Von der Notbetreuung zum Regelbetrieb

Eigentlich hatten sich die Länder auf eine gemeinsame Strategie bei der schrittweisen Wiederöffnung der Kindertageseinrichtungen geeinigt. Am Ende erfolgte die Rückkehr zum Regelbetrieb jedoch uneinheitlich.

Von Christiane Meiner-Teubner 

Mit dem nahezu vollständigen Herunterfahren des sozialen Lebens in Deutschland aufgrund der vermehrten Ausbreitung von Covid-19 wurde Mitte März 2020 auch ein Betretungsverbot beziehungsweise die Schließung von Kindertagesbetreuungsangeboten angeordnet. Lediglich die Kindertagespflege war davon nicht in allen Regionen betroffen. Um die Grundversorgung der Bevölkerung in Deutschland sicherzustellen, gab es für einen kleinen Teil der Familien von Anfang an die Möglichkeit, die Angebote weiterhin zu nutzen. Konkret waren das Kinder, deren Eltern beide in sogenannten systemrelevanten Berufen (wie in der Krankenpflege, bei der Polizei oder in Supermärkten) tätig sind und deren Betreuung nicht anderweitig organisiert werden konnte. Nach und nach öffneten die Länder die Angebote zu unterschiedlichen Zeitpunkten und für unterschiedliche Gruppen. In der Sitzung der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) vom 28. April 2020 haben sich die Länder dann auf einen gemeinsamen Rahmen und ein gemeinsames Vorgehen für einen stufenweisen Prozess zur Öffnung der Kindertagesbetreuung verständigt. Die konkreten Entscheidungen für die nächsten Schritte lagen allerdings bei den Ländern, die diese „unter sorgfältiger Abwägung und Einordnung bestehender Risiken“ (JFMK 2020, S. 1) treffen wollten.

Länder einigen sich grundsätzlich auf ein Vier-Phasen-Modell

In diesem gemeinsamen Rahmen wurden seitens der JFMK folgende vier Phasen einer stufenweisen Öffnung beschrieben: Phase 1: Eingeschränkte Notbetreuung; Phase 2: Flexible und stufenweise Erweiterung der Notbetreuung; Phase 3: Eingeschränkter Regelbetrieb sowie Phase 4: Vollständiger Regelbetrieb. Laut Empfehlungen der AG Kita (2020, S. 6 f.) sollte in den ersten beiden Phasen eine langsame, schrittweise Ausweitung der Gruppen erfolgen, die in die Kindertagesbetreuung zurückkehren dürfen. Als zentrale Orientierung sollte dabei die infektionshygienische Lage gelten. Ab Phase 3 sollte die Kindertagesbetreuung wieder für alle Kinder zugänglich sein und in Phase 4 der Regelbetrieb wieder wie vor März 2020 stattfinden. Darüber hinaus wurde in den Ländern zum Teil bereits in der Woche des Lockdowns ein Abfragesystem implementiert, um unter anderem einschätzen zu können, wie viele Kinder die Kindertagesbetreuungsangebote tatsächlich in Anspruch nehmen. Vereinzelt ging es auch um die Frage, welche Personalressourcen dafür zur Verfügung stehen und eingesetzt werden können. Gefragt wurde außerdem in einigen Ländern, wie viele Kitas aus Gründen der Personalkapazität oder wegen eines Corona-Falls schließen mussten. In den seit Mai regelmäßig erscheinenden Monatsberichten der Corona-KiTa-Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und des Robert Koch-Instituts (RKI) unter Mitarbeit der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (AKJStat) wurden unter anderem diese Länderdaten analysiert, um bundesweite Trends ableiten zu können (siehe Infobox).

Die Monatsberichte der Corona-KiTa-Studie

Wie viele Kinder sind aktuell in der Betreuung? Wie viele Kitas sind geschlossen? Und wie viel Personal steht zur Verfügung? Die Zwischenergebnisse der Corona-KiTa-Studie werden fortlaufend veröffentlicht, zum Beispiel in den Monats- und Quartalsberichten. Wichtige Säule der Studie sind nicht nur die wöchentlichen Abfragen bei Kita-Leitungen und Tagespflegepersonen zur Situation der Kindertagesbetreuung unter Pandemiebedingungen im Rahmen des KiTa-Registers, sondern waren anfangs auch die Daten der 16 Bundesländer. Diese legten in ihren Abfragesystemen unterschiedliche Daten zugrunde und nutzten jeweils eigene Berechnungswege, sodass die einzelnen Werte zwar nicht im Detail vergleichbar waren, sich sehr wohl aber Trends abzeichneten. Bei den wöchentlichen Meldungen der Träger beziehungsweise der Einrichtungen kam es außerdem zu Schwankungen, weil regionale Ferien, Feier- und Brückentage einen Einfluss auf die Anzahl der betreuten Kinder hatten. Bei Inanspruchnahmequoten von unter 100 Prozent bleibt generell offen, ob das bedeutet, dass a) noch nicht alle Kinder kommen durften, b) die Kinder (aus welchen Gründen auch immer) zu Hause blieben oder c) aufgrund fehlenden Personals oder fehlender Räume nicht alle Gruppenangebote zur Verfügung standen. Erfasst wurde darüber hinaus nur die generelle Nutzung der Angebote; der zeitliche Umfang musste nicht mit der im Regelbetrieb vertraglich vereinbarten Stundenzahl übereinstimmen.

Mit Blick auf die zeitliche Entwicklung wird der gemeinsame Lockdown in allen Ländern in der dritten Märzwoche und somit der Einstieg in Phase 1 gut sichtbar. Zu Beginn dieser Phase lagen die Quoten der Inanspruchnahme in den Ländern mit verfügbaren Daten bei unter 5 Prozent. Das heißt, weniger als 1 von 20 regulär betreuten Kindern besuchte zu diesem Zeitpunkt eine Kindertageseinrichtung. In fast allen Ländern stiegen die Inanspruchnahmequoten bis zum Ende der Phase 1 – das vielfach Mitte/Ende April war – auf einen Wert zwischen etwa 5 und 15 Prozent. Inwieweit die berichteten Unterschiede allerdings auf die tatsächlich unterschiedliche Inanspruchnahme in den Ländern zurückzuführen sind – oder nur auf die unterschiedlichen Erhebungsmethoden –, lässt sich nicht zweifelsfrei aufklären.

Nichtsdestotrotz lässt sich der Trend beobachten, dass sich die anfänglich starke Ähnlichkeit über alle Länder hinweg bereits im Laufe der ersten Phase zeitlich langsam unterschiedlich entwickelt. Das kann unter anderem damit zusammenhängen, in welchem Maße die Länder die Definition der systemrelevanten Berufe ausweiteten, zu welchem Zeitpunkt entsprechend vorsichtige Öffnungen erfolgten und wie lange die Phase 1 jeweils andauerte. Mit Ausnahme von Hessen sind alle Länder zwischen Mitte April und Anfang Mai – kurz vor oder unmittelbar nach dem JFMK-Beschluss– zu Phase 2 übergegangen. Seit dem Übergang in Phase 2 – der flexiblen und stufenweisen Erweiterung der Notbetreuung – ist das Öffnungsgeschehen in den Ländern in unterschiedlicher Geschwindigkeit weitergegangen. In dieser Phase wurden nach und nach mehr Gruppen von Kindern aufgenommen. Dies waren anfangs häufig Kinder von (erwerbstätigen) Alleinerziehenden und Kinder, deren Kindeswohl gefährdet war. Zum Ende der Phase waren es oft Kinder, die nach den Sommerferien eingeschult werden sollten.

Länder öffnen die Kitas in unterschiedlicher Geschwindigkeit

Mit Mecklenburg-Vorpommern ist das erste Land bereits Anfang/Mitte Mai von Phase 2 in Phase 3 übergegangen. In anderen Ländern dauerte die Phase 2 bis Ende Juni an. Zusätzlich war auch die Inanspruchnahme in Phase 2 je nach Bundesland teilweise deutlich unterschiedlich. Zwar lässt sich generell beobachten, dass in allen Ländern Woche für Woche mehr Kinder in den Kindertageseinrichtungen betreut wurden – allerdings schwankte die Inanspruchnahmequote zu Beginn der Phase 2 zwischen knapp 5 und 30 Prozent und am Ende zwischen 20 und 65 Prozent. Die Phase 3 – der eingeschränkte (Regel-)Betrieb – dauerte in den meisten Ländern entweder bis kurz vor den landesspezifischen Sommerferien oder ging sogar bis zu deren Ende. Dementsprechend verstärkte sich die unterschiedliche Dynamik des Öffnungsgeschehens zwischen den Ländern weiter, sodass mit Brandenburg das erste Land schon Mitte Juni in Phase 4 überging, während mit Bayern das letzte Land erst Anfang September wieder den Regelbetrieb (unter Pandemiebedingungen) aufnahm.

Zentral für die dritte Phase war, dass sich die Inanspruchnahmequote rasch erhöhte (auf bis zu 80 Prozent), zugleich der Großteil der Kinder jedoch nur reduzierte Stundenumfänge nutzen konnte – entweder weil Platzsharing- Modelle eingesetzt wurden oder weil die behördlichen Vorgaben einen geringeren Stundenumfang pro Tag beziehungsweise pro Woche als den vertraglich vereinbarten vorsahen. Unberührt blieben hiervon jedoch im Normalfall die Kinder mit Eltern, die in einem systemrelevanten Beruf arbeiteten.

Entgegen den Empfehlungen der der Übergang in die vierte Phase nicht wie ursprünglich vorgesehen erfolgt, nachdem ein Impfstoff vorhanden oder das Infektionsgeschehen weitgehend eingedämmt war (AG Kita 2020). Dies ist auch der Grund, weshalb die Länder aktuell zwar von Phase 4 sprechen, allerdings darauf verweisen, dass es sich immer noch um einen (Regel-)Betrieb unter Pandemiebedingungen handelt. Das bedeutet zumeist, dass zwar alle Kinder wieder mit den vereinbarten Stundenumfängen zurück in die Kindertageseinrichtungen kommen können. Dennoch gelten vielfach spezifische Vorgaben und Auflagen (vor allem im Bereich Hygiene), aufgrund derer es zu Veränderungen im Alltag in den Einrichtungen kommen kann.

Spätestens mit dem Start in Phase 4 hat die Mehrzahl der Länder ihre zusätzlichen Datenabfragen eingestellt, weil in der Regel alle Kinder wieder die Kindertagesbetreuungsangebote besuchen können. Der Übergang in die letzte Phase ist in vielen Ländern mit den Sommerferien zusammengefallen. Das hat zur Folge, dass aufgrund der Urlaubszeit in den Familien deutlich weniger Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen und dass zugleich etliche Einrichtungen zeitweise geschlossen waren oder nur eine sogenannte Ferienbetreuung anboten. Das heißt, die Inanspruchnahme ist in dieser Zeit zwar wieder zurückgegangen, doch hatte dies im Wesentlichen keine pandemiebedingten Ursachen.

Personalsituation in den Kitas verbessert sich nach dem Lockdown

Neben der Frage, wie viele Kinder in den Kindertageseinrichtungen sein dürfen, stand bei der Datenabfrage einiger Länder mit Blick auf die Risikogruppen ein weiterer Aspekt im Fokus: Wie viel Personal steht in den Kitas zur Verfügung, um den laufenden Betrieb zu gewährleisten? Dazu können kaum allgemeingültige Aussagen getroffen werden, da die Datenlage enorm unterschiedlich ist und kaum vergleichbare Zahlen vorliegen. Lediglich in der Hälfte der Länder gab es überhaupt Abfragen zur Personalsituation; zudem unterscheiden sich diese deutlich in ihren Abfragerhythmen sowie in dem, was genau erhoben wurde. Dennoch lassen sich aus den vorhandenen Daten drei Hinweise ablesen: Erstens ist der Anteil des Personals, das aufgrund der Pandemie nicht eingesetzt wurde, seit dem Beginn der Erfassung beziehungsweise seit dem Lockdown zurückgegangen und lag im Juli 2020 tendenziell zwischen 5 und 10 Prozent, wobei regionale Unterschiede zu beobachten sind.

Zweitens bedeutet das umgekehrt, dass der Anteil des einsetzbaren Personals im Laufe des Öffnungsgeschehens leicht gestiegen ist und im Falle der Länder, die dies erfasst haben, zum letzten Erhebungstermin bei etwa 85 Prozent lag. Wobei auch Personal, das aus anderen Gründen (wie Urlaub oder Krankheit) ausfiel, in der Kategorie „nicht einsatzfähig“ erfasst wurde. Und drittens deuten differenziertere Daten aus dem Stadtstaat Berlin darauf hin, dass der Anteil des einsetzbaren Personals in der Zeit der Sommerferien dort leicht gesunken ist. Daher liegt die Vermutung nahe, dass ein größerer Teil des Personals in dieser Zeit selbst im Urlaub war.

Kindertagespflege in Kleingruppen kann meist schnell wieder stattfinden

Das Öffnungsgeschehen der Kindertagespflege erfolgte lediglich in vier Ländern (Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt) in den gleichen zeitlichen Abständen wie die Öffnung der Kindertageseinrichtungen; in Schleswig-Holstein und im Saarland gab es dazu keine landeseinheitlichen Regelungen. In allen anderen Ländern wurde die Kindertagespflege zum Teil deutlich früher wieder geöffnet beziehungsweise ging früher in den Regelbetrieb (unter Pandemiebedingungen) über als die Kindertageseinrichtungen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Tagespflege in der Regel nur mit einer kleinen Anzahl an Kindern arbeitet und somit die zeitweise geltende Bedingung der Kleingruppe ohnehin gegeben war.

Spätestens seit Anfang September sind die Kindertageseinrichtungen und die Kindertagespflege zwar wieder in eine Art Normalzustand eingetreten – zumindest in dem Sinne, dass vom Grundsatz her alle Einrichtungen wieder im Regelbetrieb arbeiteten. Allerdings zeigen die Daten aus einzelnen Ländern, dass es immer wieder zur Schließung von Gruppen oder ganzer Kindertageseinrichtungen gekommen ist. Auslöser dafür konnten sowohl Verdachtsfälle als auch bestätigte Fälle von Covid-19 aufseiten des Personals oder der Kinder sein. Vereinzelt wurden Kindertageseinrichtungen aber auch geschlossen, weil zu wenig Personal einsetzbar war. In jedem Fall stellt die kältere Jahreszeit alle Seiten – die Politik, die Fachpraxis sowie die Familien – erneut vor große Herausforderungen.

Das Sprachenrepertoire der Kinder findet kaum Anerkennung

Auch andere Studien deuten darauf hin, dass sich das deutsche Kita-System im Alltag noch häufig mit der kulturellen und sprachlichen Vielfalt schwertut (Kratzmann u.a. 2013). Kindertageseinrichtungen wird vor allem die Rolle zugewiesen, sogenannte Sprachdefizite von Kindern mit Migrationshintergrund auszugleichen. Das komplexe Sprachenrepertoire mehrsprachiger Kinder findet dabei kaum Anerkennung, sondern es wird oftmals abgewertet und marginalisiert. Nur selten wird überdies in Rechnung gestellt, dass Kinder mit Migrationshintergrund zusätzliche Leistungen erbringen, um sprachliche und kulturelle Barrieren zwischen Bildungseinrichtung und Elternhaus zu überbrücken.

Dabei könnte es auch anders gehen. Mehrsprachigkeit und Mehrfachidentitäten könnten in der frühpädagogischen Arbeit gezielt als Ressource für die Entwicklung interkultureller und demokratischer Kompetenzen genutzt werden, die künftig mehr denn je in der Gesellschaft gefordert sein werden. Einen Weg dazu zeigt beispielsweise Schweden auf, wo Kita-Kinder ein Recht darauf
haben, zusätzlich bei der Entwicklung ihrer Herkunftssprache gefördert zu werden. In Norwegen sind die frühpädagogischen Fachkräfte angehalten, dafür Sorge zu tragen, dass alle Kinder von der sprachlichen Vielfalt profitieren und mehrsprachige Kinder gezielt ermutigt werden, auch ihre Familiensprachen zu verwenden. So weit ist Deutschland noch lange nicht.

AG Kita (2020): Empfehlung für einen gemeinsamen Rahmen der Länder für einen stufenweisen Prozess zur Öffnung der Kindertagesbetreuungsangebote von der Notbetreuung hin zum Regelbetrieb im Kontext der Corona-Pandemie

Autorengruppe Corona-Kita-Studie (2020a): Quartalsbericht der Corona-KiTa-Studie (III/2020). Verfügbar unter: corona-kita-studie.de/#ergebnisse

Jugend- Und Familienministerkonferenz (JFMK) (2020): Gemeinsamer Rahmen der Länder für einen stufenweisen Prozess zur Öffnung der Kindertagesbetreuungsangebote von der Notbetreuung hin zum Regelbetrieb im Kontext der Corona-Pandemie

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2020 von DJI Impulse „Im Krisenmodus: Wie das Coronavirus den Alltag von Eltern und Kindern verändert“ (Download PDF).

Bestellung und Abonnement von DJI-Impulse