"Working Poor"-Familien in Deutschland
Armutslagen, Alltagsbewältigung und Ansatzpunkte für familienpolitische Unterstützung
Kinder- und Familienarmut ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus von Forschung und Politik gerückt. Die sozialwissenschaftliche Forschung konzentriert sich derzeit vor allem auf die Lebenslagen von Familien in relativer Einkommensarmut, Familien im SGB-II-Bezug, Alleinerziehende als besonders von Armut betroffene Gruppe sowie die Auswirkungen von Armut auf Kinder und Jugendliche (z.B. Achatz u.a. 2013, Lenze 2014). Nur am Rande werden „Working Poor“-Familien als eigene Gruppe in den Blick genommen, d.h. Familien, die trotz Erwerbsarbeit an oder unterhalb der Armutsschwelle leben und weniger als 60% des Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung haben. Die sogenannte Arbeits-Armutsgefährdungsquote ist europaweit gestiegen und lag in Deutschland 2013 bei 8,6% im Vergleich zu 7,2% im Jahr 2010.
Aktuell liegen vor allem Expertisen und Studien vor, die – punktuell bezogen auf einzelne Kommunen, Bezirke oder Regionen – die Lebensrealitäten und das Bewältigungshandeln armutsgefährdeter Familien erforschen (Laubstein u.a. 2016). Meier, Preuße und Sunnus sprechen bei den „Working Poor“- Familien insbesondere von den „erschöpften EinzelkämpferInnen“ (2003), d.h. Alleinerziehenden, aber auch Paaren mit Kindern, die überproportional durch die Gleichzeitigkeit von familialen und beruflichen Anforderungen belastet sind und die trotz ihrer Erwerbstätigkeit den Alltag dennoch mit vergleichsweise niedrigen Äquivalenzeinkommen bewältigen müssen. Gerade dieser Gruppe, so die Autorinnen, fehle es an institutioneller Unterstützung. Bird und Hübner (2013) charakterisieren die „Working Poor“- Familien als „ausgebrannt und überarbeitet“, da sie u.a. durch geringe materielle Ressourcen und hohen Zeitdruck besonders belastet seien. Genau diese Gruppe der „Working Poor“-Familien will das Projekt gesondert in seinen Fokus nehmen, da sie meist miterfasst, aber nicht für sich genommen untersucht wurden.
Neben einer regionalen Differenzierung von Einkommensarmut gehen neuere Entwicklungen der nationalen und internationalen Forschung über Armut von einer Verschränkung des relativen Armutskonzepts mit einem Deprivationsindex aus (z.B. UNICEF-Vergleichsstudie 2012, die 3. World Vision Kinderstudie, der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bunderegierung.
Unter „Working Poor“-Familien sollen beim vorliegenden Forschungsvorhaben grundsätzlich Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren verstanden werden, in denen mindestens ein Elternteil erwerbstätig ist und die dennoch in relativer Armut leben (d.h. weniger als 50% des mittleren Netto-Äquivalenzeinkommens) bzw. von Armut bedroht sind (weniger als 60% des mittleren Netto-Äquivalenzeinkommens). Zusätzlich sollen Familien des "prekären Wohlstands" (Hübinger 1996) in den Blick genommen werden, die zwischen 60% und 70% des mittleren Netto-Äquivalenzeinkommens zur Verfügung haben und die mit Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen umgehen müssen. Ziel des Projekts ist es, empirische Kenntnisse über Verbreitung, Erscheinungsformen, Gründe, Bewältigungsstrategien und Folgen der Armut von Familien trotz Erwerbstätigkeit zu gewinnen sowie familienpolitische Ansatzpunkte zur Unterstützung von "Working Poor"-Familien aufzuzeigen.
Das Projekt geht nach einem Mixed-Methods-Design vor: Im quantitativen Modul werden die Daten des AID:A-Surveys II des DJI ausgewertet. Im qualitativen Modul werden Interviews mit erwerbstätigen Müttern und Vätern durchgeführt, die von Armut bedroht sind bzw. in Armut leben.
Achatz, Juliane/Hirseland, Andreas/Lietzmann, Torsten/Zabel, Cordula (2013): Alleinerziehende Mütter im Bereich des SGB II. Eine Synopse empirischer Befunde aus der IAB-Forschung. In: IAB Forschungsbericht, 2013. Jg., H. 8
Bird, Katherine/Hübner, Wolfgang (2013): Handbuch der Eltern- und Familienbildung Mit Familien in Benachteiligten Lebenslagen. Leverkusen-Opladen
Hübinger, Werner (1996): Prekärer Wohlstand. Neue Befunde zu Armut und sozialer Ungleichheit. Freiburg i. Br.
Laubstein, Claudia/Holz, Gerda/Seddig, Nadine (2016): Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche. Erkenntnisse aus empirischen Studien in Deutschland. Gütersloh
Lenze, Anne (2014): Alleinerziehende unter Druck. Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf. Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh
Meier, Uta/Preuße, Heide/Sunnus, Eva Maria (2003): Steckbriefe von Armut. Haushalte in prekären Lebenslagen. Wiesbaden