Realtalk – digitale Unterstützungsmöglichkeiten für Jugendliche
Schulsozialarbeit hat sich zu einem eigenständigen und weitverbreiteten Arbeitsfeld in der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt. Sie gehört heute in vielen Regionen zu der „Standardausstattung“ vieler Schulen. Mit der Einführung des § 13a SGB VIII wurde Schulsozialarbeit als ein eigenständiges Arbeitsfeld rechtlich verankert. Es wurde die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass Schulsozialarbeit sich an alle Schüler:innen richten kann und sich nicht auf Benachteiligte konzentrieren muss. Schulsozialarbeit hat den Auftrag, jungen Menschen am Ort der Schule sozialpädagogische Angebote zur Verfügung zu stellen, die in enger Zusammenarbeit mit der Schule geleistet werden. Schwerpunkte der Arbeit sind Beratung und Begleitung von einzelnen Schüler:innen, Prävention und Intervention bei individuellen Problemen und sozialen Konflikten, Gruppenangebote für Schüler:innen, Unterstützung beim Übergang in eine andere Schule oder in das Berufsleben, Beratung von Eltern, Mitwirkung in Schulgremien und Kooperation mit außerschulischen Partnern. Darüber hinaus gehört es selbstverständlich auch zu den Aufgaben der Schulsozialarbeit, förderliche Bedingungen des Aufwachsens zu erhalten oder herzustellen.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) möchte dem Entwicklungspotenzial moderner Ansatzpunkte über die Peer-Beratung und Digitalisierung in der Schulsozialarbeit nachgehen. Es führt an mehreren Standorten das digitale Modellprojekt RealTalk ein, welches vom DJI evaluiert wird.
In zahlreichen Studien und Statistiken wird seit längeren Jahren eine Zunahme an Belastungen auf Seiten der Schüler:innen beschrieben, die nicht zuletzt durch die aktuellen Krisen noch verschärft wurden (z.B. Barican et al. 2022; Bohl et al. 2023).
Gleichzeitig wird – gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Ausbaus von Ganztagsschulen – auf die Bedeutung von Peergruppen hingewiesen und welche Rolle sie für die körperliche, soziale und emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Sozialraum Schule und für die Schulsozialarbeit spielen (Hollenstein/Nieslony 2018). Der Kontakt zu Peers wird von jungen Menschen oft als niedrigschwelliger empfunden als der zu Sozialarbeitenden und Lehrkräften.
Genauso ist allgemein bekannt, dass sich im Zeitalter der Digitalisierung insbesondere junge Menschen entsprechenden Kommunikationswegen und Angeboten zuwenden. Die Pandemie hat diese Entwicklung an vielen Stellen beschleunigt, in der Schulsozialarbeit scheint sie an manchen Stellen jedoch noch nicht entsprechend der Bedarfe und Präferenzen junger Menschen umgesetzt (Schleck 2023).
Vor diesen Hintergrundfaktoren erscheint es sinnvoll, durch eine Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit die Beratungsmöglichkeiten für Schüler:innen unter Einbezug von Peer-Ansprechpartner:innen und digitalen Formaten auszuweiten.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) erprobt über das Modellprojekt RealTalk an mehreren Standorten zum einen ein digitales Terminvereinbarungstool mit den Schulsozialarbeitenden und zum anderen eine digitale Peer-to-Peer-Beratung (P2P) für Jugendliche. Das Ziel ist es, Schülerinnen und Schülern den Zugang zu niedrigschwelliger Unterstützung zu erleichtern und das bestehende Angebot durch moderne Ansätze zu erweitern.
Zu den Aufgaben der geplanten Projektevaluation durch das DJI gehört es, herauszufinden, inwieweit die erwünschten Verbesserungen erreicht werden (z.B. größere Niedrigschwelligkeit, Deckung bisher ungedeckter Bedarfe, erweiterte Problemlösungen für Jugendliche, größerer Rezipient:innenkreis). Außerdem soll untersucht werden, wie gut die Zusammenarbeit von Schulsozialarbeit und P2P-Teams gelingt, ob die bisherige Qualifikation der P2P-Teams angemessen erscheint, welche Möglichkeiten zur Überführung des Modellprojekts in eine Regelfinanzierung bestehen und was man für eine Implementierung an weiteren Standorten lernen kann.
Um den komplexen Fragestellungen nachzugehen, kommt im Rahmen einer formativen Evaluation ein multiperspektives Mixed-Methods-Design zum Einsatz.
Dieses sieht Interviews mit den Fachkräften der Schulsozialarbeit, Gruppendiskussionen mit den Peer-Beratenden, quantitative Online-Erhebungen bei den Nutzer:innen der Tools und – sofern die Genehmigung durch die zuständigen Schulbehörden beziehungsweise Schulleitungen dazu erteilt wird – bei allen Schüler:innen an den jeweiligen Schulstandorten vor. Das genaue Vorgehen und die exakten Forschungsfragen werden in einer einleitenden Explorationsphase des Projektes mit den Stakeholdern des Projektes konkretisiert.
Gemäß den Evaluationsrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Evaluation e.V. (DeGEval) wird ein transparenter und partizipativer Evaluationsansatz vorgenommen, in dessen Zentrum die Nützlichkeit, Durchführbarkeit, Fairness und Genauigkeit des Unterfangens stehen.
Mit der Seite RealTalk – Digitale Beratung für Jugendliche wendet sich das DRK insbesondere an Fachkräfte und die allgemeine Öffentlichkeit.
Die Homepage von RealTalk ist an Jugendliche gerichtet, die sich für das Angebot interessieren oder auch als Peer-Berater:in an den Standorten ehrenamtlich engagieren wollen.
Basisliteratur:
- Bassarek, Herbert (Hrsg.) (2018): Lexikon der Schulsozialarbeit. Baden-Baden: Nomos.
- Bennewitz, Hedda/Breidenstein, Georg/Meier, Michael (2016): Peerkultur in der Schule. In: Köhler, Sina-Mareen/Krüger, Heinz-Hermann/Pfaff, Nicole (Hrsg.): Handbuch Peerforschung. Opladen: Verlag Barbara Budrich.
- DeGEval (2016): Standards für Evaluation. Erste Revision. Online: https://www.degeval.org/degeval-standards/
- Hollenstein, Erich/Nieslony, Frank (2020): Schulsozialarbeit in mediatisierten Lebenswelten. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
- Kunkel, Peter-Christian/Kepert, Jan/Pattar, Andreas Kurt/Berneiser, Carola (Hrsg.) (2022): Sozialgesetzbuch VIII. Kinder- und Jugendhilfe: Lehr- und Praxiskommentar. Baden-Baden: Nomos.
- Pötter, Nicole (2029): Schulsozialarbeit. Freiburg im Breisgau: Lambertusverlag.
Weiterführende Literatur:
- Barican, Jenny Lou/Yung, Donna/Schwartz, Christine/Zheng, Yufei/Georgiades, Katholiki/Waddell, Charlotte (2022): Prevalence of childhood mental disorders in high-income countries: a systematic review and meta-analysis to inform policymaking. In: Evidence-based mental health 25 (1), S. 36–44.
- Bohl, Christin/Karnaki, Pania/Cheli, Simone/Fornes Romero, Gertrudis/Glavak Tkalić, Renata/Papadopoulos, Eva/Schaefer, Mathieu/Berth, Hendrik (2023): Psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen in der Coronazeit. In: Prävention und Gesundheitsförderung 18 (2), S. 182–188.
- Hollenstein, Erich/Nieslony, Frank (2018): Peergruppen und ihre Bedeutung für die Schulsozialarbeit. In: Bassarek, Herbert (Hrsg.): Lexikon der Schulsozialarbeit. Baden-Baden: Nomos.
- Ingrisch, Silke (2023): Empowernment und Peer-Support in sozialen Netzwerken als Chance für die institutionelle Erziehungsberatung. E-beratungsjournal.net, 19 Jg., Heft 2, Artikel 1.
- Schleck, Oliver (2023): Digitalisierung als Herausforderung für die Schulsozialarbeit? In: Soziale Passagen, Vol. 15, S. 625-629.
- Schleck, Oliver/Witzel, Marc (2020): Mediale Aneignung im Spannungsfeld von Sozialpädagogik und Schule. In: Hollenstein, Erich & Nieslony, Frank (Hrsg.): Schulsozialarbeit in mediatisierten Lebenswelten. Weinheim/Basel: Beltz Juventa S. 56-67.