Freundschaft in der Krise

Für Kinder war und ist der Kontakt zu ihren Freunden und Freundinnen im Corona-Alltag zeitweise deutlich erschwert. Das trifft vor allem die Jüngsten, die digitale Medien nur begrenzt nutzen können.

Von Alexandra Langmeyer, Thorsten Naab und Ursula Winklhofer

Mit dem Beschluss der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen infolge der Corona-Krise ab Mitte März 2020 hat sich der Alltag von Kindern vollkommen verändert: Krippen, Kindergärten und Schulen konnten nur im Rahmen der Notbetreuung von einem ganz kleinen Teil besucht werden; erst nach und nach wurden sie wieder für weitere Kinder geöffnet. Gleichzeitig waren Spielplätze für längere Zeit gesperrt und persönliche Kontakte zu Personen außerhalb der eigenen Familie kaum oder gar nicht möglich. Die Ergebnisse einer bundesweiten Befragung mitten im Lockdown von mehr als 12.000 Eltern sowie von 22 qualitativen Interviews mit Eltern und Kindern in der Phase erster Öffnungen im Rahmen der Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) „Kind sein in Zeiten von Corona“ zeigen unter anderem, dass die deutlichen Einbußen an Kontakten zu ihren Freunden und Freundinnen für Kinder eine gravierende Veränderung des Lebensalltags darstellen.

Ein Großteil der befragten Eltern (89 Prozent) berichtet, dass die Zeit, die ihre Kinder mit Freunden und Freundinnen verbringen, deutlich weniger geworden ist. Dennoch gelang es der Mehrheit der Kinder, auch während der strengen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen die Beziehung zu ihren Freunden und Freundinnen aufrechtzuerhalten: Insgesamt 43 Prozent hatten durch persönliche Treffen, Treffen mit Abstand, per Brief und Telefon oder mithilfe digitaler Medien häufigen bis sehr häufigen Kontakt; gut die Hälfte der Kinder (53 Prozent) hatte immerhin sporadischen (manchmal bis selten) Kontakt. Nur 5 Prozent der Kinder hatten gar keinen Kontakt zu ihren Freunden und Freundinnen. Insgesamt berichten Eltern von Mädchen von häufigerem Kontakt ihrer Töchter zu ihrem Freundeskreis als Eltern von Jungen. Etwas weniger Mädchen als Jungen hatten während der Corona- Maßnahmen gar keinen Kontakt.

Ich arbeite von zu Hause mit einer Lernplattform, über die ich auch mit meinen Freunden reden kann. Deswegen ist es jetzt nicht so, dass ich komplett ohne Gesellschaft bin.
Thomas, 14 Jahre

Vor allem für die jüngeren Kinder im Kindergartenalter gestaltete sich der Austausch mit Freundinnen und Freunden schwierig: Während es mehr als drei Vierteln der älteren Kinder in der Sekundarstufe (78 Prozent) gelingt, insbesondere mit Unterstützung von digitalen Medien, häufigen Kontakt zu ihren Freunden zu halten, fällt dies Kindern im Grundschulalter (38 Prozent) und insbesondere Kindern im Kindergartenalter (26 Prozent) deutlich schwerer. Wenngleich mit den Lockerungen der Beschränkungen im Laufe der Zeit die Anzahl der Kinder ohne jeglichen Kontakt zu Freunden und Freundinnen etwas abnahm, machten die Kinder in den geführten Interviews deutlich, dass sie einen intensiveren Austausch mit Gleichaltrigen sehr vermissen.

Die schrittweise Schul- und Kita-Öffnung schafft zunächst kaum Abhilfe

Von besonderer Bedeutung für die Pflege der Peer-Beziehungen ist der Neustart in der Schule gewesen, denn Schulkinder treffen ihre Freundinnen und Freunde vor allem dort (Wolfert/Pupeter 2018). Allerdings fand Schule in dieser ersten Phase nach dem Lockdown nur in sehr reduzierter Form und mit zahlreichen Auflagen und Hygieneregeln statt. Dementsprechend frustriert berichten die interviewten Kinder von ihren Erfahrungen in den wiedereröffneten Schulen: „Man sieht sich, aber man hat trotzdem noch viel mehr Entfernung, weil sich eben die Gruppen nicht vermischen dürfen, und es ist sehr schwer, dann nicht zu seiner Freundin zu rennen und sie zu umarmen und zu sagen: Ich hab dich so vermisst, komm her!“ (Maja, 11 Jahre*).

Aufgrund der umfänglichen Einschränkungen für einen persönlichen Austausch verwundert es nicht, dass Kinder alternative Wege nutzen, um in Kontakt mit ihren Freundinnen und Freunden zu bleiben. Wenngleich über alle Altersgruppen hinweg Textnachrichten, Videochat, Telefon und aufgenommene Videobotschaften die wichtigsten Kommunikationsformen für Kinder sind (siehe Abbildung 1), zeigen sich zwischen Kindergarten- und Grundschulkindern sowie Kindern im Sekundarstufenalter teilweise deutliche Unterschiede: Zum einen steigt mit dem Alter die Intensität der Nutzung medial vermittelter Kontakte mit Freundinnen und Freunden; zum anderen nimmt die Bedeutung von Textnachrichten mit steigender Lese- und Schreibkompetenz der Kinder zu.

Insgesamt 68 Prozent der Eltern von Kindern im Sekundarstufenalter geben an, dass ihr Kind mindestens häufig diese Kommunikationsform nutzt, um sich mit Freundinnen und Freunden auszutauschen. Dies ist bei lediglich 16 Prozent der Grundschulkinder der Fall und fällt bei Kindern im Kindergartenalter kaum ins Gewicht (7 Prozent). In den Ergebnissen zeigt sich ebenfalls die Bedeutung, die soziale Online-Netzwerke für den Austausch zwischen älteren Kindern haben. Während diese Kontaktmöglichkeit für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter von vernachlässigbarer Bedeutung ist (1 beziehungsweise 2 Prozent), nutzt ein Fünftel der Kinder im Sekundarstufenalter mindestens häufig diese Form der Vernetzung, um mit dem Freundeskreis im Austausch zu bleiben. Den Kontakt über Brief und E-Mail suchen Kinder über alle Altersgruppen hinweg nur vereinzelt. Hervorzuheben ist, dass sich ein Teil der Kinder trotz strenger Kontaktbeschränkungen manchmal auch persönlich mit einzelnen Freundinnen und Freunden getroffen hat.

Bei Kindern und Jugendlichen zeigen sich drei unterschiedliche Kontakttypen

Betrachtet man die Kommunikationsmöglichkeiten in ihren Kombinationen, dann lassen sich anhand von Clusteranalysen drei Typen der Kontaktpflege klassifizieren: medial-intensive Kontaktpflege (18 Prozent), traditionell-persönliche Kontaktpflege (36 Prozent) und limitierte Kontaktpflege (46 Prozent). Der Typ der medial-intensiven Kontaktpflege, dem insbesondere Kinder im Sekundarstufenalter und Kinder aus ländlicheren Regionen zugehören, ist geprägt von generell sehr häufigen Kontakten zu Freunden und Freundinnen vor allem über Textnachrichten, Videobotschaften, soziale Online-Medien, Videochat sowie Telefon. So berichtet Benny, 11 Jahre: „Ich bin auch in einem Kinder- und Jugendclub, […] der hat dann auch Angebote [übers Internet weitergeführt]; und mit meinen Freunden habe ich mich dann nicht mehr so getroffen, sondern nur noch über Online-Seiten.“

Im Gegensatz dazu bevorzugen Kinder mit einer traditionell- persönlichen Art der Kontaktpflege eher persönliche Treffen mit Abstand, Telefonate sowie Videochats, bei denen man sich ähnlich wie beim persönlichen Treffen auch sehen kann. Dabei sind insbesondere für Schulkinder der Austausch und die gegenseitige Hilfestellung über schulische Aufgaben in der Homeschooling-Situation ein wichtiger Kontaktanlass, denn „als wir zum Beispiel in der Schule noch keine Videokonferenzen gemacht haben, haben wir das so gemacht, dass wir ganz oft telefoniert haben und dann beim Lernen das zusammen gemacht haben“ (Maja, 11 Jahre*). Dieser Typ der Kontaktpflege ist vor allem bei Grundschul- und Kindergartenkindern sowie etwas häufiger in städtisch geprägten Wohngebieten zu finden. Insgesamt liegt die Kontakthäufigkeit bei diesem Typ eher im mittleren Bereich.

Ich kann nicht mehr normal zur Schule gehen, ich habe jetzt nur noch an einem Tag Unterricht. Ich würde sehr gerne mehr mit anderen zusammen sein. Das hat mir Corona geklaut.
Hannelore, 6 Jahre

Mit Abstand am wenigsten Kontakt zu Freundinnen und Freunden haben Kinder des Typs der limitierten Kontaktpflege, die sich über alle Wege – persönlich oder medial vermittelt – nur sehr selten austauschen. Dies betrifft vor allem Kinder im Kindergartenalter und Grundschulkinder, die die Möglichkeiten über verschiedene Medien nur begrenzt nutzen können und auf die Unterstützung von Eltern angewiesen sind.

Wenig Kontakt zum Freundeskreis korreliert häufiger mit emotionalen Problemen

Untersucht man den Zusammenhang der drei Typen der Kontaktpflege mit Verhaltensproblemen der Kinder, dann fällt auf, dass – auch unter Kontrolle der Altersunterschiede zwischen den drei Typen – Kinder, die zum Typ mit limitierter Kontaktpflege zählen, etwas häufiger emotionale Verhaltensprobleme (gemessen mit dem „Strengths and Difficulties Questionnaire“, SDQ) zeigen als die der beiden anderen Typen. Eltern dieser Kinder berichten etwas häufiger, dass ihre Kinder traurig sind und sich Sorgen machen, Ängste haben, aber auch über symptomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen klagen (siehe Abbildung 2). Zwischen den anderen beiden Typen des Kontakts ergeben sich bezogen auf emotionale Probleme keine Unterschiede.

Zusammenfassend verdeutlichen die Ergebnisse der DJI-Studie zunächst, wie wichtig es für Kinder ist, dass sie Kontakt zu anderen Kindern haben. Zweifelsohne reiht sich die Studie damit ein in einen breiten Kanon bestehender Forschung zur Bedeutung von Peer-Beziehungen in Kindheit und Jugend (Reinders 2015). Gleichfalls zeigen die Ergebnisse auf, dass es Kindern in einer Ausnahmesituation, wie sie die Corona-Krise darstellt, gelingen kann, die Beziehung zu Freundinnen und Freunden aufrechtzuerhalten. Hier deutet sich über die Elternbefragung und die Interviews mit den Kindern an, dass eine ausreichende Lese- und Schreibkompetenz sowie Medienbildung bei den Kindern helfen, das Auftreten möglicher negativer Folgen der Kontakteinschränkungen zu mindern.

Langmeyer, Alexandra u.a. (2020): Kind sein in Zeiten von Corona. Ergebnisbericht. Im Erscheinen. München

Reinders, Heinz (2015): Sozialisation in der Gleichaltrigengruppe. In: Hurrelmann, Klaus u.a. (Hrsg.): Handbuch Sozialisationsforschung. Weinheim/Basel, S. 393–413

Wolfert, Sabine / Pupeter, Monika (2018): Freundschaften: Soziales Erprobungsfeld für Kinder. In: World Vision Deutschland (Hrsg.): Kinder in Deutschland 2018. 4. World Vision Kinderstudie. Weinheim/Basel, S. 126–147

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2020 von DJI Impulse „Im Krisenmodus: Wie das Coronavirus den Alltag von Eltern und Kindern verändert“ (Download PDF).

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