächst Informationen über Methoden und Probleme bei der Beteiligung der Kinder, insbesondere aber Ansätze guter Praxis, im Praxisfeld erhoben werden. Die empirisch gewonnenen Erkenntnisse werden angereichert durch eine Auswertung nationaler und internationaler Fachliteratur zum genannten Themenfeld. Zweitens geht es darum, mit Hilfe von Fokusgruppen Ansatzpunkte für Modelle guter Kooperation mit Familiengerichten und Verfahrensbeiständen bei der Umsetzung der verpflichtenden Beratung gemäß § 9a AdVermiG zu erarbeiten. Die generierten Erkenntnisse beider Teilprojekte sollen in Form eines Praxisleitfadens zugänglich gemacht werden.

Bovenschen, Ina; Bränzel, Paul; Heene, Sabine; Hornfeck, Fabienne; Kappler, Selina; Kindler, Heinz; Ruhfaß, Maria (2017): Empfehlungen des Expertise- und Forschungszentrums Adoption zur Weiterentwicklung des deutschen Adoptionswesens und zu Reformen des deutschen Adoptionsrechts. München.

Expertise- und Forschungszentrum Adoption (2019): Studienbefunde Kompakt – Teilbericht Einzelfallstudien. Deutsches Jugendinstitut e.V. (unveröffentlichter Forschungsbericht). München.

Frank, Rainer (2010): Die Stiefkindadoption. In: StAZ Das Standesamt 11, S. 324–330.

Miehler, Andreas (2016): Reformbedarf bei der Adoption von Stiefkindern, Verwandten, und Volljährigen. Baden-Baden: Nomos.

Statistisches Bundesamt (2018): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe für seelisch Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen, Hilfe für junge Volljährige, Vollzeitpflege 2016. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt (Destatis).

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