„Wir wollen den jungen Menschen mehr Gehör verschaffen und ihre Beteiligung stärken“


Viele Jugendliche fühlen sich durch die Pandemie ausgebremst und verunsichert. Wie Jugendministerin Lisa Paus ihren Grundoptimismus wieder stärken will, was sie gegen die wachsende soziale Ungleichheit unternimmt und welche Möglichkeiten sie jungen Menschen künftig bieten möchte, Politik selbst mitzugestalten.

DJI Impulse:Frau Paus, statt die Welt zu erkunden, saßen Jugendliche und junge Erwachsene während der Pandemie zu Hause. Statt Freundschaften zu knüpfen, hielten sie Abstand. Statt Grenzen auszutesten, befolgten sie strikte Coronaregeln. Die Pandemie hat ihnen viel abverlangt. Wie sehen Sie als Jugendministerin die Jugendlichen und jungen Erwachsenen von heute?
Lisa Paus: Ich habe großen Respekt vor dem, was junge Menschen in den letzten zwei Jahren für unsere Gesellschaft geleistet haben. Sie haben sich mit Verzicht auf vieles, was Jungsein ausmacht, sehr solidarisch gezeigt. Gerade in den Jugendjahren will man doch mehr Zeit mit Freundinnen und Freunden verbringen als zu Hause, will sich ausprobieren und langsam abnabeln. All das konnte nicht wie gewohnt stattfinden und hat zu großen Entbehrungen einer ganzen Generation geführt.

Junge Menschen haben unter den Coronamaßnahmen massiv gelitten. Die Zahlen zeigen uns eindeutig, wie sehr die Lockdown-Zeiten Kindern und Jugendlichen geschadet haben.

Die Grünen-Politikerin Lisa Paus ist seit April 2022 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen, Jugend (Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler)

Nach den neuen Ergebnissen des bundesweiten DJI-Surveys „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“, kurz AID:A, tangiert die Pandemie 15- bis 25-Jährige in vielfacher Weise: in ihrer finanziellen Lage, ihren sozialen Bezügen, ihren Bildungsmöglichkeiten und ihren Zukunftsperspektiven. Bislang war die öffentliche Diskussion oft auf Bildungsfragen fokussiert. Worauf wird es künftig ankommen?
Ich finde, Jugendliche und junge Erwachsene sollten ihrer Zukunft positiv entgegenblicken können. Das gehört für mich zum guten Aufwachsen. Wichtig ist, dass wir die jungen Menschen nicht alleine lassen. Mit dem Aufholpaket nach Corona und einem Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit unterstützen wir Kinder und Jugendliche. Wir sehen auch, dass Zukunftsängste in der jungen Generation zunehmen, nicht zuletzt angesichts des Klimawandels. Das zeigt, dass die Aufgabe, sich um Kinder und Jugendliche zu kümmern, uns alle angeht. Dafür nehme ich in der gesamten Bundesregierung viel Sensibilität und Engagement wahr.

Mehr als die Hälfte der Jugendlichen gab in der dritten bundesweiten JuCo-Studie im
Dezember 2021 an, Angst vor der Zukunft zu haben. Wie lässt sich der notwendige Grundoptimismus in der Jugend stärken?

Die Probleme unserer Zeit sind heftig und führen bei Jung und Alt zu Verunsicherung, das kann ich gut verstehen. Gleichzeitig dürfen wir uns davon nicht lähmen lassen. Ich bin davon überzeugt: je stärker der Zusammenhalt unserer Gesellschaft, desto widerstandsfähiger sind wir in Krisen. Deswegen kommt es darauf an, dass wir dort gezielt unterstützen, wo Hilfe gebraucht wird, dass wir die Beteiligung von jungen Menschen an Politik steigern. Zuhören, unterhaken, mitnehmen – das macht unsere Demokratie aus und stärkt jede und jeden Einzelnen.

Wie unterstützt das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“ Jugendliche konkret?
Mit dem Corona-Aktionsprogramm und dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit sorgen wir dafür, dass Kinder und Jugendliche nach der Pandemie gezielt angesprochen werden und Anreize bekommen, aktiv zu werden und zum Beispiel in Kultur- und Sportvereinen mitzumachen, um Bewegung und mentale Gesundheit zu verbessern, wo es nötig ist.

Für mich ist ganz klar, wir dürfen die Pandemiebekämpfung nicht weiter zulasten der Kinder und Jugendlichen betreiben.

Studienergebnisse zeigen, dass Jugendliche und junge Erwachsene ganz besonders unter den psychosozialen Auswirkungen der Pandemie leiden. Sie führt zu Essstörungen, Ängsten, Computersucht und Depressionen. Beratungs- und Therapiemöglichkeiten sind knapp. Welchen politischen Handlungsbedarf sehen Sie?
Junge Menschen haben unter den Coronamaßnahmen massiv gelitten. Die Zahlen zeigen uns eindeutig, wie sehr die Lockdown-Zeiten Kindern und Jugendlichen geschadet haben: Wenn früher jedes zehnte Kind depressiv war, dann ist es heute jedes vierte. Auch Anorexie und Adipositas haben zugenommen, und der Förderbedarf ist drastisch gestiegen. Für mich ist ganz klar, wir dürfen die Pandemiebekämpfung nicht weiter zulasten der Kinder und Jugendlichen betreiben.

Die Coronapandemie verstärkt soziale Ungleichheiten: Laut der Studie „Jugend in Deutschland“ ist etwa ein Drittel der Jugendlichen betroffen. Sie haben kein hilfreiches Elternhaus, gehören in der Schule zu den Abgehängten und hatten schon vor Corona Schwierigkeiten, in Ausbildung und Beruf zu kommen. Was wollen Sie gegen eine Abspaltung dieses sozial benachteiligten Drittels unternehmen?
Am meisten von Corona betroffen waren und sind diejenigen, die schon vor Beginn der Pandemie mit besonderen Belastungen zu kämpfen hatten. Mir ist wichtig, dass wir alle Jugendlichen im Blick haben. Denn junge Menschen und ihre Lebenslagen sind vielfältig und bunt. Dafür arbeiten wir unter anderem an der Jugendstrategie. Und wir wollen als Bundesregierung für gleichberechtigte Teilhabe an Bildung sorgen. Deutschland kann es sich nicht leisten, auf gut ausgebildete junge Menschen zu verzichten. Daher müssen wir, gemeinsam mit den Ländern und der Bundesanstalt für Arbeit, alles dafür tun, um jeder und jedem ein Angebot machen zu können, sei es in Richtung Schulabschluss, Ausbildung oder Studium.

Wenn in der Politik viele an einem Strang ziehen müssen, wird es nicht gerade einfacher. Finden Kinder- und Jugendthemen angesichts der gewaltigen Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine und die Klimakrise so viel Beachtung, wie sie aus Ihrer Sicht verdienen?
Allein sieben Ministerien arbeiten derzeit gemeinsam an der Kindergrundsicherung. Es ist ein wahres Großprojekt der Bundesregierung. Die Federführung liegt in meinem Ressort. Die Arbeitsgruppe treibt die Konzeptionierung intensiv voran, und ich freue mich, dass alle mitmachen. Unser Ziel ist es, das Leben aller Kinder spürbar zu verbessern – unabhängig davon, welches Lebensmodell ihre Eltern gewählt haben – und verdeckte Armut zu verhindern.

Für die Stärkung unserer Demokratie finde ich es wichtig und richtig, junge Menschen stärker zu beteiligen.

Viele Jugendliche hatten in der Pandemie das Gefühl, von der Politik nicht gehört zu werden. Eine dauerhaft belastende Krisensituation kann schnell eine politische Dimension erhalten. Wie wollen Sie vermeiden, dass junge Menschen sich frustriert abwenden von der Politik – oder sich sogar den politischen Rändern zuwenden?
Ich nehme das sehr ernst. Junge Menschen sind ein wichtiger Seismograf für den Zustand unserer Gesellschaft. Sie weisen uns auf Probleme und Schieflagen hin. Wir wollen als Bundesjugendministerium zukünftig den jungen Menschen mehr Gehör verschaffen und ihre Beteiligung stärken. Hierfür ist der Nationale Aktionsplan Kinder- und Jugendbeteiligung wichtig, genauso wie die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten waren bei der vergangenen Bundestagswahl aus der Alterskohorte Ü60, also in Rente oder kurz davor. Die unter 30-Jährigen machten aufgrund des demografischen Wandels nicht mal mehr 15 Prozent aus. Was halten Sie von dem noch weiter gehenden Vorschlag eines Kinderwahlrechts?
Für die Stärkung unserer Demokratie finde ich es wichtig und richtig, junge Menschen stärker zu beteiligen. Ich bin immer dafür, uns als Bundesregierung von jungen Menschen als Expertinnen und Experten in eigener Sache beraten zu lassen. Dabei müssen wir gute Konzepte für wirksame Beteiligung stärken – von den Kinder- und Jugendparlamenten über die BundesJugendKonferenz und die Jugend- PolitikTage bis hin zu neuen Ideen. Damit junge Menschen unmittelbar die Möglichkeit haben, Politik mitzugestalten.

Noch nie schien der Koalitionsvertrag so voll mit Arbeitsaufträgen zu sein, die ohne das Familienressort nicht umzusetzen sind. Die Bundesregierung gibt angesichts des Kriegs in der Ukraine nun aber Milliarden für Aufrüstung, Energiewende und Wirtschaft aus. Wie wollen Sie sicherstellen, dass ausreichend Geld für Ihre Projekte zur Verfügung stehen wird?
Aus meiner Sicht sind wir gut beraten, das Notwendige zu finanzieren, um beides zu erreichen: äußere Sicherheit und innere Stabilität. Finanzielle Sicherheit ist der Kern für sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Interview: Birgit Lindner

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2022 von DJI Impulse „Der lange Weg aus der Pandemie: Wie sich die Coronakrise auf Jugendliche auswirkt und welche Unterstützung sie benötigen“ (Download PDF).

Bestellung und Abonnement von DJI Impulse