Zurück in alte Rollen?

Die Geschlechtergerechtigkeit hat seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich gelitten: Vor allem Mütter ziehen sich aus dem Arbeitsleben zurück. Doch unter bestimmten Bedingungen könnten Frauen sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Von Christina Boll

Die Corona-Krise hat einige Gemeinsamkeiten mit vorherigen Krisen, aber die Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit von Frauen sind aktuell weitaus stärker. Dies liegt zum einen an den unterschiedlichen Branchenbezügen. Während in der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008/09 vor allem Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe und Baugewerbe verloren gingen, litt dieses Mal durch die Kontaktbeschränkungen vor allem der Dienstleistungssektor (beispielsweise der Einzelhandel und das Gastgewerbe). Hier arbeiten besonders viele Frauen. Da sie damit selbst von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen sind, können sie seltener die sogenannte Added-Worker-Rolle einnehmen, das heißt, die durch die Arbeitslosigkeit ihrer Partner wegbrechenden Familieneinkommen (teilweise) kompensieren.

Zum anderen waren Eltern wegen der Schließung von Schulen und Kindertagesstätten über Monate bei Kinderbetreuung und Homeschooling auf sich allein gestellt – und Frauen trugen die Hauptlast dieser Betreuung. Die Rolle der Frauen am Arbeitsmarkt und in der Familie kam damit gleich von zwei Seiten unter Druck: Der nachfrageseitige Corona-Schock im Sinne von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit verstärkte sich durch einen angebotsseitigen Corona-Schock im Sinne eines gedrosselten Arbeitsangebots seitens der Beschäftigten, sofern diese Kinder zu betreuen hatten.

„Einbruch und/oder Umbruch?“ titelte jüngst eine Kurzexpertise des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW 2020). Es ging darum, ob der deutsche Arbeitsmarkt nach der Krise zu alten Mustern zurückkehrt oder sich strukturell wandelt. Diese Frage stellt sich gleichsam für die Geschlechterverhältnisse: Kehrt die Gesellschaft nach Corona zum Status quo zurück? Machen Paare mit vormals egalitären Rollen gar, wie manche befürchten, einen Schritt zurück (Stichwort „Retraditionalisierung“)? Oder könnte die Krise für einen strukturellen Wandel genutzt werden, in Richtung einer stärkeren Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Beruf und Familie?

Strukturelle Ungleichheiten prägen die Entscheidungen vieler Paare

In der Forschung ist seit vielen Jahren bekannt, dass strukturelle Ungleichheiten der Geschlechter am Arbeitsmarkt, soziale Normen sowie politisch determinierte Infrastrukturen und monetäre Anreizmechanismen im „Mikrokosmos Paarhaushalt“ wie in einem Brennglas zusammentreffen und die individuellen Entscheidungsspielräume prägen. Zu diesen Ungleichheiten gehört, dass, obwohl die Frauenerwerbstätigenquote seit Langem im Aufwärtstrend liegt und seit der Jahrtausendwende von 61,8 (2002) auf 76,6 Prozent (2019) gestiegen ist, der Abstand zu der Erwerbstätigenquote der Männer zuletzt noch immer 9 Prozentpunkte betrug (siehe Abbildung).

Hinzu kommt, dass im Jahr 2019 fast jede zweite Frau (47,1 Prozent) ihren Beruf als Teilzeitbeschäftigung ausübte. Bei den Männern traf dies nur auf jeden zehnten (9,5 Prozent) zu. Trotz oftmals anderslautender Absichtserklärungen oder Wunscharbeitszeiten ist eine Annäherung der Geschlechter hier nicht in Sicht. Das männliche Haupternährermodell ist in Deutschland weiterhin die Norm.

Fast jede zweite Frau in Deutschland arbeitet nur in Teilzeit

Weiterhin ist es so, dass Frauen pro Stunde noch immer rund ein Fünftel weniger verdienen als Männer. Im Jahr 2019 lag die unbereinigte Lohnlücke laut Statistischem Bundesamt bei 20 Prozent, das entspricht einem Rückgang um 2,7 Prozentpunkte seit 2006. Bleibt es in Deutschland bei diesem Tempo der Annäherung, bräuchte es weitere 96 Jahre, um die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern zu schließen. Dabei ist die geringere Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit ein zentraler Negativanreiz für eine umfassendere Erwerbseinbindung von Frauen. Ähnlich wirken auch das Ehegattensplitting sowie die beitragsfreie Mitversicherung von Ehe- oder eingetragenen Lebenspartnerinnen und -partnern in der Kranken- und Pflegeversicherung.

Außerdem besteht eine Übernachfrage nach Betreuungsplätzen für den Nachwuchs: Zuletzt betrug der ungedeckte Betreuungsbedarf laut Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) beispielsweise bei unter Dreijährigen 15,1 Prozentpunkte: 49,4 Prozent Betreuungsbedarf versus 34,3 Prozent Betreuungsquote (BMFSFJ 2020). Die Datengrundlage bildet unter anderem die Kinderbetreuungsstudie (KiBS) des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus dem Jahr 2019. Dies sind die Kontextfaktoren, die die Erwerbsentscheidungen von Müttern und Vätern – und damit zusammenhängend auch die innerhäusliche Arbeitsteilung – rahmen.

Eltern reagieren schon lange auf diese strukturellen Rahmenbedingungen: Laut Zeitverwendungserhebung von 2012/13 verbrachten Mütter pro Tag rund zweidreiviertel Stunden mehr mit Haus- und Betreuungsarbeit als Väter; diese hingegen hatten damals einen Vorsprung von fast drei Stunden bei der Erwerbsarbeit (Boll 2017). Eine Analyse basierend auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) offenbart, dass sich daran bis zum Beginn der Corona-Krise wenig geändert hat (Müller u.a. 2020): In Paaren, in denen der Vater vollzeit- und die Mutter teilzeitbeschäftigt ist, investierten Mütter im Jahr 2018 an Wochentagen im Mittel 5,2 Stunden, Väter 1,9 Stunden in die Kinderbetreuung. Wenn beide Partner vollzeitbeschäftigt sind, betrug der tägliche Unterschied noch 1,2 Stunden (Mutter: 3,7 Stunden, Vater: 2,5 Stunden). Ähnlich sieht es bei der Hausarbeit aus.

Frauen wurden im Jahr 2020 auf Haushalt und Kind zurückgeworfen

Die Geschlechterunterschiede setzen sich unter Corona fort. Erste Umfrageergebnisse für Deutschland während der Pandemie deuten darauf hin, dass Mütter ihre Arbeit seit März 2020 stärker zugunsten der Kinderbetreuung einschränken als Väter (Bünning u.a. 2020). Mütter im Homeoffice verbringen demnach 1,2 Stunden mehr Zeit mit Kinderbetreuung als Väter im Homeoffice (Adams-Prassl u.a. 2020). Trotz des gestiegenen Engagements der Väter bei der Familienarbeit, wie es beispielsweise die Mannheimer Corona-Studie für den Monat April 2020 aufzeigt (Möhring u.a. 2020), wird die Hauptlast der Betreuung weiterhin von den Müttern getragen – unabhängig von ihrer Qualifikation.

Insbesondere Akademikerinnen geben an, dass ihre Belastung durch die Kinderbetreuung während der Corona- Krise gestiegen ist. Dies zeigt die Befragung „Leben und Erwerbstätigkeit in Zeiten von Corona“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (Fuchs-Schündeln/ Stephan 2020). Wie getrennt lebende Mütter und Väter sowie Frauen mit Führungsverantwortung mit den neuen Herausforderungen umgegangen sind, untersucht das DJI im Rahmen der qualitativen Studie „Mütter und Väter während der Corona-Pandemie“.

Weibliche Karrieren könnten nachhaltig leiden

Das bedeutet auch: Mütter im mittleren Erwerbsalter, die ihre Familienpause bereits hinter sich hatten und nun eigentlich mit der Karriere durchstarten wollten, werden ein zweites Mal und diesmal völlig unerwartet auf Haushalt und Familie zurückgeworfen. Aufstiegschancen bleiben ungenutzt und gehen, je länger sich der Ausnahmezustand hinzieht, gegebenenfalls unwiederbringlich verloren. Diese Frauen könnten künftig im doppelten Sinne benachteiligt sein – nicht nur (wie die Männer) temporär, durch den Einbruch von Wirtschaft und Beschäftigung, sondern zusätzlich (anders als die Männer) auch durch trägere Rückkehrprozesse unter der geschlechtsspezifischen Betreuungslast. Die auf Mikroebene getroffenen Entscheidungen wirken auf die Makroebene zurück – so drohen sich Ungleichheiten weiter zu reproduzieren.

Denn die Entscheidung, wer von beiden Partnern zu Hause bleibt und sich vorrangig um die Kinder kümmert, hängt nicht allein vom Einkommen ab; maßgeblich ist vielmehr das Verhältnis der Einkommen und der Zeitbudgets der Partner sowie deren Rollenverständnis (Boll/Schüller 2020). Während der Pandemie haben sich berufsbezogene Faktoren wie die Systemrelevanz oder die Homeoffice-Fähigkeit von Berufen zu zentralen Stellhebeln entwickelt. Sie entschieden über Jobsicherheit, freigesetzte (Familien-) Zeit und Einkommen – aber auch über den Zugang zur Notbetreuung in Kindergärten und Schulen. Empirische Analysen zur Verteilung dieser Berufsfaktoren in Elternpaaren, kombiniert mit den Ausgangskonstellationen dieser Paare vor der Krise, lassen einen signifikanten Anstieg des väterlichen Anteils an der Kinderbetreuung bei rund 7 bis 8 Prozent der Paare während des Lockdowns erwarten. Dabei spielen Väter in Homeoffice-fähigen Berufen eine zentrale Rolle; von diesen sind wiederum 11,4 Prozent Führungskräfte (Boll/Schüller 2020).

Das Homeoffice rückt Männer näher an die Familienarbeit

Ein Anstieg des väterlichen Engagements bei der Kinderbetreuung in weniger als 10 Prozent aller Paare erscheint auf den ersten Blick wenig. Ein zweifacher Grund für Optimismus besteht dennoch. Zum einen könnten diese Väter als „positive role models“ ihre Erfahrungen mit unbezahlter Sorgearbeit innerhalb ihrer Unternehmen weitergeben und somit den kulturellen Wandel vorantreiben (von Alemann u.a. 2017). Zum anderen könnte der durch Corona ausgelöste Digitalisierungsschub die Nachfrage nach arbeitsortentkoppeltem Lernen und Arbeiten dauerhaft erhöhen. Sofern die Infrastrukturinvestitionen (Stichwort „Breitbandausbau“) hier deutschlandweit mitziehen, kann dies die Präsenzkultur in den Unternehmen weiter zurückdrängen. Davon sollten mütterliche Karrieren, aber auch Karrieren junger familienaktiver Väter profitieren.

Der technologische Schub wird durch einen Wandel von Berufspräferenzen während der Krise unterstützt. Erste Befunde zeigen, dass eine gute Work-Life- Balance durch Corona an Bedeutung gewinnt (Baert u.a. 2020). Stellen vermehrt auch Männer diese Vereinbarkeitsansprüche, könnten Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilität zu einer neuen sozialen Norm werden. Viel wird davon abhängen, ob sich diese im Verlauf der Krise angestoßenen Prozesse verstetigen lassen. Das Potenzial ist jedenfalls vorhanden, den Teufelskreis der Reproduktion von Geschlechterungleichheit aufzubrechen und die Geschlechtergerechtigkeit nachhaltig voranzubringen.

Adams-Prassl, Abigail u.a. (2020): Inequality in the Impact of the Coronavirus Shock: Evidence from Real Time Surveys. IZA Discussion Paper 13183

Baert, Stijn u.a. (2020): How Do We Think the Covid-19 Crisis Will Affect Our Careers (If Any Remain)? IZA Discussion Paper 13164

Boll, Christina (2017): Die Arbeitsteilung im Paar – Theorien, Wirkungszusammenhänge, Einflussfaktoren und exemplarische empirische Evidenz. Expertise im Rahmen des Zweiten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung. Hamburg

Boll, Christina / Schüller, Simone (2020): Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Empirisch gestützte Überlegungen zur elterlichen Aufteilung der Kinderbetreuung vor, während und nach dem COVID-19 Lockdown. SoePpapers 1089. Berlin

Bünning, Mareike / Hipp, Lena / Munnes, Stefan (2020): Erwerbsarbeit in Zeiten von Corona. Ergebnisbericht, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Berlin

Bundesministerium Für Familie, Senioren, Frauen Und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.) (2020): Kindertagesbetreuung Kompakt. Ausbaustand und Bedarf 2019. Berlin

Fuchs-Schündeln, Nicola / Stephan, Gesine (2020): Bei drei Vierteln der erwerbstätigen Eltern ist die Belastung durch Kinderbetreuung in der Covid-19-Pandemie gestiegen, IAB-Forum, 18.08.2020. Nürnberg

Institut Der Deutschen Wirtschaft (IW) (2020): Die Arbeitsmarktverfassung in Deutschland nach der Corona-Krise. Optionen für eine beschleunigte Erholung. Köln

Möhring, Katja u.a. (2020): Die Mannheimer Corona-Studie: Schwerpunktbericht zu Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung. Mannheim

Müller, Kai-Uwe u.a. (2020): Corona-Krise erschwert Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Mütter – Erwerbstätige Eltern sollten entlastet werden. DIW Wochenbericht 19/2020. Berlin

Von Alemann, Annette / Beaufays, Sandra / Oechsle, Mechtild (2017): Work Organizations and Fathers’ Lifestyles: Constraints and Capabilities. In: Liebig, Brigitte/Oechsle, Mechtild (Hrsg.): Fathers in Work Organizations. Inequalities and Capabilities, Rationalities and Politics. Opladen/Berlin/Toronto, S. 21–39

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2020 von DJI Impulse „Im Krisenmodus: Wie das Coronavirus den Alltag von Eltern und Kindern verändert“ (Download PDF).

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