Quereinstieg mit Perspektive

Menschen, die sich beruflich umorientieren wollen, sind in der Kindertagesbetreuung und Altenpflege willkommen. Erste Erfahrungen zeigen, dass auf diesem Wege motivierte und reflektierte Fachkräfte gewonnen werden können.

Von Mariana Grgic und Birgit Riedel

Seit einigen Jahren ist ein anhaltender Fachkräftemangel in sozialen Dienstleistungsberufen zu beobachten. Denn in Deutschland steigt demografiebedingt die Anzahl pflegebedürftiger Personen und zugleich wünschen sich immer mehr Eltern früh einen Betreuungsplatz für ihre Kinder. Dies hat zu einer enormen Personalexpansion auf dem Arbeitsmarkt dieser beiden sozialen Dienstleistungsberufe geführt, in denen überwiegend Frauen in Teilzeit beschäftigt sind. In Einrichtungen der stationären Altenpflege sowie der Kindertagesbetreuung arbeiten heute insgesamt mehr als 1,4 Millionen Menschen (inklusive Verwaltung und Hauswirtschaft/-technik), jeweils etwa zur Hälfte in der Altenpflege und in Kindertageseinrichtungen (Grgic u.a. im Erscheinen).

Mit diversen Maßnahmen wurde bereits versucht, mehr Personal zu gewinnen

Aktuellen Berechnungen des Forschungsverbunds Deutsches Jugendinstitut/TU Dortmund zufolge fehlen jedoch bis zum Jahr 2025 noch mindestens 310.000 zusätzliche pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen (Rauschenbach/Schilling/Meiner-Teubner 2017). Diese müssen zum Teil auch außerhalb der üblichen Rekrutierungswege gewonnen werden, da die Absolventinnen und Absolventen von Fach- und Hochschulen den Bedarf nicht decken können.

Eine ähnliche Situation ist in der Altenpflege zu erwarten. Aufgrund der seit Jahren anhaltenden Nachfrage nach Beschäftigten wurden bereits diverse Lösungsansätze diskutiert und umgesetzt – von der Ausweitung der Ausbildungskapazitäten über die Aktivierung der »Stillen Reserve« an Beschäftigten, die längere Zeit nicht mehr im Bereich der Kindertagesbetreuung bzw. Altenpflege tätig waren, bis hin zur Öffnung für neue Zielgruppen, wie Quereinsteigende, Männer und Fachkräfte aus dem Ausland.

Für diese neuen Zielgruppen werden beispielsweise in der Kindertagesbetreuung praxisintegrierte, verkürzte und vergütete Ausbildungsmodelle erprobt. Sie sollen die Attraktivität der Ausbildung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher auch für Personen steigern, die sich nach einer Berufstätigkeit in einem anderen Arbeitsfeld – häufig nach einer Unterbrechung durch Elternzeit, Krankheit oder Arbeitslosigkeit –  beruflich neu orientieren möchten.

DJI-Studie über Quereinstiege

Quereinstiege in die Kindertagesbetreuung beispielsweise über eine berufsbegleitende Ausbildung führen in der Regel zum Fachkraftabschluss. In der Altenpflege sind Quereinstiege nicht nur auf der Fachkraftebene, sondern auch auf Ebene der Pflegehelferinnen und -helfer möglich. Um förderliche Bedingungen für den Prozess des Quereinstiegs in die Kindertagesbetreuung und in die (stationäre) Altenpflege zu identifizieren, hat das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in den Jahren 2014 bis 2016 eine Studie durchgeführt, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Sie basiert auf Gruppendiskussionen mit Quereinsteigenden sowie Interviews mit Lehrenden an Fachschulen und Leitungskräften in der Kindertagesbetreuung und Altenpflege.

Als Grund dafür, dass sich Menschen nach einer ersten Phase der Berufstätigkeit für einen Quereinstieg in die Kindertagesbetreuung oder Altenpflege entscheiden, nennen die meisten Befragten den Wunsch nach einer weniger entfremdeten, interaktiven Tätigkeit mit Kindern bzw. älteren Menschen, persönliche Erfahrungen durch Engagement in den Einrichtungen der eigenen Kinder bzw. durch die Pflege eigener Angehöriger sowie das Interesse an einer sicheren Beschäftigungsperspektive. Um den Quereinstieg zu realisieren, müssen allerdings Hürden überwunden werden. Die befragten Quereinsteigenden und Fachleute aus Ausbildung und Praxis problematisieren, dass die Quereinsteigenden, die sich in der Regel parallel bei den Schulen, Einrichtungen und im Falle geförderter Umschulungen auch bei der Bundesagentur für Arbeit bewerben müssen, jeweils mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen konfrontiert sind. Während für eine Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit ein fortgeschrittenes Alter, eine kurze Phase der Arbeitslosigkeit oder eine gute Erstqualifikation von Nachteil sein können, sind bei Leitungen von Kindertages- und Altenpflegeeinrichtungen insbesondere persönliche Eignung, Berufserfahrung und Teamfähigkeit entscheidend. Diese müssen die Quereinsteigenden häufig vorab unter Beweis stellen. Die Gruppendiskussionen und Interviews legen nahe, dass durch gemeinsame Kriterien bei der Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern Enttäuschungen seitens aller Beteiligten und insbesondere Ausbildungsabbrüche wegen falscher Erwartungen an die Tätigkeit vermieden werden können.

Auch scheint es notwendig, Intensität und Inhalte der neuen Ausbildungsmodelle in der Praxis bekannt zu machen, um die fachliche Akzeptanz in den Kita-Teams zu unterstützen und einer Stigmatisierung von Quereinsteigenden als »Fachkräfte zweiter Klasse« entgegenzuwirken. Da viele Quereinsteigende schulische Ausbildung, praktische Arbeit sowie Familie vereinbaren müssen und in der Regel auf eine gesicherte und ausreichende Finanzierung der Ausbildungszeit angewiesen sind, verdienen die Rahmenbedingungen der Ausbildung besondere Beachtung. Sie wurden häufiger als Gründe für Abbrüche genannt als beispielsweise Überforderung durch den schulischen Lernstoff. Inhaltlich werden die Ausbildungsmodelle positiv bewertet. Die Quereinsteigenden erleben die direkte Reflexion der Praxiserfahrungen als wertvoll. Auch die befragten Einrichtungsleitungen heben die gute Vorbereitung der Auszubildenden durch eine starke Verzahnung von Theorie- und Praxisphasen hervor. Viele Fachschulen haben passende didaktische Konzepte und begleitende Lernunterstützung für die sehr heterogene Schülerschaft in den Quereinstiegsklassen entwickelt. Quereinsteigende werden zudem überwiegend als sehr engagierte Auszubildende mit guten Leistungen wahrgenommen, was auf deren reflektierte Entscheidung für den Quereinstieg zurückgeführt wird.

Die Expertinnen und Experten aus Schulen und Einrichtungen schreiben den Quereinsteigenden informelle Kompetenzen wie Lebenserfahrung, Reife, Handlungssicherheit, Empathie und Selbstreflexion zu und führen diese hauptsächlich auf ihr Lebensalter, aber beispielsweise auch auf Elternschaft zurück. Damit geht die Gefahr einher, dass Quereinsteigende nicht die nötige Unterstützung durch Praxisanleitung in den Einrichtungen bekommen und mitunter zu schnell als vollwertige Fachkräfte eingesetzt werden. Insbesondere am Beginn der Ausbildung führt das bei einigen zu einem Gefühl der Überforderung.

Im Gegensatz zu jüngeren Auszubildenden müssen die Quereinsteigenden eine qualifizierte Anleitung durch Vorgesetzte sowie Teamkolleginnen und -kollegen oftmals einfordern. Für eine fundierte Ausbildung ist die fachliche Begleitung durch Mentorinnen und Mentoren allerdings unerlässlich, um sich auf Basis des erlernten Wissens ein professionelles, situatives Handeln bei der Arbeit mit Kindern oder älteren Menschen anzueignen. Wenn ältere Quereinsteigende in der Ausbildung von jüngeren Kolleginnen und Kollegen angeleitet werden, kommt es jedoch mitunter zu Rollenkonflikten und Unsicherheiten. Zudem zeigen die Studienergebnisse, dass Quereinsteigende den Anspruch haben, ihr erlerntes fachliches Wissen sowie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse einzusetzen, um eine qualitativ hochwertige Dienstleistung zu erbringen. Dabei stoßen sie auch auf Widerstände, beispielsweise durch beinahe minutiös festgelegte Arbeitsstrukturen in der stationären Altenpflege oder durch den Unwillen von Kolleginnen und Kollegen, gewohnte Routinen zu verlassen. Allerdings profitieren sie an dieser Stelle häufig von ihrer Handlungssicherheit. Leitungskräften kommt dabei die wichtige Aufgabe zu, die Integration von Quereinsteigenden zu unterstützen und Konflikten vorzubeugen.

Einrichtungen müssen zu Personal- und Teamentwicklung bereit sein

Nach Meinung der interviewten Expertinnen und Experten aus der Praxis setzt ein gelungener Quereinstieg persönliche Eignung, erste Erfahrungen im Tätigkeitsfeld und Integrationsfähigkeit ebenso voraus wie eine fundierte Ausbildung auf Fachkraftebene. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich für eine erfolgreiche Integration und Bindung von Quereinsteigenden auch Kindertageseinrichtungen und Pflegeheime organisatorisch weiterentwickeln müssen. Sie müssen Personal- und Teamentwicklung betreiben, die Praxisanleitung stärken sowie die Zusammenarbeit mit den auszubildenden Schulen intensivieren, damit die Potenziale von Quereinsteigenden genutzt werden können.

Grgic, Mariana / Riedel, Birgit / Weihmayer, Lena Sophie / Weimann-Sandig, Nina / Wirner, Lisa (im Erscheinen): Quereinsteigende auf dem Weg zur Fachkraft. Erfahrungen in den Berufsfeldern Kindertagesbetreuung und Altenpflege. Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf

Rauschenbach, Thomas / Schilling, Matthias / Meiner-Teubner, Christiane (2017): Plätze. Personal. Finanzen - der Kita-Ausbau geht weiter. Zukunftsszenarien zur Kindertages- und Grundschulbetreuung in Deutschland. Dortmund/ München

Weimann-Sandig, Nina / Weihmayer, Lena Sophie / Wirner, Lisa (2016): Quereinstiege in Kindertagesbetreuung und Altenpflege. Ein Bundesländervergleich. Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf