Das Forschungsprojekt ist eine Kooperation mit der Universität Bremen (Prof. Dr. Ulrich Mückenberger vom Zentrum für Europäische Rechtspolitik).

Ziel des rechts- und sozialwissenschaftlichen Projekts ist die Ausarbeitung von Eckpunkten eines neuartigen nachhaltigen sozialpolitischen Modells für die Gestaltung von Erwerbsverläufen. Das Modell soll Arbeitnehmer/innen im Rahmen von Arbeitsverhältnissen ermöglichen, Erwerbsarbeit mit anderer gesellschaftlicher Arbeit, vor allem der Sorgearbeit, selbstbestimmt und in arbeits- wie sozial¬rechtlich abgesicherter Form zu verbinden.

Tiefgreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandlungsprozesse, wie etwa der demographische Wandel, die veränderten Geschlechter- und Familienverhältnisse, die veränderte Arbeitswelt sowie der Wandel von Werten und Einstellungen führen zu Verschiebungen von Lebensläufen. Gleichzeitig wird in unserer Gesellschaft nach wie vor – insbesondere in institutionellen Rahmungen –  an einer Normierung des Lebenslaufs nach der industriegesellschaftlichen Norm des „Normalarbeitsverhältnisses“ festgehalten: Diese orientiert sich am Idealtypus des männlichen Familienernährers, der ununterbrochen vollzeitig bis ins Rentenalter erwerbstätig ist und die Sorgearbeit (Care) – das heißt erziehen, betreuen und versorgen – an andere (in der Regel Frauen) delegiert. Eine schwerwiegende Folge dieser fehlenden Passungen ist die Krise der Sorgearbeit.

Als neuartige Normalität will das Optionszeiten-Modell Erwerbstätigen beiderlei Geschlechts einen „atmenden Lebenslauf“ ermöglichen, der in seiner zeitlichen Organisation Phasen der Erwerbsarbeit mit Phasen der Sorge, der Bildung, des Ehrenamts usw. vereinbar und wechselseitig fruchtbar macht (Jurczyk 2015). Ein „Zeitbudget“ für nicht-erwerbliche Arbeit in der Erwerbsphase sowie „Ziehungsrechte“ (Mückenberger 2007) aus diesem Budget sollen den Beschäftigten Optionsrechte für eine zweckgebundene Freistellung von der Erwerbsarbeit über die gesamte Biografie hinweg eröffnen und das Tragen der Lasten dafür fair regeln.

Methodisches Vorgehen

Im ersten Arbeitsschritt sieht der rechtwissenschaftliche Teil im Anschluss an die Analysen von Krüger (2006) und Kocher u.a. (2013) vor, die einzelnen normativen Bestandteile im Arbeits- und Familien-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht zu analysieren. Im sozialwissenschaftlichen Teil werden in Anlehnung an das Familienzyklusmodell (Anxo u.a. 2011, Glick 1947) lebensphasenspezifische und sozial differenzierte Zeitverwendungen und Zeitbedarfe für Betreuung, Pflege, Weiterbildung, Ehrenamt und persönliche Auszeit untersucht. Ergebnisse beider Teile münden in eine detaillierten Defizitanalyse für Deutschland. 

Im zweiten Arbeitsschritt werden ausländische Regelungsbeispiele lebenslaufbezogener Erwerbszeitpolitik und Zeitverwendungen sowie-bedarfe als Anregung für eine mögliche deutsche Re-Regulierung analysiert.

Der letzte Arbeitsschritt zieht Folgerungen aus den ersten beiden Arbeitsschritten: Die Bausteine des Optionszeiten-Modells werden überprüft und vor dem Hintergrund der empirischen Analysen mit näherungsweise konkreten Parametern versehen (über die Gesamtlänge und die Zusammensetzung des Zeitbudgets, Modus der Entnahmemöglichkeiten, Trägerschaft und Entgeltersatz etc.). 

Anxo, Dominique/Mencarini, Letizia/Pailhé, Ariane/Solaz, Anne/Tanturri, Maria Letizia/Flood, Lennart (2011): Gender Differences in Time Use over the Life Course in France, Italy, Sweden, and the US. In: Feminist Economics, 17. Jg., H. 3, S. 159–195

Glick, Paul C. (1947): The Family Cycle. In: American Sociological Review, 12. Jg., H. 2, S. 164–174

Jurczyk, Karin (2015): Zeit für Care: Fürsorgliche Praxis in "atmenden Lebensläufen". In: Hoffmann, Reiner/Bogedan, Claudia (Hrsg.): Arbeit der Zukunft. Möglichkeiten nutzen - Grenzen setzen. Frankfurt am Main, S. 260–287

Kocher, E./Groskreutz, H./Nassibi, G./Paschke, C./Schulz, S./Welti, F./Wenckebach, J./Zimmer, B. (2013): Das Recht auf eine selbstbestimmte Erwerbsbiografie. Baden-Baden

Krüger, Helga (2006): Geschlechterrollen im Wandel. Modernisierung der Familienpolitik. In: Bertram, Hans/Krüger, Helga/Spieß, C. Katharina (Hrsg.): Wem gehört die Familie der Zukunft? Expertisen zum 7. Familienbericht der Bundesregierung. Opladen, S. 191–206

Mückenberger, Ulrich (2007): Ziehungsrechte – Ein zeitpolitischer Weg zur „Freiheit in der Arbeit“? In: WSI-Mitteilungen, 57. Jg., H. 4, S. 195–201

Jurczyk, Karin (2017): "Kulturen verändern sich schwerer als Strukturen" Interview mit Agata Klaus, Körber-Stiftung

Jurczyk, Karin (01.11.2017): "Raus aus dem Hamsterrad" Deutschlandfunk Kultur

Jurczyk, Karin (20.06.2017): "Perfekt unperfekt. Ein Abend mit Remo Largo, Karin Jurczyk, Antje Gardyan und Heinrich Wefing" Video. Körber-Stiftung

Jurczyk, Karin (16.03.2017): "Wir müssen Lebensläufe entzerren“ Die Zeit, Nr. 12/2017

Jurczyk, Karin (06.07.2016): Care-Zeit-Budget: Politischer Mittag. Video. Körber-Stiftung

Mückenberger, Ulrich (06.07.2016): Care-Zeit-Budget: Politischer Mittag. Video. Körber-Stiftung

Mückenberger, Ulrich(05.02.2015): „Ein Recht auf Zeit? Überlegungen zu Lebensqualität und Zeitpolitik“. Video.
Akademievorlesung Gelebte Zeit und gezählte Zeit: Auf dem Weg in eine zeitachtsame Gesellschaft? Hamburg

Jurczyk, Karin (11.04.2013): „Zeitkonten“ und „atmende Lebensverläufe“. Warum wir eine neue Debatte um Zeit, Geschlecht und Erwerb brauchen. Deutschlandfunk Kultur

 

Der Abschlussbericht des Projektes, hier zum Download.

Gefördert durch

aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages

 

 

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