Eltern müssen flexibel sein
Obwohl Kindertageseinrichtungen und Schulen im Sommer 2020 allmählich wieder regulär öffnen, besuchen das Betreuungsangebot zunächst weniger Kinder als vor der Pandemie.
Von Kerstin Lippert, Jeffrey Anton, Diana Schacht und Susanne Kuger
Fast sechs Millionen Kinder im Alter von unter zwölf Jahren waren im Frühjahr 2020 bundesweit davon betroffen, dass Schulen und Angebote der Kindertagesbetreuung geschlossen wurden. Besonders deren erwerbstätige Eltern mussten zeitweise entsprechend geltenden Bundes- und Landesregularien ihre Kinder vollständig zu Hause betreuen (Müller u.a. 2020). Die sukzessive Rückkehr zum Regelbetrieb in Kindertageseinrichtungen, Tagespflege und Grundschulen erfolgte in den Bundesländern in unterschiedlicher Geschwindigkeit unter teilweise unterschiedlichen Bedingungen. Repräsentative Daten über die Kinderbetreuungssituation während der Corona-Pandemie liegen bislang jedoch nur begrenzt vor (Bundesfamilienministerium 2020).
Auf Basis bisher unveröffentlichter Daten der Kinderbetreuungsstudie 2020 (KiBS) des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und einer in diesem Rahmen durchgeführten Zusatzbefragung von etwa 29.000 Eltern lässt sich die Betreuungssituation für Kinder ab der Geburt bis ins Grundschulalter von Ende März bis Ende Juli 2020 beschreiben. Dabei werden die Kinder unter drei Jahren, ab drei Jahren bis zur Einschulung und im Grundschulalter getrennt betrachtet, da sie je nach Altersgruppe unterschiedlich betreut werden: in der Tagespflege, der Krippe, im Kindergarten und in der Grundschule sowie gegebenenfalls zusätzlich in einer Betreuungseinrichtung für Schulkinder. Die folgenden Befunde basieren auf ungewichteten Daten. Dadurch kann es vorkommen, dass bestimmte Personengruppen, etwa Eltern, die keine Kindertagesbetreuung für ihr Kind nutzen, in den Ergebnissen unterrepräsentiert sind.
Befragungen in den fünf Phasen der Kita und Schulöffnung
Die schrittweise Öffnung der Kindertagesbetreuung nach dem Lockdown kann in vier (beziehungsweise fünf) Phasen eingeteilt werden. Hatten in der ersten Phase vor allem Eltern, die in einem systemrelevanten Bereich arbeiten, Zugang zu Kinderbetreuungsangeboten, wurde dieser in der zweiten Phase für Gruppen wie beispielsweise erwerbstätige Alleinerziehende erweitert. Mit dem Eintritt in Phase 3 war laut Landesministerien in der Regel für alle Kinder mindestens ein reduzierter Betreuungsumfang wieder möglich. Phase 4 kennzeichnete die Rückkehr zum „Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“. Für diese Analyse wurde diese Sortierung um eine fünfte Phase ergänzt: Diese setzte mit dem Beginn der Sommerferien ein, als viele Betreuungsangebote zeitweise gar nicht oder nur im Rahmen der „Ferienbetreuung“ verfügbar waren.
Die Wiederaufnahme des (Grund-)Schulbetriebs nach dem Lockdown verlief uneinheitlich und nach unterschiedlichen Gruppentrennungs-, Fern- beziehungsweise Online-Beschulungskonzepten. Eine vollständige Übersicht darüber existiert nach eigenen Recherchen bisher nicht. Daher wird die im jeweiligen Bundesland zu einem bestimmten Zeitpunkt geltende Kita-Öffnungsphase auf den Schulbereich übertragen, um diese näherungsweise abbilden zu können.
Nur sehr wenige Eltern können anfangs auf eine Notbetreuung bauen
Die Eltern wurden im Rahmen von KiBS dazu befragt, wie ihr Kind „üblicherweise“ betreut wird und wie sich die Betreuungssituation unter Pandemiebedingungen darstellt. Für die erste Phase der Öffnung des Kita- und Schulbetriebs nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 zeigen die Daten, dass mehr als drei Viertel der befragten Eltern die Betreuung ihrer Kinder vollständig alleine übernommen haben (siehe Abbildungen für Kinder unter drei Jahren, für Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt und für Grundschulkinder). Nur sehr wenige Eltern (zwischen 3 und 7 Prozent) konnten in Phase 1 auf eine „Notbetreuung“ für ihr Kind zurückgreifen. Auch der Anteil der Kinder, die durch ihre Großeltern betreut wurden, reduzierte sich drastisch von rund 40 Prozent vor der Pandemie auf – je nach Altersgruppe – 6 bis 13 Prozent.
In den beiden darauffolgenden Phasen 2 und 3 zeigte sich, dass Eltern wieder zunehmend auf ein Angebot der Kindertagesbetreuung und auch auf Unterstützung durch die Großeltern zurückgreifen konnten – allerdings fiel die Zunahme bei der Großelternbetreuung deutlich geringer aus. Entsprechend sank der Anteil ausschließlich von den Eltern betreuter Kinder von Phase 1 zu 2, je nach Altersgruppe, zunächst leicht um 4 bis 6 Prozentpunkte, von Phase 2 zu 3 dann deutlich um weitere 11 bis 13 Prozentpunkte.
Während die Betreuungssituation für die jüngsten Kinder in den Phasen 4 und 5 weitgehend stabil blieb, zeigten sich bei den beiden älteren Altersgruppen vor allem mit Beginn der Sommerferien (Phase 5) erneut starke Veränderungen: So erhöhte sich bei den Grundschulkindern der Anteil, der alleine durch die Eltern betreut wurde, um 11 Prozentpunkte gegenüber Phase 4; bei den Kindergartenkindern sank er hingegen um 4 Prozentpunkte. Aufgrund weniger Befragter in Phase 4 und 5 sind die Werte allerdings mit einer größeren Unsicherheit verbunden.
Vor allem erwerbstätige Mütter nutzen die Kindertagesbetreuung
Inwiefern verschiedene Familienmerkmale die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ein bestimmtes Betreuungsarrangement zu nutzen – beispielsweise, dass ein Kind während der Corona-Pandemie alleine durch die Eltern oder mitunter von den Großeltern betreut wurde oder ein öffentliches Kinderbetreuungsangebot besuchen konnte –, wurde anhand logistischer Regressionen geprüft. Als Familienmerkmale fließen der Familienstatus (Paarfamilie oder alleinerziehender Elternteil), der Migrationshintergrund (mindestens ein Elternteil oder das Kind sind zugewandert), die Erwerbstätigkeit der Mutter, der höchste Bildungsabschluss der Eltern sowie die Arbeit der Eltern in einem systemrelevanten Beruf mit in die Berechnungen ein.
Eine durchgängig wichtige Rolle für die Betreuungssituation spielte in allen fünf Phasen des Öffnungsgeschehens die Erwerbstätigkeit der Mutter: Die mittlere Wahrscheinlichkeit, ausschließlich durch die Eltern betreut zu werden, war für Kinder geringer, wenn ihre Mutter erwerbstätig ist. Dies gilt unabhängig vom Umfang der Arbeitszeit, wenngleich die Wahrscheinlichkeit bei einer Vollzeitbeschäftigung am geringsten ist. Entsprechend war bei erwerbstätigen Müttern in allen Öffnungsphasen die Wahrscheinlichkeit höher, ein öffentlich gefördertes Kinderbetreuungsangebot zu nutzen, als bei Müttern, die nicht erwerbstätig sind.
Auch der Beruf der Eltern ist für die Betreuungssituation relevant: Wenn mindestens ein Elternteil in einem systemrelevanten Bereich arbeitet, war in allen fünf Phasen die Wahrscheinlichkeit einen Betreuungsplatz zu nutzen, um 17 bis 30 Prozentpunkte höher als bei Familien, in denen kein Elternteil in einem systemrelevanten Bereich tätig ist. Entsprechend weniger wahrscheinlich war es, dass diese Eltern ihre Kinder alleine betreuten (–12 bis–18 Prozentpunkte).
Alleinerziehende betreuen Kinder seltener ausschließlich selbst
Als weitere relevante Einflussgröße für die Betreuungssituation während der Corona Pandemie erwies sich der Familienstatus: Die Wahrscheinlichkeit, dass Alleinerziehende ihr Kind ausschließlich selbst betreuen, war vor allem in den ersten beiden Phasen signifikant niedriger als bei Paarfamilien (Unterschied der Wahrscheinlichkeiten, ausschließlich selbst zu betreuen: –13 bis –15 Prozentpunkte). Die Großeltern in die Betreuung einzubeziehen oder ein Angebot der Kindertagesbetreuung in Anspruch zu nehmen, war für alleinerziehende Elternteile entsprechend wahrscheinlicher als für Paarfamilien, besonders in den Phasen 2 und 3. Auch in Phase 4 war es für Alleinerziehende wahrscheinlicher, auf die Großeltern und Kindertagesangebote zurückzugreifen, wenngleich dieser Effekt aufgrund der geringen Fallzahlen hier nicht signifikant ist. Weitere Familienmerkmale, wie die Bildung der Eltern und ein Migrationshintergrund von wenigstens einem Elternteil oder des Kindes selbst, spielen für die unterschiedlichen Betreuungskonstellationen während der Pandemie nur eine untergeordnete Rolle.
Neuer Regelbetrieb garantiert Familien noch keine Normalität
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass in allen Phasen des Öffnungsgeschehens insbesondere Eltern in systemrelevanten Berufen Zugang zu Angeboten der Kindertagesbetreuung hatten und dieser ansonsten überwiegend nach sozialen Kriterien und Dringlichkeit in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestaltet wurde. Besonders interessant ist dies im Hinblick auf die späteren Phasen der Öffnung des Kita- und Schulbetriebs (Phasen 3 bis 5) und die vielerorts vollzogene Rückkehr zum vollständigen Regelbetrieb. Denn für viele Familien war auch dann noch keine Normalität im Vergleich zur Betreuungssituation vor der Pandemie eingetreten. Zwar wurde während der pandemiebedingten Einschränkungen das reduzierte Betreuungsangebot vor allem für Alleinerziehende und Eltern aus bestimmten Berufsgruppen vorgehalten, doch selbst nachdem das Betreuungsangebot in Phase 4 wieder allen Eltern zugänglich gemacht wurde, nahmen deutlich weniger Familien ein Betreuungsangebot wahr als zuvor.
Etwa die Hälfte der Kinder in allen drei Altersgruppen wurde nach Auskunft der Eltern zum Erhebungszeitpunkt weiterhin ausschließlich von den Eltern betreut. Dies lässt sich nicht darauf zurückführen, dass bereits in einigen Bundesländern die Sommerferien begonnen hatten, da diese in der vorliegenden Analyse Phase 5 zugeordnet und in Phase 4 nur befragte Eltern einbezogen wurden, in deren Bundesland zu diesem Zeitpunkt Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen herrschte. Ob die Gründe für die geringere Inanspruchnahme der Kindertagesbetreuung beispielsweise Gruppenschließungen aufgrund von Corona-(Verdachts-)Fällen waren oder ob manche Eltern ihr Kind zu Hause betreut haben, weil sie Angst davor hatten, ein besonders gefährdetes Familienmitglied anzustecken oder die Kinder mit dem ständigen Wechsel zu überfordern, bleibt unklar. Auch die Hilfe von Großeltern bei der Kinderbetreuung wurde – entsprechend dem allgemeinen Abstandsgebot und den Empfehlungen zum Schutz von Risikogruppen – weniger in Anspruch genommen.
Angesichts der zweiten Infektionswelle werden Eltern vermutlich auch weiterhin ein hohes Maß an Flexibilität in der Betreuung ihrer Kinder aufbringen müssen. Zugleich müssen Lösungen erarbeitet werden, die den Eltern mehr Sicherheit hinsichtlich ihrer Alltagsplanung sowie substanzielle Entlastung bringen.
Die Kinderbetreuungsstudie (KiBS) des Deutschen Jugendinstituts (DJI) ist eine jährliche bundeslandrepräsentative Befragung von etwa 33.000 Eltern von Kindern unter 12 Jahren. Die Untersuchungsschwerpunkte der Studie sind die aktuelle Betreuungssituation sowie die elterlichen Betreuungsbedarfe, die von den Eltern wahrgenommene Qualität der Kindertagesbetreuung und die Gründe dafür, weshalb Eltern kein Betreuungsangebot für ihr Kind nutzen. Ende März 2020 wurde die diesjährige KiBS-Erhebung um ein Zusatzmodul zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kinderbetreuung ergänzt. Bis Ende Juli wurden etwa 29.000 Eltern zu ihrer aktuellen Betreuungssituation befragt und dazu, inwiefern diese von der „üblichen“ Betreuungssituation abweicht, aber auch, welche Unterstützung sie bei der Organisation der Betreuung erhielten und wie sich ihre Erwerbstätigkeit verändert hat.
Die Stichprobe der Zusatzerhebung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie ist im Vergleich zu anderen Studien sehr groß, jedoch nicht repräsentativ für Deutschland. Da die Eltern zu verschiedenen Zeitpunkten befragt wurden – und sich nur zu diesem Zeitpunkt geäußert haben –, liegt von allen Befragten nur zu jeweils einer bestimmten Kita- beziehungsweise Schulöffnungsphase eine Auskunft vor. Mithilfe von logistischen Regressionen wurden durchschnittliche marginale Effekte berechnet, anhand derer Aussagen darüber getroffen werden können, ob bestimmte Personengruppen sich in ihrer Wahrscheinlichkeit unterscheiden, ein bestimmtes Betreuungsarrangement zu nutzen. Die Personengruppen wurden anhand von Familienmerkmalen gebildet. Hierzu zählt beispielsweise, ob es sich um eine Paarfamilie oder einen alleinerziehenden Elternteil handelt, ob die Mutter erwerbstätig ist und ob die Eltern in einem systemrelevanten Beruf arbeiten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanziert die Studie und veröffentlicht in der Broschüre „Kindertagesbetreuung Kompakt“ regelmäßig die wichtigsten KiBS-Ergebnisse zum Ausbaustand und Bedarf von Kita-Plätzen.
Anton, Jeffrey / Hubert, Sandra / Kuger, Susanne (2020): DJI-Kinderbetreuungsreport 2020. Betreuungsbedarf und Passung bei U3- und U6-Kindern in Deutschland. Im Erscheinen. München
Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) (2020): Erste Ergebnisse einer repräsentativen Online-Befragung von Eltern von betreuungsbedürftigen Kindern. Befragungszeitraum: 16. April–3. Mai 2020, durchgeführt vom Institut für Demoskopie Allensbach
Müller, Kai-Uwe u.a. (2020): Corona-Krise erschwert Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Mütter – Erwerbstätige Eltern sollten entlastet werden. In: DIW Wochenbericht 19/2020. Berlin, S. 331–340
Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2020 von DJI Impulse „Im Krisenmodus: Wie das Coronavirus den Alltag von Eltern und Kindern verändert“ (Download PDF).