Befragung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Einführung einer Kindergrundsicherung in Deutschland
Die Einführung einer Kindergrundsicherung war Bestandteil des Koalitionsvertrags zur 20. Legislaturperiode mit dem Ziel, Familien einfacher und besser finanziell zu unterstützen und Kindern bessere Chancen auf ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen. Sie sollte dazu beitragen, die Familienförderung zu modernisieren und familienpolitische Leistungen zu bündeln. Unterstützungsleistungen sollten verbessert und einfacher abrufbar gemacht werden. Zeitgleich setzt Deutschland mit dem Nationalen Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ die Ratsempfehlung zur Einführung einer Europäischen Garantie für Kinder um.
Im Projekt "Befragung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Einführung eine Kindergrundsicherung in Deutschland" führten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Jugendinstituts Gespräche mit Kindern und Jugendlichen im Alter von 9 bis 18 Jahren . Es ging um ihre Einstellungen und Bedürfnisse als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelten.
Worum geht es bei unserer Studie?
Die Bundesregierung wollte besser verstehen, was Kinder und Jugendliche brauchen, um gut aufzuwachsen, und insbesondere die Meinungen und Erfahrungen von jungen Menschen hören. Wir vom Deutschen Jugendinstitut haben deshalb mit Kindern und Jugendlichen darüber gesprochen, was sie für ein gutes Leben brauchen.
Die Studie wurde von uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (Forscherinnen und Forschern) am Deutschen Jugendinstitut durchgeführt. Wir trafen uns mit Kindern und Jugendlichen und kamen ins Gespräch. Wir stellten Fragen: Wie geht es Euch und Euren Familien? Was braucht es, damit es Kindern und Jugendlichen gut geht? Was hilft den Kindern und Jugendlichen aus Familien mit wenig Geld? Was wünscht Ihr euch?
Die Gespräche fanden in Jugendzentren oder anderen bekannten Orten statt. Sie dauerten ungefähr eine Stunde. Die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen bekamen im Anschluß einen Gutschein über 20 Euro.
Warum machen wir diese Studie?
Die Ergebnisse der Gespräche werden für die Politik in einem Bericht zusammengefasst. In dem Bericht werden Eure Namen nicht genannt. Es wird also nicht erkennbar sein, mit welchen Kindern und Jugendlichen wir die Gespräche geführt haben. Das nennt man „Anonymisierung“. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesregierung werden dann diesen Bericht lesen. Eure Antworten helfen den Politikerinnen und Politikern, die gerade planen, dass es in Zukunft eine Kindergrundsicherung geben soll. Sie können Euch dann besser verstehen. Und sie können dann etwas tun, damit alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland noch besser unterstützt werden.
Was die Kinder und Jugendlichen gesagt haben – die Ergebnisse
Die Kinder und Jugendlichen wurden über das Thema Geld befragt: Was brauchen sie, wofür geben sie Geld aus? Wie geht es ihren Familien? Was ist, wenn das Geld nicht reicht?
Viele Kinder und Jugendliche hatten ähnliche Erfahrungen:
Fast alle erzählten, dass ein eigenes Zimmer für sie besonders wichtig ist, oder zumindest ein eigener abgetrennter Bereich als privater Rückzugsort und eigene Sachen, die sie nicht mit einem Geschwisterkind teilen müssen.
Für die meisten Befragten ist auch die Familie ein ganz wichtiger Ort, an dem sie sich sicher und geborgen fühlen. Manche Kinder, zum Beispiel, wenn sie in Wohngruppen wohnen, haben eine große Sehnsucht nach der eigenen Familie und wünschen sich sehr, dass sie wieder zu Hause bei Mama oder Papa sein können. Viele Kinder und Jugendlichen erzählen aber auch von Problemen zuhause, wie Streit oder Krankheit. Das belastet sie.
Manche der Kinder und Jugendlichen sind auch aus anderen Ländern geflüchtet und haben schlimme Dinge erlebt. Andere haben Eltern, die sich nicht gut um sie kümmern können. Und manchmal müssen sich die Kinder und Jugendlichen selbst viel um ihre Familie und um Geschwister kümmern. Alles das ist schwierig und belastend.
In einigen Familien gibt es Geldsorgen. Aber die meisten Kinder und Jugendliche denken nicht, dass sie wirklich arm sind. Denn es gibt immer noch ärmere Menschen, zum Beispiel Obdachlose. Sie erzählen, wie sie in der Familie mit wenig Geld trotzdem gut auskommen, z.B. wegen einer extra großen Packungen Nudeln oder einem gefüllten Tiefkühlfach. Aber auch vom Papa, der sich keine neuen Schuhe leisten kann. Oder davon, dass das Geld nicht für gemeinsame Ausflüge reicht. Eigenes Geld brauchen sie vor allem für kleine Wünsche. Sie wollen was zum Trinken oder Essen kaufen können, wenn sie mit Freunden unterwegs sind. Sie wollen sich aber auch mal was Größeres leisten, wie z.B. eine Spielkonsole.
Je älter die Befragten waren, desto mehr wollten sie über Geld Bescheid wissen und von den Eltern unabhängig sein. Jüngere Kinder sagten: um das Thema „Geld für die Familie“ sollen sich die Erwachsen kümmern. Denn es gibt schon genug Belastungen in ihrem Leben.
Die Schule ist für die Befragten ein Ort, an dem man gut lernen und Freunde treffen kann. Aber einige Kinder fühlen sich dort unwohl. Sie werden von Mitschülern und Lehrkräften bloßgestellt und haben Angst vor schlechten Noten. Viele Kinder und Jugendliche wünschen sich, in der Schule mehr über das Leben zu lernen und weniger Druck zu haben.
Sie machen sich oftmals wegen der Schule Sorgen, dass sie später keinen guten Beruf haben werden und dann kein gutes Leben führen können.
Die Gespräche waren für die meisten Kinder und Jugendlichen eine gute Möglichkeit, einmal mit anderen über diese Themen zu reden.
Danke an alle, die mit uns gesprochen haben! Eure Meinungen helfen, besser zu verstehen, was man für Familien tun muss.
Für eine Weiterentwicklung und Umstrukturierung der finanziellen Hilfen für Kinder wurde 2023 unter Anderem an der Idee der Einführung einer “Kindergrundsicherung” von sieben Bundesministerien unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in einer interministeriellen Arbeitsgruppe gearbeitet. Um tiefere Einblicke in die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen zu erhalten und ihre Bedürfnisse bei der Entwicklung der Kindergrundsicherung berücksichtigen zu können, sollten auch Kinder und Jugendliche selbst zu Wort kommen.
Daher interessierten hier besonders die Meinungen und Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen, die selbst von Armut oder Armutsgefährdung betroffen sind, oder die in ihrem Sozialraum Erfahrungen mit Armut machen. Sie werden als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelten in einer qualitativen Studie befragt.
Denn gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahre, wie die Coronapandemie, das Fluchtgeschehen, die Steigerung der Lebenshaltungskosten sowie die voranschreitende Digitalisierung sind auch an Kindern und Jugendlichen nicht spurlos vorbeigegangen, sondern haben ihre Lebenswelten nachhaltig geprägt. Dies gilt insbesondere für jene, die in armutsgefährdeten Familien leben.
Beschreibung der Studie
Die Studie, die im Jahr 2023 vom Deutschen Jugendinstitut durchgeführt wurde, hatte zwei Schwerpunkte:
- Zum einen waren das subjektive Armutsverständnis der Kinder und Jugendlichen, ihre erlebten Barrieren für Teilhabe und ihre gemachten Exklusionserfahrungen, aber auch ihre Erfahrungen von Teilhabe von Interesse.
- Zum anderen interessierte der Kenntnisstand und Informationsbedarf von Jugendlichen hinsichtlich bestehender finanzieller Unterstützungsleistungen für Familien. Es stellte sich die Frage, welche Informationskanäle, -orte und -gestaltungsformen aus ihrer Sicht geeignet sind, um möglichst viele Familien zu erreichen.
Wir haben mit Kindern und Jugendlichen Einzelgespräche in Jugendzentren oder anderen Einrichtungen geführt. Im Anschluß gab es im Projekt mit anderen Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen Einrichtungen Gruppendiskussionen. Die angesprochenen Themen wurden für Kinder und Jugendliche von 9 bis 13 Jahren und von 14 bis 18 Jahren altersspezifisch unterschiedlich gestaltet.
Die beteiligten Kinder und Jugendlichen bekamen einen Gutschein über 20 Euro.
Die Ergebnisse sollen Orientierungswissen für politische Akteure bei der Entwicklung der Kindergrundsicherung bieten. Sie wurden in einem anonymisierten Bericht veröffentlicht. D.h. es werden in dem Bericht keine Rückschlüsse auf Namen der Beteiligten oder auf die Einrichtungen möglich sein. Die Einrichtungen erhielten nach Abschluss des Projektes Informationen über Ergebnisse, die sie aushängen bzw. an die Teilnehmenden austeilen konnten. Auch diese sind, wie alle Auswertungen im Projekt, selbstverständlich anonymisiert.
Fragestellung und Konzeption
Der Nationale Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ (kurz: NAP) zur Umsetzung der Ratsempfehlung zur Einführung einer Europäischen Garantie für Kinder (kurz: EU-Kindergarantie) zielt darauf ab, eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland auf den Weg zu bringen. Zugleich setzte sich auch der Koalitionsvertrag zur 20. Legislaturperiode im Rahmen einer geplanten Einführung einer Kindergrundsicherung diese Ziele.
Gesellschaftliche Entwicklungen wie die Coronapandemie, das Fluchtgeschehen, die Steigerung der Lebenshaltungskosten sowie die voranschreitende Digitalisierung sind auch an Kindern und Jugendlichen nicht spurlos vorbeigegangen, sondern haben ihre Lebenswelten nachhaltig geprägt; dies gilt insbesondere für jene, die in armutsgefährdeten Familien leben. Um tiefere Einblicke in ihre aktuellen Lebenswelten und Bedürfnisse zu erhalten, wurden armutsgefährdete bzw. von Armut betroffene Kinder und Jugendlichen als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelten (Andresen et al. 2019) befragt. Die Befragungen haben zwei Schwerpunkte: Zum einen wurden das subjektive Armutsverständnis der Kinder und Jugendlichen, ihre erlebten Barrieren für Teilhabe und ihre gemachten Exklusionserfahrungen erhoben (1). Zum anderen wurden ältere Kinder und Jugendliche zu ihrem Kenntnisstand und Informationsbedarf hinsichtlich bestehender finanzieller Unterstützungsleistungen für Familien befragt, sowie zu den aus ihrer Sicht geeigneten Informationskanälen, -orten und -gestaltungsformen , um möglichst viele Familien zu erreichen (2).
Die Ergebnisse sollen Orientierungswissen für politische Akteuren im Handlungsfeld Kinderarmut bieten.
Methodisches Vorgehen
Die Fragestellungen, die im Vorhaben untersucht wurden, weisen einen rekonstruktiven Charakter auf – es ging darum, Wahrnehmungen und Erfahrungsmuster aufzudecken. Dabei sollten die Befragten die Möglichkeit haben, möglichst frei ihre Erfahrungen, Bedürfnisse und (Informations‑)Wünsche zu artikulieren. Daher wurde zur Umsetzung des erläuterten Vorhabens ein qualitativer Methodenmix gewählt: Auf Basis von Einzelinterviews wurden individuelle Erfahrungen rekonstruiert, während die Gruppendiskussionen mit jeweils bis zu acht teilnehmenden Kindern und Jugendlichen ermöglichten, die Meinung der befragten Gruppe widerzuspiegeln und Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Erfahrungen der Teilnehmenden zu identifizieren.
Sowohl Einzel- als auch Gruppeninterviews wurden in zwei verschiedenen Altersgruppen durchgeführt (9-13 vs. 14-18), die angesprochenen Themen waren altersspezifisch gestaltet (s.o.).
Für die Rekrutierung der Probandinnen und Probanden wurden Fachkräfte aktiviert, die in Projekten der Kinder- und Jugendhilfe mit einem hohen Anteil armutsgefährdeter Familien im regionalen Einzugsbereich tätig sind. Es wurden auf diese Weise bevorzugt Kinder und Jugendliche mit unmittelbarer oder mittelbarer Armutserfahrung einbezogen werden. Für den Feldzugang wurden die Netzwerke der Interviewerinnen im Projekt genutzt. Es wurden Befragungen in zwei Bundesländern (Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg) unter Berücksichtigung von Stadt-Land-Unterschieden durchgeführt.
Derzeit setzt Deutschland mit dem Nationalen Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ die Ratsempfehlung zur Einführung einer Europäischen Garantie für Kinder um, die am 14. Juni 2021 einstimmig von allen Mitgliedstaaten verabschiedet wurde. Ziel des Nationalen Aktionsplans ist es, für Kinder und Jugendliche, die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, bis zum Jahr 2030 Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Erziehung und Bildung, zu schulbezogenen Aktivitäten, einer hochwertigen Gesundheitsversorgung, ausreichender und gesunder Ernährung sowie angemessenem Wohnraum zu gewährleisten.
Das Deutsche Jugendinstitut e.V. (DJI) unterstützt das Ministerium (BMFSFJ) bei der Ausgestaltung und Umsetzung des Nationalen Aktionsplans im Rahmen der Service- und Monitoringstelle zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ (ServiKiD).
DJI Halle, Tel. +49 345 68178-16, schlimbach@dji.de
DJI München, Tel. +49 89 62306-216, guglhoer@dji.de
ehemalig: Meike Herzig, M.A.