Politische Bildung in einer Welt des Umbruchs

Das Vertrauen in etablierte Politik sinkt, rechtspopulistische Parteien haben Zulauf, gesellschaftliche Diskurse verschärfen sich: Björn Milbradt, Franziska HeinzeundFrank Königaus der FachgruppePolitische Sozialisation und Demokratieförderung am DJI nennen fünf zentrale Herausforderungen, vor denen die politische Bildung in Zeiten zunehmender Polarisierung und Digitalisierung steht.

  • 1. Jugendliche als Mitgestaltende von Gesellschaft begreifen

    Mit Blick auf die grundlegende Frage, welchen Beitrag politische (Jugend-)Bildung für eine lebendige und inklusive Gesellschaft leisten kann, ist zunächst und unabhängig von der eigenen Weltanschauung danach zu fragen, welche Vorstellungen von bzw. Zugänge zu Gesellschaft junge Menschen haben. Beispielsweise ist es durchaus offen, ob Jugendliche die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände in ähnlicher Weise wie Erwachsene als polarisiert oder in ihrem demokratischen Gehalt gefährdet erleben. Was Politikerinnen und Politiker sowie Sozialforscherinnen und -forscher als »Demokratiegefährdung« in Alarmzustand versetzen mag, könnten Jugendliche durchaus als eine emanzipative Erweiterung von Handlungsräumen und Entwicklungschancen sehen. Insoweit gilt es, Jugendliche – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund aktueller demografischer Entwicklungen – als eigenständige gesellschaftliche Akteurinnen und Akteure wahr- und ernst zu nehmen, ihre spezifischen Ausdrucks- und Kommunikationsformen aufzugreifen und auch ihre sozialen Aktivitäten und ihr gesellschaftliches Engagement als wichtiges Element (vor-)politischen Lernens in Konzepte der politischen Bildung einzubeziehen.

  • 2. Die Handlungsfähigkeit der Jugendlichen stärken

    Es ist eine noch unzureichend bewältigte Aufgabe der politischen Bildung, »individuelle Interessen junger Menschen in einen gesellschaftspolitischen Kontext« zu stellen (AGJ 2017, S. 8). Politische Bildung bedeutet daher immer auch, (jungen) Menschen politisches Lernen in einer Art und Weise zu ermöglichen, welche sie in ihrer politischen Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit stärkt und sie in ihrer Emanzipation von  der erwachsenen Generation unterstützt. Auch hier ist jedoch zunehmend die Frage der Normativität aufgeworfen: Was heißt es für die politische Bildung, wenn beispielsweise rechtspopulistische oder religiöse Gruppierungen diesen Anspruch aufgreifen?

  • 3. Medienbezüge herstellen und getrennte Wirklichkeiten aufbrechen

    Für die politische Bildung stellt sich die Frage, wie sie einen angemessenen Zugang insbesondere zu jugendlichen Zielgruppen herstellen kann. Dafür lassen sich einerseits neue digitale Formen und Formate aufgreifen. Andererseits gilt es, die für junge Menschen bedeutsamen Arenen des Politischen bzw. des politischen Streits zu identifizieren und »Echokammern« und »Filterblasen« aufzuschließen und für politisches Lernen hinterfragbar und nutzbar zu machen. Zugleich besteht Forschungsbedarf, denn bislang ist aus der Jugendforschung nur wenig darüber bekannt, wie sich die verstärkte Nutzung sozialer Netzwerke und digitaler Medien auf die politische Sozialisation junger Menschen auswirkt.

  • 4. Gesellschaftliche Entwicklungen erklären und Kritik ermöglichen

    Politische Bildung kann viel zum grundlegenden Verständnis der Demokratie und ihrer Institutionen und Mechanismen beitragen – dies ist eine ihrer Kernaufgaben. Sie kann auch in begrenztem Maße auf Radikalisierungs- und Polarisierungstendenzen eingehen und Jugendliche dazu befähigen, diese zu verstehen, zu deuten und zu kritisieren. Gleichzeitig kann sie aber gesellschaftliche Prozesse, die auf politische Entscheidungen und ökonomische Entwicklungen zurückzuführen sind (wie soziale und ökonomische Polarisierungstendenzen oder das Entstehen benachteiligter ländlicher Räume), nur begrenzt beeinflussen. Das heißt, Lehrende und pädagogische Fachkräfte können soziale Schieflagen und gesellschaftliche Krisen zwar interpretieren und kritisieren helfen, behoben werden müssen diese jedoch von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

  • 5. Jugendliche dazu befähigen, gesellschaftlichen Dissens auszuhalten

    Die »Repolitisierung der Politischen Bildung« (Widmaier 2017, S. 324) im Sinne einer emanzipationsorientierten Fokussierung auf Kernfragen der Politik, die (Wieder-)Belebung des öffentlichen politischen Meinungsstreits und nicht zuletzt die Auseinandersetzung um Meinungsfreiheit unter Achtung der Menschenwürde sind zentrale Herausforderungen für die politische Bildung. Hier kann sie sich nicht allein auf allgemeine normative Ansprüche beziehen, sondern muss zugleich die aus dem »Besonderen« resultierenden Widersprüche und Logiken aushalten und in ihre Konzepte einbeziehen.

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 1/2018 der DJI Impulse „Demokratie lernen –  Wie sich politische Bildung in Zeiten von Digitalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung wandeln muss“.

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