Männliche Fachkräfte für die Arbeit in Kitas gewinnen
Norwegen verdreifachte innerhalb von 15 Jahren die Zahl männlicher Beschäftigter in Kindertageseinrichtungen. Doch das politische Bemühen lässt trotz des wachsenden Fachkräftemangels nach – in Norwegen und auch in Deutschland.
Von Tim Rohrmann, Kari Emilsen und Elin Birgitte Ljunggren
Ein seit mehreren Jahrzehnten in der deutschen und europäischen Bildungspolitik diskutiertes Problem ist der geringe Anteil männlicher Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. Bereits in den 1990er-Jahren wurde europaweit ein Männeranteil von 20 Prozent am pädagogischen Personal als Ziel formuliert (Netzwerk der Europäischen Kommission 1996). In der Folgezeit wurde das Thema von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Europäischen Kommission wiederholt aufgegriffen – und immer wieder wurde gefordert, Maßnahmen zur Gewinnung von mehr männlichen Fachkräften zu ergreifen (zum Beispiel European Commission 2011, OECD 2006). Auch in einer aktuellen Handreichung der OECD wird als eine von acht Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung vorgeschlagen, „Männer verstärkt zur Aufnahme einer Tätigkeit in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung [zu] ermutigen“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2019, S. 20). Als Vorbild und Best-Practice-Beispiel wird dabei immer wieder Norwegen genannt.
Tatsächlich ist Norwegen das Land mit dem weltweit höchsten Anteil männlicher Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. Zu verdanken ist dieser Erfolg langjährigen Bemühungen um die Gewinnung und Qualifizierung männlicher Beschäftigter. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit den politischen Strategien für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Norwegen, die im ersten Teil dieses Beitrages nachgezeichnet werden. Im zweiten Teil werden neuere Entwicklungen aus Norwegen berichtet und zum deutschen Modellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ in Bezug gesetzt.

Norwegen hat heute den weltweit höchsten Anteil männlicher Fachkräfte
In internationalen Vergleichen zur Umsetzung von Gleichstellung belegen die skandinavischen Länder stets die vorderen Plätze. Strategien für mehr Geschlechtergerechtigkeit sind in vielen gesellschaftlichen Bereichen institutionell verankert, und es besteht Einigkeit darüber, dass Männer und Frauen gleichermaßen für Kinder wichtig sind. Dennoch sind auch in Norwegen viele Arbeitsfelder nach Geschlecht segregiert. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung über 20 Jahre hinweg Strategien für mehr männliche Fachkräfte in Kindergärten (norwegisch barnehage) entwickelt. Ziel war und ist es, den Anteil auf 20 Prozent am pädagogischen Personal zu steigern (Emilsen 2012).
Dies wurde zum einen in Gesetzen und Rahmenplänen rechtlich verankert. Eine Verordnung über die Bevorzugung von Männern ermöglichte es norwegischen Kindergärten, Quotenregelungen einzuführen und Männer bei Neuanstellungen gegebenenfalls bevorzugt zu behandeln. Eine „moderate Quotierung“ zugunsten von Männern ist zulässig bei Stellen, deren Hauptaufgabe die Erziehung oder Betreuung von Kindern ist; so steht es im Paragraf 3a des norwegischen Gleichstellungsgesetzes (Emilsen 2012, S. 373).
Zum anderen wurde das Ziel eines ausgewogeneren Geschlechterverhältnisses im Personal von Kindertageseinrichtungen in vier Handlungsplänen (action plan for gender equality) konkretisiert und durch finanzielle Förderung von Maßnahmen umgesetzt. Der erste „Handlungsplan für die Rekrutierung von Männern für Kindergärten“ (2001–2003) zielte direkt auf die Anwerbung von Männern. Dazu wurden landesweit in allen Bezirken Netzwerke von Männern in Kindergärten (Menn i barnehagen, MIB) aufgebaut und eine nationale Website eingerichtet.
Ein zweiter „Handlungsplan für Gleichstellung in Kindergärten“ (2004–2007) baute auf der bisherigen Arbeit auf und stellte das Thema in den Kontext von Qualitätsentwicklung sowie der pädagogischen Arbeit in Kindergärten. Der dritte Handlungsplan (2008–2010) führte diesen Ansatz fort, bezog dabei aber auch die Grundschulen mit ein. Er beinhaltete zudem konkrete Maßnahmen im Bereich der Ausbildung und stellte noch mehr finanzielle Ressourcen bereit. Kindertageseinrichtungen, die bereits einen Männeranteil von 20 Prozent erreicht hatten, konnten „Demonstrationskindergärten“ werden und andere Einrichtungen informieren und beraten. Darüber hinaus wurden in allen Regionen Norwegens Rekrutierungsteams gebildet, um mehr Männer für ein Studium der Kindheitspädagogik zu gewinnen, Studienabbrüchen entgegenzuwirken und den Verbleib von Männern im Arbeitsfeld zu sichern.
Der vierte und letzte „Handlungsplan für die Gleichstellung der Geschlechter“ (2011–2014) zielte schließlich darauf ab, in möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen Strategien zur Gleichstellung umzusetzen. Für Kindertageseinrichtungen wurde am 20-Prozent-Ziel festgehalten, und erfolgreiche Maßnahmen wurden weitergeführt. Insgesamt erwies sich dieses langjährige Maßnahmenbündel als sehr wirksam: Im Zeitraum von 2000 bis 2014 verdreifachte sich die Zahl der männlichen Beschäftigten in norwegischen Kindertageseinrichtungen; ihr prozentualer Anteil am Personal stieg aber nur von 4,9 auf 8,6 Prozent, weil die Gesamtzahl der Beschäftigten – also auch der weiblichen – in dieser Zeit insgesamt deutlich anstieg. Das Ziel einer Erhöhung des Männeranteils am Kita-Personal auf 20 Prozent wurde damit nicht erreicht.
Das skandinavische Land setzt den Erfolgskurs nicht fort – trotz des wachsenden Fachkräftemangels
In den nachfolgenden Jahren änderte Norwegen allerdings den strategischen Fokus beim Thema Geschlechtergerechtigkeit. Fragen der Qualifikation von Fachkräften gewannen an Bedeutung. Zudem verschob sich die Aufmerksamkeit auf Diskurse zu Diversität und geschlechtlicher Vielfalt. Die Forderung nach mehr männlichen Fachkräften in der frühkindlichen Bildung verschwand dagegen von der politischen Agenda, und es wurden keine weiteren staatlichen Mittel mehr zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2021 wurde sogar die Finanzierung der nationalen Website eingestellt. Initiativen für mehr männliche Fachkräfte und Studierende im Arbeitsfeld, Fachkonferenzen sowie Forschung zu diesen Themen werden heute meist nur noch von engagierten Einzelpersonen auf regionaler und lokaler Ebene durchgeführt. Das bleibt nicht ohne Folgen: Zwar steigt der Anteil männlicher Fachkräfte in norwegischen Kindertageseinrichtungen weiter an und hat inzwischen 10 Prozent erreicht. Dies liegt aber nur daran, dass seit einigen Jahren die Anzahl weiblicher Beschäftigter sinkt. So hat sich das prozentuale Verhältnis der Geschlechter zwar verändert, jedoch ohne dass die reale Anzahl männlicher Beschäftigter deutlich gestiegen wäre.

Die Dynamik zur Gleichstellung der Geschlechter droht wieder abzuflauen
In Deutschland ist der Trend bislang noch positiver: Hier steigt die Anzahl männlicher Fachkräfte seit vielen Jahren zwar langsam, aber kontinuierlich an. Inzwischen arbeiten mehr als 59.000 Männer in deutschen Kindertageseinrichtungen; das entspricht einem Beschäftigtenanteil von 7,8 Prozent (Statistisches Bundesamt 2022). Dies ist nicht zuletzt dem erfolgreichen Bundesprogramm „MEHR Männer in Kitas“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zuzuschreiben. Von 2010 bis 2013 gab es eine nationale Koordinationsstelle, und es wurden auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zahlreiche Strategien und Maßnahmen für mehr männliche Fachkräfte und mehr Geschlechtergerechtigkeit entwickelt (Koordinationsstelle 2013/2014). Das zeigte schnell Wirkung: In der Folge ist die Zahl männlicher Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen erheblich gestiegen.
Umso erstaunlicher ist, dass das BMFSFJ (2019) weiterhin Norwegen als Best-Practice-Modell führt, die eigenen Erfolge aber nicht hervorhebt und Initiativen zum Thema mittlerweile wieder eingestellt hat. Auch die nationale Koordinationsstelle wurde nicht weitergeführt. Zwar gibt es noch einige regionale Initiativen (hervorzuheben ist das Programm der Stadt Hannover), aber ein bundesweiter Austausch erfolgt nur noch auf ehrenamtlicher Grundlage. Zu befürchten ist, dass die im vergangenen Jahrzehnt entwickelte Dynamik abflaut – wie in Norwegen bereits ein Jahrzehnt zuvor.
Das Beispiel Norwegen zeigt, dass nur langfristige Maßnahmen wirksam sind
Was kann der Blick nach Norwegen nun zeigen? Es ist wichtig, dass Strategien langfristig verfolgt und sowohl politisch als auch finanziell unterstützt werden (Rohrmann 2020). Die aktuelle Stagnation in Norwegen verdeutlicht die Notwendigkeit, Aktionsprogramme und Handlungspläne regelmäßig zu erneuern. Dabei müssen insbesondere die sogenannten Gatekeeper erreicht werden, die die Ausbildungs- und Berufsentscheidungen von jungen Männern beeinflussen, wie Lehrkräfte, Berufsberatungen oder das Leitungspersonal der Kindertageseinrichtungen. Darüber hinaus muss die gesellschaftliche Wertschätzung von Kindertagesbetreuung insgesamt steigen. Das Beispiel Norwegen macht deutlich, dass nur dann qualifizierte Fachkräfte für das Arbeitsfeld gewonnen werden können, wenn es attraktive Arbeitsplätze und Karrierewege für Männer und Frauen bietet.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2019): Gute Strategien für gute Berufe in der frühen Bildung. Acht Maßnahmen aus OECD-Ländern. Mit einem Vorwort von Bundesministerin Franziska Giffey. Berlin
Emilsen, Kari (2012): Mehr Männer in norwegischen Kindergärten. Politische und strategische Rekrutierungsmaßnahmen – ein voller Erfolg? In: Cremers, Michael u.a. (Hrsg.): Männer in Kitas. Opladen, S. 367–386
European Commission (2011): Early Childhood Education and Care. Providing all our children with the best start for the world of tomorrow. Communication from the commission. Brussels
Koordinationsstelle „Männer In Kitas“ (2013/2014): Analysen, Erfahrungen und Strategien. Handreichungen für die Praxis. Berlin
Netzwerk Der Europäischen Kommission Für Kinderbetreuung (1996): Qualitätsziele in Einrichtungen für kleine Kinder. Brüssel
Organisation Für Wirtschaftliche Zusammenarbeit Und Entwicklung (OECD) (2006): Starting Strong II. Early childhood education and care policy. Paris
Rohrmann, Tim (2020): Men as promoters of change in ECEC? An international overview. In: Early Years, H. 40 (1), S. 5–19
Statistisches Bundesamt (2002–2022): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2021. Wiesbaden
Statistisk Sentralbyrå (2021): Ansatte i barnehager, etter stilling og kjønn. Verfügbar unter: www.ssb.no/utdanning/barnehager/statistikk/barnehager

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 1/2023 von DJI Impulse „Frühe Bildung weiterentwickeln - Wie es um die Qualität der Kindertagesbetreuung in Deutschland steht und welche positiven Beispiele es aus anderen Ländern gibt“ (Download PDF).