Barrieren beim Berufseinstieg

Der Weg in eine Ausbildung fällt gerade Jugendlichen mit niedrigen Bildungsabschlüssen häufig schwer. Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen.

Von Birgit Reißig, Tilly Lex und Frank Braun

Der Übergang von der Schule in eine Ausbildung und in die Erwerbsarbeit ist für junge Menschen ein wichtiger Schritt ins Erwachsenenleben. Ihre Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe hängen entscheidend davon ab, ob es ihnen gelingt, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen und im Erwerbssystem Fuß zu fassen. Umso bedenklicher ist es, dass der Anteil junger Leute, die in den Arbeitsmarkt als Ungelernte eintreten, also keinerlei Ausbildung absolviert haben, seit Jahrzehnten bei rund 15 Prozent liegt und zuletzt sogar auf fast 18 Prozent gestiegen ist (BIBB 2023). Ihr Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko ist hoch. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) richtet seit vielen Jahren seinen Fokus insbesondere auf diejenigen jungen Menschen, für die der Weg in Ausbildung und Erwerbsarbeit schwierig verläuft, und knüpft dabei auch an die Arbeiten anderer Forschungseinrichtungen an – darunter das Bundesinstitut für Berufsbildung, das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und die Universität Bremen. Der Blick auf diese Jugendlichen war immer von unterschiedlichen gesellschaftlichen Zuschreibungen geprägt, die durch die Jugendforschung teils gestützt und teils kritisch bewertet wurden.

Sind junge Menschen mitverantwortlich für ihre Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit?

Im Jahr 1952 veröffentlichte die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung von Jugendfragen die Ergebnisse von Studien zur Ausbildungsund Arbeitslosigkeit Jugendlicher in Westdeutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Titel „Arbeitslosigkeit und Berufsnot der Jugend“ (Schelsky 1952). Die Autor:innen stellten aber auch die Frage, ob die arbeitslosen Jugendlichen überhaupt „arbeitswillig“ seien. In Teilen suggerierten die Befunde, dass die Opfer der Krise deren eigentliche Verursacher wären.

Die Frage nach der Mitverantwortung der Jugendlichen an der eigenen Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit beschäftigte die Forschung auch in den 1970er- Jahren. Im Fokus standen insbesondere junge Frauen, da sie damals zwei Drittel der Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag ausmachten. Als Gründe für deren Ausbildungsverzicht wurden benannt: der Wunsch, schnell Geld zu verdienen, ein Mangel an Interesse, Widerstände der Eltern, schlechte Schulleistungen und Skepsis hinsichtlich des eigenen Durchhaltevermögens (Höhn 1974). Dass wiederum eine Vielzahl an jungen Frauen – weit über den Bedarf hinaus – eine Ausbildung in „Modeberufen“ wie Friseurin oder Verkäuferin anstrebte, sei eine Folge falscher Berufsentscheidungen.

Zwei Studien des DJI setzten sich Ende der 1970er- und Anfang der 1980er- Jahre mit diesen Thesen kritisch auseinander: „Einstellungen von Arbeiterjugendlichen zu Bildung und Ausbildung“ (Bednarz 1978) und „Die Benachteiligung junger Frauen in Ausbildung und Erwerbstätigkeit“ (Braun/Gravalas 1980). Die Arbeiten machten die Handlungsstrategien Jugendlicher vor dem Hintergrund der vom Arbeitsmarkt gesetzten Rahmenbedingungen zum Thema. So zeigte eine Auswertung der Berufsberatungsstatistik über einen Zeitraum von fünf Jahren, dass die hohe Konzentration der Ausbildungswünsche junger Frauen auf „typische Frauenberufe“ einer entsprechenden Konzentration auf der Angebotsseite folgte (Braun/Gravalas 1980). Die vermeintliche Fixierung auf „Modeberufe“ war also eine Anpassung an die Marktsituation.

Jugendliche geben aus Angst vor Arbeitslosigkeit persönlichen Vorlieben auf

1975 prognostizierte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eine „Ausbildungskrise“ für die kommenden Jahre (Kühlewind/Mertens/Tessaring 1975). Vor diesem Hintergrund begleitete ein Forschungsteam der Universität Bremen Hauptschüler:innen ab dem siebten Schuljahr über einen Zeitraum von vier Jahren auf ihrem Bildungs- und Ausbildungsweg und führte zu mehreren Zeitpunkten leitfadengestützte Interviews mit ihnen: Wie sich zeigte, schränkten die Jugendlichen mit zunehmendem Alter ihre ursprünglichen Berufsvorstellungen und Ansprüche sukzessive ein. Sie antizipierten die für sie zu erwartende schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt und folgten dem Leitmotiv „Hauptsache eine Lehrstelle“. Neben das Ausbildungsziel trat der Wunsch, nicht arbeitslos zu werden (Heinz 1985). Angelehnt an das Design und die Methodik der Bremer Studie untersuchten DJI-Forschende zwischen den Jahren 1988 und 1991 die Bewältigungsstrategien Jugendlicher beim Übergang von der Schule in Ausbildung und Arbeit in den Städten München und Duisburg. Die Unterschiede auf den Lehrstellenmärkten der beiden Städte und im Ausbau alternativer Qualifizierungswege hatten ebenfalls unterschiedliche Verlaufsmuster des Berufseinstiegs zur Folge.

Ein gelingender Übergang in eine Ausbildung erfordert große Kompetenzen zum selbstständigen Handeln und Ressourcen, die nicht zuletzt vom sozialen Status abhängen.

Eine Gemeinsamkeit aber zeigte sich: Dass ein gelingender Übergang in eine Ausbildung hohe Kompetenzen zum selbstständigen Handeln und Ressourcen voraussetzt, die nicht zuletzt vom sozialen Status, zum Beispiel vom Bildungsabschluss und von der wirtschaftlichen Lage der Herkunftsfamilien, abhängen (Raab u.a. 1996). Ziel der beiden konzeptionell und methodisch anspruchsvollen Längsschnittstudien war es, Einsichten in die Entscheidungs- und Verarbeitungsprozesse der Jugendlichen zu gewinnen. Dadurch sollten Anhaltspunkte für die Gestaltung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten ermittelt werden. Ein durchgängiges Ergebnis war, dass die Jugendlichen unter dem Druck äußerer Verhältnisse dazu tendierten, persönliche Vorlieben und Qualifizierungsziele preiszugeben. Dies wurde durch Beratung teils sogar befördert, denn diese vermittelte, dass irgendeine Lehrstelle besser sei als gar keine und ungelernte Arbeit besser als Arbeitslosigkeit.

Langwierige Fördermaßnahmen führen nicht zum Ziel

Mit der Studie „Lebensverläufe im gesellschaftlichen Wandel“ des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (Brückner 1993) wurden konzeptionell und methodisch Grundlagen für die retrospektive Untersuchung von längerfristigen Bildungsund Erwerbskarrieren gelegt (Solga 2005, Hillmert/Mayer 2004). In Anlehnung an diese Methodik untersuchten DJIForschende in den 1990er-Jahren die Übergangsverläufe junger Menschen in Förderangeboten der Jugendsozialarbeit, in denen beispielsweise benachteiligte Jugendliche auf den Übergang in den regulären Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vorbereitet wurden. Nachgewiesen wurde, dass sogenannte Maßnahmenkarrieren im Übergangssystem häufig vorkommen: langwierige Wege durch verschiedene Fördermaßnahmen, die letztlich nicht in eine Ausbildungsstelle münden. Außerdem wurde die Schlüsselrolle von Schulen deutlich: Je geringer die Schulbildung der Jugendlichen, desto länger ihr Verbleib im Übergangssystem. Jugendliche mit Migrationshintergrund tragen ein überproportional hohes Risiko, ohne Ausbildung zu bleiben (Lex 1997, Prein 2006).

Jugendliche werden hier als nicht ausbildungsreif und dort als marktbenachteiligt beurteilt

Neben dem DJI-Übergangspanel brachten zusätzlich durchgeführte regionale Längsschnittstudien am DJI Belege für große Unterschiede zwischen einzelnen Regionen: Ein Städtevergleich Leipzig/Stuttgart zeigte, dass in Leipzig Jugendliche mit Hauptschulbildung eher direkt nach der Schule eine Ausbildung begannen, während sie in Stuttgart häufig eine größere Zahl von berufsvorbereitenden Bildungsgängen absolvierten. Damit verbunden war das Risiko, dass letztlich kein Ausbildungsabschluss erreicht wurde. Dies wurde einerseits demografisch erklärt: Die Jugendlichen in Leipzig gehörten geburtenschwachen Jahrgängen an, sodass das Angebot an Ausbildungsplätzen besser zum Bedarf passte. Eine zweite Erklärung lautete, dass in Leipzig stärker als in Stuttgart Ausbildungsgänge in staatlicher Verantwortung angeboten wurden (Gaupp/Geier 2011, Mahl/Reißig/Tillmann 2011). Kompensierte man in Stuttgart fehlende Ausbildungsplätze eher durch berufsvorbereitende Maßnahmen – wie etwa das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) – und definierte die Jugendlichen als noch nicht ausbildungsreif, so dominierten in Leipzig staatlich oder von der Bundesagentur für Arbeit finanzierte Ausbildungsangebote. Die Jugendlichen wurden hier als marktbenachteiligt angesehen, da in den ostdeutschen Bundesländern nach der Wiedervereinigung Deutschlands eine Vielzahl betrieblicher Ausbildungen weggebrochen war.

Passungsprobleme und (scheinbar) vielfältige berufliche Optionen führen zu einer steigenden Verunsicherung bei Jugendlichen.

68.900 unbesetzte Stellen und 60.400 Ausbildungssuchende im Jahr 2022

Übergangspanel II“ wies darauf hin, dass die demografisch bedingte rückläufige Zahl der Schulabgänger:innen das Problem der Ausbildungslosigkeit von Jugendlichen allein nicht lösen kann (Reißig 2022). Inzwischen bestimmen sogenannte Passungsprobleme die Debatte: Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt, und Jugendliche bleiben ohne Stelle. Neben regionalen Ursachen – Jugendliche treffen an bestimmten Orten auf weniger Ausbildungsplätze – benennen Unternehmen auch (noch) fehlende Kompetenzen als Grund für unbesetzte Ausbildungsstellen. Nicht zuletzt führt auch ein fehlendes Interesse seitens der jungen Menschen an bestimmten Berufen – vor allem im Dienstleistungsbereich und im Handwerk – zu Passungsproblemen. Schon das Jahr 2021 hatte Spitzenwerte an unbesetzten Stellen erreicht, nämlich 63.200, bei zugleich 67.800 Ausbildungssuchenden (BIBB 2022).

Auf regionale Rahmenbedingungen und berufliche Beratung kommt es an

Fasst man die verschiedenen Studien zum Thema Übergänge in Ausbildung und Erwerbsarbeit zusammen, so lautet eine wichtige Bilanz: regionale Rahmenbedingungen, aber auch berufliche Beratung und Orientierung sind neben der sozialen Herkunft wesentliche Voraussetzungen für erfolgreiche Übergänge. Gerade in jüngerer Zeit wird der Berufsorientierung in Forschung und Praxis wieder größere Aufmerksamkeit gewidmet. Denn Passungsprobleme und (scheinbar) vielfältige berufliche Optionen führen zu einer steigenden Verunsicherung bei Jugendlichen, wie Forschende des DJI anhand des „Übergangspanel II“ nachweisen konnten (Reißig u.a. 2018). Neben solchen individuellen Auswirkungen untersuchten sie strukturelle Fragen der Übergangsgestaltung und identifizierten dabei die wesentliche Rolle der Kommunen für einen Einstieg in die Berufswelt. Denn diese können versuchen, die unterschiedlichen Akteure im Feld des Übergangs, wie Schulen, Weiterbildungsträger und Unternehmen, zu koordinieren, damit sie ihre Bildungsangebote an den tatsächlichen Bedarfen der jungen Menschen ausrichten können. Ein solches, sogenanntes regionales Übergangsmanagement wird in den DJI-Projekten „Transferagentur Bayern für Kommunales Bildungsmanagement“ und „Transferagentur Mitteldeutschland für Kommunales Bildungsmanagement“ wissenschaftlich begleitet.

Maßnahmen von Bund und Kommunen sollen Übergangsprozesse unterstützen

Konzentrierten sich Lösungsansätze in den vergangenen Jahrzehnten schwerpunktmäßig auf Einzelmaßnahmen für bestimmte Gruppen von Jugendlichen – zum Beispiel jene, die die Schule verweigern –, so wird aktuell versucht, kooperierende Strukturen vor Ort zu entwickeln, um Übergangsprozesse etwa durch abgestimmte Angebote der Berufsorientierung besser unterstützen zu können. Eine stärkere öffentliche Verantwortung für die Ausbildung von unversorgten Jugendlichen wird auch durch die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgesehene „Ausbildungsgarantie“ befördert, die allen jungen Menschen ohne Berufsabschluss den Zugang zu einer vollqualifizierenden, möglichst betrieblichen Berufsausbildung und einen erfolgreichen Abschluss ermöglichen soll (BMAS 2022). Inwieweit    diese Ansätze tatsächlich geeignet sind, Zugangschancen junger Menschen zu einer Ausbildung zu verbessern, wird künftig Inhalt begleitender Forschung sein.

Bednarz, Iris (1978): Einstellungen von Arbeiterjugendlichen zu Bildung und Ausbildung. München

Braun, Frank/Gravalas, Brigitte (1980): Die Benachteiligung junger Frauen in Ausbildung und Erwerbstätigkeit. München

Brückner, Erika W. (1993): Lebensverläufe und gesellschaftlicher Wandel. Konzeption, Design und Methodik der Erhebung von Lebensverläufen der Geburtsjahrgänge 1919–1921. Berlin

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2022): Gesamtkonzept zur Ausbildungsgarantie. Berlin

Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (2023): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2023: Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn

Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (2022): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2022: Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn

Gaupp, Nora/Geier, Boris (2011): Stuttgarter Haupt- und Förderschüler/innen auf dem Weg von der Schule in die Berufsausbildung. Bericht zur dritten Folgeerhebung der Stuttgarter Schulabsolventenstudie. München

Geier, Boris (2013): Die berufliche Integration von Jugendlichen mit Hauptschulbildung. Eine längsschnittliche Analyse typischer Übergangsverläufe. In: WSI-Mitteilungen, 1, S. 33-41

Heinz, Walter (1985): Hauptsache eine Lehrstelle. Jugendliche vor den Hürden des Arbeitsmarkts. Weinheim/Basel

Hillmert, Steffen/Mayer, Karl-Ulrich (Hrsg.) (2004): Geboren 1964 und 1971. Neuere Untersuchungen zu den Ausbildungs- und Berufschancen in Westdeutschland. Wiesbaden

Höhn, Elfriede (Hrsg.) (1974): Ungelernte in der Bundesrepublik. Soziale Situation, Begabungsstruktur und Berufsmotivation. Kaiserslautern

Kühlewind, Gerhard/Mertens, Dieter/Tessaring, Manfred (1975): Zur drohenden Ausbildungskrise im nächsten Jahrzehnt. Eine Modellrechnung zur Aufnahmefähigkeit des beruflichen Bildungssystems für Übergänger aus dem allgemeinbildenden Schulsystem bis 1990. Nürnberg

Lex, Tilly (1997): Berufswege Jugendlicher zwischen Integration und Ausgrenzung. München

Mahl, Franciska/Reißig, Birgit/Tillmann, Frank (2011): Mittelschülerinnen und Mittelschüler auf dem Weg von der Schule ins Erwerbsleben. Abschlussbericht zur Leipziger Schulabsolventenstudie. München

Prein, Gerald (2006): Schulerfahrungen und Berufsverläufe benachteiligter Jugendlicher. In: Förster, Heike/Kuhnke, Ralf/Skrobanek, Jan (Hrsg.): Am Individuum ansetzen. Strategien und Effekte der beruflichen Förderung von benachteiligten Jugendlichen. München, S. 27–61

Raab, Erich u.a. (1996): Jugend sucht Arbeit. Eine Längsschnittuntersuchung zum Berufseinstieg Jugendlicher. München

Reißig, Birgit (2022): Abgehängt? Bildungsbenachteiligte Jugendliche am Übergang in die   Ausbildung.In: Schüler. Wissen für Lehrer, S. 38–41

Reißig, Birgit u.a. (2018): Was kommt nach der Schule? Wie sich Jugendliche mit Hauptschulbildung auf den Übergang in die Ausbildung vorbereiten. München

Reißig, Birgit/Gaupp, Nora/Lex, Tilly (Hrsg.) (2008): Hauptschüler auf dem Wege von der Schule in die Arbeitswelt. München

Schelsky, Helmut (Hrsg.) (1952): Arbeitslosigkeit und Berufsnot der Jugend (2 Bände). Köln

Solga, Heike (2005): Ohne Abschluss in die Bildungsgesellschaft. Die Erwerbschancen gering qualifizierter Personen aus soziologischer und ökonomischer Perspektive. Opladen

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2023 von DJI Impulse „60 Jahre Forschung über Kinder, Jugendliche, Familien und die Institutionen, die sie im Leben begleiten“ (Download PDF).

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