Das Engagement sämtlicher Beteiligter fördern
Das finnische Evaluationssystem für frühkindliche Bildung hat vor allem die qualitative Weiterentwicklung der Einrichtungen im Blick. Gesetzlich sind die Evaluationen fest verankert, aber davon allein hängt ihr Gelingen nicht ab. Auch die Fachkräfte müssen sie als Mehrwert empfinden und denen, die sie ausführen, vertrauen.
Von Janniina Vlasov
Die Evaluierung der frühkindlichen Bildung und Betreuung ist herausfordernd. Häufig werden auf Grundlage von Evaluierungsergebnissen sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene weitreichende Schlussfolgerungen getroffen und politische Empfehlungen ausgesprochen. Daher ist es aus ethischer Sicht wichtig, die Prämissen und Werte zu diskutieren, die der Evaluation zugrunde liegen. Wenn diese lediglich Kontrollzwecken dient, beschränkt sie sich häufig auf Aspekte wie Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, die Qualifikation des Personals oder den Fachkraft- Kind-Schlüssel. In Finnland herrscht hingegen Einigkeit darüber, dass die Evaluation über die Überprüfung von Normen und Standards hinausgehen und sich mit den pädagogischen und erzieherischen Aspekten in einer Kindertageseinrichtung befassen muss, um die Qualitätsentwicklung der frühen Bildung zu fördern (Vlasov u.a. 2018).
Ähnlich wie in Deutschland werden keine kindlichen Fähigkeiten, zum Beispiel in den Bereichen Sprache oder Zahlenverständnis, getestet. Stattdessen konzentriert sich die Evaluation auf das frühkindliche Bildungsumfeld, die pädagogische Arbeit des Personals und die Einrichtungskultur – sowie auf die Voraussetzungen für das Lernen, die Entwicklung und das Wohlbefinden des Kindes, die sich aus diesen Faktoren ergeben (Nationales Curriculum 2022). Konkret betrachtet werden unter anderem die Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern, die Atmosphäre und Lernumgebung der Kindertageseinrichtung sowie die pädagogischen Entscheidungen des Personals. Zugleich werden auch die Strukturen einbezogen, die die Aktivitäten unterstützen und regeln – etwa die pädagogische Leitung, die Ausbildung, der Personalschlüssel und das Management der Dienste (Vlasov u.a. 2018).
Selbstevaluationen helfen dabei, eigene Stärken zu erkennen
Entsprechend der dezentralen Organisation der frühen Bildung in Finnland liegt die Verantwortung für Evaluationen in unterschiedlichen Händen. Auf nationaler Ebene werden sie vom Finnischen Zentrum für Bildungsevaluation (FINEEC) basierend auf Einrichtungsstichproben durchgeführt. Diese Evaluationen beruhen auf dem Prinzip der „enhancementled evaluation“ (Moitus/Kamppi 2020), das heißt, statt lediglich eine Bewertung der aktuellen Situation vorzunehmen, sind sie darauf ausgerichtet, qualitative Weiterentwicklungen anzuregen. Die Lernmöglichkeiten für das Personal und die Kita-Leitung werden als zentraler Bestandteil der Evaluation angesehen; außerdem wird die Bedeutung des Vertrauens zwischen Evaluator:in und Prozessbeteiligten hervorgehoben. Denn nur, wenn die Evaluation von den Kita-Fachkräften als relevant für die eigene Arbeit erlebt wird, erhöht diese die Bereitschaft für Veränderungen und unterstützt die kontinuierliche Qualitätsentwicklung.
Auf lokaler Ebene werden Evaluationen in Form von Selbstevaluationen durch die Kommunen und Einrichtungen durchgeführt – das regelt das Gesetz zur frühkindlichen Bildung und Betreuung (540/2018, 24 §). Es ermutigt die Träger und das pädagogische Personal, nicht nur die Bereiche zu identifizieren, in denen Entwicklungsbedarf besteht, sondern sich auch die vorhandenen Stärken bewusst zu machen. Das Hauptziel besteht darin, das Engagement und die Motivation sämtlicher Beteiligter zu fördern und ihnen bei der Weiterentwicklung ihrer Praktiken zu helfen. Da nicht vorgegeben ist, in welcher Weise und mit welchen Instrumenten diese Evaluationen zu erfolgen haben, hat sich in den Kommunen und Einrichtungen landesweit eine sehr unterschiedliche Praxis entwickelt.
Einheitliche Qualitätskriterien werden ausgearbeitet und Evaluationen mit zentraler Software erhoben
Im Jahr 2016 kritisierte ein OECD-Länderbericht das Fehlen einheitlicher nationaler Qualitätsziele und -kriterien und eines geeigneten landesweit einsetzbaren Evaluierungssystems in Finnland (OECD 2016). Im Jahr 2019 beauftragte das Ministerium für Bildung und Kultur daher FINEEC mit der Ausarbeitung forschungsbasierter Qualitätskriterien als Grundlage für nationale und lokale Evaluationen; FINEEC sollte außerdem mitwirken an der Entwicklung und Einführung einer digitalen Software zur Unterstützung der lokal durchgeführten Qualitätsevaluationen. Diese basieren auch weiterhin auf den Grundsätzen einer auf Verbesserung ausgerichteten Beurteilung, und die angewandte Methode ist immer noch die Selbstevaluierung. Das neue digitale System, das ab 2023 zum Einsatz kommen wird, soll Kommunen und Einrichtungsträger bei der Erhebung und Zusammenführung der Daten, der Erstellung von Berichten und der gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichung der Evaluationsergebnisse unterstützen.
Insgesamt zielt das in der Entwicklung befindliche Evaluierungssystem darauf ab, ein gleichwertiges Angebot in allen Kommunen zu stärken und die Teilhabe aller Kinder zu fördern. Auf lokaler Ebene unterstützt es die Entwicklung eines gemeinsamen Qualitätsverständnisses und eine entsprechende Steuerung der Qualitätsentwicklung. Auf nationaler Ebene sollen die von FINEEC entwickelten Instrumente und das digitale System es ermöglichen, die lokal generierten Daten für nationale Qualitätsbewertungen zu nutzen. Zusätzlich zu den Daten der Selbstevaluierung wird die FINEEC auch weiterhin externe Evaluierungen durchführen.
Die Definition von Qualität ist eng mit gesellschaftlichen Werten verbunden
Bei der Entwicklung eines nationalen Evaluierungssystems für die frühe Bildung müssen die ethischen Fragen im Zusammenhang mit einer standardisierten Qualitätsbewertung berücksichtigt werden. Während Qualität traditionell als wichtig erachtet wird und in vielen offiziellen Dokumenten verankert ist, stellt ihre Definition eine Herausforderung dar. Denn die Qualitätsdefinition in der frühen Bildung ist eng mit gesellschaftlichen und kulturellen Werten verbunden, die beeinflussen, was die Einrichtungen anstreben und warum etwas als wichtig erachtet wird (Dahlberg u.a. 2007, Pence/Moss 1994). Da Werte und Kulturen einem ständigen Wandel unterliegen und von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden – beispielsweise von aktueller Zuwanderung –, müssen auch die der Evaluation zugrunde gelegten Qualitätskriterien selbst regelmäßig überprüft werden.
Auch Erfahrungen der Kinder sollen berücksichtigt werden
Die Entwicklung eines neuen Monitoringsystems in Finnland begann mit einer systematischen und visionären Planung des Evaluationsrahmens gemeinsam mit allen Beteiligten, wie etwa Forscher:innen aus dem Bereich frühe Bildung, lokalen Akteur:innen der Kindertagesbetreuung und Elternvereinigungen. Dieser partizipative Ansatz hat den Umsetzungsprozess unterstützt. Da der Schwerpunkt auf der Selbstevaluation der lokalen Behörden und der pädagogischen Fachkräfte liegt, bestand der erste Schritt darin, Ziele auf der Ebene pädagogischer Prozesse festzulegen. Um zu definieren, was im Bereich der frühen Bildung als Qualität angesehen wird, wurde neben den Diskussionen mit Stakeholdern eine umfangreiche Forschungsübersicht erstellt. Dies bildete die Grundlage für das gemeinsame Verständnis dessen, was evaluiert werden sollte. Die Forschung deutet jedoch darauf hin, dass Qualitätsindikatoren und -kriterien möglicherweise solche Aspekte nicht berücksichtigen, die für das Verständnis der Qualität, die ein einzelnes Kind erfährt und erlebt, wesentlich wären (Paananen 2017). Zusätzlich zum digitalen System ist es daher notwendig, verschiedene Evaluierungsmethoden – wie Beobachtung – zu entwickeln und zu nutzen, um sicherzustellen, dass der Erfahrung der Kinder genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Dahlberg, Gunilla / Moss, Peter / Pence , Alan (2007): Beyond Quality in Early Childhood Education and Care: Languages of Evaluation. London
Moitus, Sirpa / Kamppi, Päivi (2020): Enhancement-led evaluation at the Finnish Education Evaluation Centre. Summaries 11:2020. Helsinki
Moss, Peter / Pence, Alan (Hrsg.) (1994): Valuing Quality in Early Childhood Services. London
National Core Curriculum On Early Childhood Education And Care (2022): Regulation OPH-700-2022. Helsinki
OECD (2016): Starting Strong IV: Monitoring Quality in Early Childhood Education and Care. Country Note: Finland, Paris
Paananen, M. (2017): Imaginaries of Early Childhood Education: Societal roles of early childhood education in an era of accountability. University of Helsinki
Vlasov, Janniina u.a. (2018): Guidelines and recommendations for evaluating the quality of early childhood education and care. Helsinki

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 1/2023 von DJI Impulse „Frühe Bildung weiterentwickeln - Wie es um die Qualität der Kindertagesbetreuung in Deutschland steht und welche positiven Beispiele es aus anderen Ländern gibt“ (Download PDF).