ServiKiD
Qualitative Forschung
Qualitative Forschung mit Kindern und Jugendlichen im Kontext von Armutslagen
Die am Deutschen Jugendinstitut (DJI) angesiedelte Service- und Monitoringstelle (ServiKiD) unterstützt die Ausgestaltung und Umsetzung des Nationalen Aktionsplans (NAP) „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“. Von zentraler Bedeutung ist es dabei, die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen kontinuierlich an den Phasen des NAP zu beteiligen. Die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen während der gesamten Vorbereitung, Umsetzung, Überwachung und Bewertung des NAP ist eine explizite Empfehlung des Rates der Europäischen Union zur Einführung einer Europäischen Garantie für Kinder (Art. 11 e). Neben konsultativen Beteiligungsformaten, die Kinder und Jugendliche in beratender Funktion in den politischen Prozess einbinden, werden diese auch als Befragungspersonen im Rahmen eigener qualitativer Forschung des DJI zu den Themen des NAP einbezogen.
Bei der qualitativen Forschung in ServiKiD stehen folgende Zielsetzungen im Vordergrund:
- Abbildung der komplexen und vielschichtigen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind
- Befragung von Kindern und Jugendlichen, die selbst von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind oder die in ihrem Sozialraum Erfahrungen mit Armut machen, als Expertinnen und Experten in eigener Sache
- Zunehmende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendarmutsforschung durch partizipative Elemente, z.B. Einbezug bei Erhebungsdesign und Datenauswertung.
Damit wir in der qualitativen Forschung wissenschaftliche Ergebnisse gewinnen, die für Kinder und Jugendliche relevant sind, ist es zentral, dass Kinder und Jugendliche ihre eigenen Vorstellungen und Ideen einbringen können:
Wir laden Kinder und Jugendliche herzlich ein, sich an unserer qualitativen Forschung zu beteiligen!
Perspektiven von Kindern und Jugendlichen auf ihre gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten
Die qualitative Forschung in ServiKiD zielt darauf ab, Kinder und Jugendliche, die selbst von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind oder die in ihrem Sozialraum Erfahrungen mit Armut machen, als Expertinnen und Experten in eigener Sache zu befragen. Um dieses Ziel umzusetzen, wählten wir einen ersten Zugang zum Thema Kinder- und Jugendarmut mit der Schwerpunktsetzung auf „Perspektiven von Kindern und Jugendlichen auf ihre gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten“. Dabei schlossen wir an ein Armutsverständnis an, das eine teilhabeorientierte Perspektive auf Armut einnimmt. Der Fokus auf die Bedeutung und Realisierung von gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichte darüber hinaus einen Forschungszugang, der befragte Kinder und Jugendliche nicht unmittelbar mit dem Thema Armut konfrontierte.
Im Sommer 2023 wurden zehn leitfadengestützte Gruppendiskussionen mit insgesamt 38 Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 23 Jahren durchgeführt und mittels der Grounded Theory ausgewertet. Die Befragten wurden über soziale Einrichtungen (Kinder- und Jugendtreff, Betreuungseinrichtung, freier Träger der Jugendhilfe) in Stadtteilen von München, in denen sich Armutslagen konzentrieren, erreicht. Insgesamt zeigte sich während der Erhebung, dass die befragten Kinder und Jugendlichen für ihre Bedürfnisse, Wünsche und Bedarfe im Kontext von Armutslagen kompetent sprech- und auskunftsfähig sind.
Zudem zeichnet sich in dem erhobenen Datenmaterial eine relativ hohe Varianz hinsichtlich der Komplexität von Armutslagen junger Menschen ab (vgl. Autor:innenteam ServiKiD 2025, S. 195). Einhergehend mit materieller Deprivation beschreiben Kinder und Jugendliche weitere Problemlagen (u.a. familiale Konflikte, gesundheitliche und psychische Belastungen in Familien, Diskriminierungserfahrungen), die ihre gesellschaftliche Teilhabe maßgeblich beeinträchtigen. Darüber hinaus stellen sich oftmals erhöhte familiale Anforderungen an Kinder und Jugendliche aus armen Familien, wie die Übernahme der Versorgung jüngerer Geschwister oder der Pflege eines Elternteils, aber auch der Einsatz bei Behördenkommunikation und als Sprachmittlerin und Sprachmittler im Migrationskontext. Ihre familiale Lage ist für die befragten Kinder und Jugendlichen zentral bei der Wahrnehmung ihrer individuellen Lebenssituationen und der damit einhergehenden Teilhabemöglichkeiten.
Wesentliche Unterstützung, aber auch Wertschätzung erfahren befragte Kinder und Jugendliche, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, durch soziale Einrichtungen. Diese werden vonseiten der Kinder und Jugendlichen insbesondere dann als hilfreich erlebt, wenn dabei unterschiedliche Lebensbereiche und die gesamte Familie in den Fokus genommen werden. Zudem sind für die jungen Menschen die pädagogischen Fachkräfte, die sie ernst nehmen und ihnen zuhören, als Ansprech- und Vertrauenspersonen bei Problemen besonders wichtig. Auch bei der Umsetzung von Bildungszielen, die insbesondere Jugendliche als zentral für eine Zukunft in gesicherten finanziellen Verhältnissen erachten, spielen die Einrichtungen eine wichtige Rolle.
Neben dem inhaltlichen Erkenntnisgewinn zu Kinder- und Jugendarmut aus den Perspektiven von jungen Menschen leistet ServiKiD einen Beitrag zur Umsetzung und Weiterentwicklung der qualitativen Kinder- und Jugendarmutsforschung, wobei insbesondere methodische und ethische Fragen reflektiert werden (vgl. Reisenauer/Lüring 2025).
Perspektiven von Jugendlichen auf ihre gesellschaftliche Teilhabe im Migrationskontext
In der zweiten Erhebungsphase der qualitativen Forschung in ServiKiD wurde der thematische Schwerpunkt auf Kinderarmut und Migration gelegt. Hierfür wurde ein ressourcenorientierter Ansatz gewählt. Der Einstieg in die durchgeführten Gruppendiskussionen erfolgte über einen Erzählstimulus zu Fähigkeiten und Stärken im Alltag, die Jugendliche aufgrund ihrer eigenen oder familialen Migration aufweisen. Im weiteren Verlauf wurde auch nach Unterstützungsbedarfen, Wünschen und Zukunftsvisionen gefragt.
Insgesamt wurden in der Feldphase von Dezember 2024 bis Juli 2025 zehn leitfadengestützte Gruppendiskussionen mit 46 Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit eigener oder familialer Migrationserfahrung im Alter von 14 bis 25 Jahren durchgeführt. Die befragten Kinder und Jugendlichen wurden über soziale Einrichtungen (Jugendhilfe-, Freizeit- und Bildungsinstitutionen) in verschiedenen Regionen in Deutschland (Düsseldorf, Frankfurt/Oder, Gotha, Hannover, Kelkheim, Leutkirch, München) erreicht.
Aktuell befindet sich die qualitative Forschung im Prozess der Datenauswertung.
Die Wissensvermittlung zu Themen der Kinderarmut speziell an Kinder und Jugendliche stellt einen zentralen Aspekt des Projekts ServiKiD dar. Auch im Rahmen der dialog- und beteiligungsorientierten qualitativen Forschung stehen Kinder und Jugendliche nicht nur bei der Generierung, sondern ebenso bei der Vermittlung und Verbreitung von Erkenntnissen im Fokus. Durch eine zielgruppenorientierte Wissensvermittlung ergeben sich für Kinder und Jugendliche zugängliche Projekt- und Forschungsergebnisse. Darüber hinaus wird die aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der Wissensvermittlung gefördert.
Kind- und jugendgerechte Kommunikation der Forschungsergebnisse
Mit Blick auf die in ServiKiD generierten qualitativen Forschungsergebnisse stellen wir uns die Frage, wie eine geeignete Wissensvermittlung an Kinder und Jugendliche gestaltet werden kann. Hierfür werden im Projektverlauf kontinuierlich an die Zielgruppe angepasste Methoden und Formate entwickelt und verbessert.
Wissensvermittlung zu Kinderarmut im Ethikunterricht am 09.11.2023
Im Rahmen des Unterrichts in zwei Ethikgruppen der 2. Klassen einer Grundschule wurde am 09.11.2023 die kindgerechte Informations- und Wissensvermittlung zum Thema Kinderarmut mit einer spielerischen Datenerhebung über das Vorwissen von Grundschulkindern sowie deren Lösungsvorschlägen und Wünschen für armutsbetroffene Kinder verbunden.

Workshop zu Migration mit dem ServiKiD-Jugendteam am 12.03.2025
Der Workshop, der im Rahmen eines Treffens mit dem ServiKiD-Jugendteam durchgeführt wurde, stand unter dem Titel „Stark durch Migration: Kompetenzen und Ressourcen von jungen Menschen mit Migrationserfahrung“. Er verfolgte drei Ziele, die in aufeinanderfolgenden Schritten umgesetzt wurden:
• Information des Jugendteams über das ServiKiD-Schwerpunktthema Migration sowie gemeinsamer Austausch
• Empowerment junger Menschen mit (zugeschriebener) Migrationserfahrung
• Beteiligung von jungen Menschen an der qualitativen Kinder- und Jugendarmutsforschung durch partizipative Datenanalyse

Beteiligung von Kindern und Jugendlichen als Expertinnen und Experten
Kinder und Jugendliche werden in der qualitativen Forschung von ServiKiD nicht nur als Adressatinnen und Adressaten von Wissensinhalten zu Kinderarmut verstanden, sondern darüber hinaus auch als Vermittlerinnen und Vermittler zu eigenen Lebens- und Erfahrungswirklichkeiten sichtbar gemacht. Hierfür wird die aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Wissensvermittlung, unter anderem im Rahmen von Veranstaltungen, gefördert.
Jugendliche Expertin bei der DJI-Jahrestagung am 08.11.2023
Bei der DJI-Jahrestagung „Jungsein in unsicheren Zeiten“ fand Session 5 am 08.11.2023 unter dem Titel „Unsichere Verhältnisse in unsicheren Zeiten – Armutserfahrungen und Deprivation bei Kindern und Jugendlichen“ statt. Neben wissenschaftlichen Beiträgen bereicherte ein dialogischer Vortrag zwischen der pädagogischen Leitung Dörthe Friess und der Jugendlichen Aicha Agrien (beide Einrichtung Lichtblick Hasenbergl) die Session.

Publikationen
Reisenauer, Eveline / Lüring, Klara (2025) Qualitatives Forschen im Kontext von Kindheit und Armut: Forschungsbegleitende methodische und ethische Reflexionen. In: Kämpfe, Karin / Menzel, Britta / Westphal, Manuela (Hrsg.) Forschen in Macht- und Ungleichheitsverhältnissen. Reflexionen aus Kindheits-, Jugend- und Familienforschung. Weinheim: Beltz Juventa, S. 215-227.
Autor:innenteam ServiKiD (2025) Fortschrittsbericht 2024 zur Umsetzung der Europäischen Garantie für Kinder in Deutschland. Empirische Grundlagen und Beteiligungsaktivitäten. In: BMFSFJ (Hrsg.) Erster Fortschrittsbericht zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans ‚Neue Chancen für Kinder in Deutschland‘. Deutscher Bundestag, Drucksache 20/14800. Berlin: BMFSFJ, S. 101–261.
Präsentationen
Reisenauer, Eveline (27.03.2025) Workshop „Qualitatives Forschen zu und mit ‚vulnerablen Gruppen‘“, Bayerischer Forschungsverbund ForFamily, digital.
Reisenauer, Eveline (18.03.2025) „Familien im Migrationskontext: Der Umgang mit Diversität und Transnationalität als Herausforderung für die Praxis der Sozialen Arbeit”, Arbeitstreffen der Jugendmigrationsdienste (JMD) und Migrationsberatungsstellen (MBE) des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe in RLP/Saarland, digital.
Reisenauer, Eveline (13.03.2025) Jugend-Workshop „Stark durch Migration: Kompetenzen und Ressourcen von jungen Menschen mit Migrationserfahrung“, Treffen des ServiKiD-Jugendteams (organisiert durch Jessica Knauer), Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI), München.
Reisenauer, Eveline (13.02.2025) „‚Da war mein Leben richtig im Arsch‘ – Kinder und Jugendliche in Armutslagen“, Frühjahrsempfang 2025 der SPD Puchheim „Kinder- und Jugendarmut in Deutschland – wenn aller Anfang noch schwerer ist“, Puchheimer Kulturzentrum.
Reisenauer, Eveline / Lüring, Klara (19.04.2024) „Danke, dass Sie uns zugehört haben! – Zur Unsichtbarkeit von Kinderarmut“, Jahrestagung der Sektion Soziologie der Kindheit in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie „Kindheitsforschung und ihre Öffentlichkeiten“, Leuphana Universität Lüneburg.
Lüring, Klara (25.03.2024) "ServiKiD: Qualitative Forschung", Rückspiegelung von Ergebnissen an eine beforschte soziale Einrichtung, München.
Reisenauer, Eveline (08.11.2023) „Qualitative Forschung mit Kindern und Jugendlichen im Kontext von Armutslagen“, DJI-Jahrestagung 2023 „Jungsein in unsicheren Zeiten. Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe und ihre Kooperationspartner“, Berlin.
Reisenauer, Eveline / Lüring, Klara (11.10.2023) „Stand der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der Umsetzung der EU-Kindergarantie in Deutschland“, Familienwissenschaftliche Kolloquienreihe „Familie am Mittag“, Abteilung „Familie und Familienpolitik“, Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI), digital.
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