Als Familie verbunden bleiben – trotz Trennung

Das Leben mit getrennten Eltern stellt an Kinder und Jugendliche völlig neue Anforderungen. Für ihr weiteres Wohlergehen sind stabile Beziehungen zu den Eltern wichtiger als die Wahl des Betreuungsmodells.

Von Christine Entleitner-Phleps, Alexandra Langmeyer und Ulrike Lux

In Deutschland prägt eine Trennung oder Scheidung der Eltern das Aufwachsen vieler Kinder: So zeigen Analysen des Beziehungs- und Familienpanels „pairfam“, dass sich der Anteil minderjähriger Kinder, die nicht durchgängig mit beiden leiblichen Elternteilen aufwachsen und zumindest temporär mit nur einem Elternteil oder in einer Stieffamilie lebten, zwischen den Geburtskohorten 1971 bis 1973 und 1991 bis 1993 von 17 auf 32 Prozent nahezu verdoppelte (Kleinschlömer/Krapf 2023). Allein im Jahr 2022 waren mehr als 115.800 Minderjährige von der Scheidung ihrer Eltern betroffen (Statistisches Bundesamt 2023a). Hinzu kommen Trennungen nichtehelicher Lebensgemeinschaften mit Kindern, die in der amtlichen Statistik nicht ausgewiesen werden und deren Trennungsrisiko sogar noch höher ist als das verheirateter Eltern (Schnor 2014).

Viele Väter wollen aktiv am Leben ihrer Kinder teilhaben – auch nach der Trennung

Neben den gestiegenen Trennungs- und Scheidungsraten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten das gängige Konzept von Vaterschaft gewandelt (Schoppe-Sullivan/Fagan 2020): Väter sind heute stärker in das Familienleben involviert, vor allem in der Erziehung und Betreuung der Kinder – dies gilt sowohl für Kern- als auch für Trennungsfamilien. Verschiedenen Studien zufolge hängt das väterliche Engagement positiv mit den sozio-emotionalen sowie schulischen Fähigkeiten der Kinder zusammen (Cabrera/ Volling/Barr 2018).

Auch nach einer Trennung oder Scheidung möchten viele Väter aktiv am Leben ihrer Kinder teilhaben – und zwar nicht nur in Form von finanzieller Unterstützung und gelegentlicher Kontakte am Wochenende, sondern sie wollen sich auch bei der alltäglichen Betreuung und Erziehung beteiligen (Keil/Langmeyer 2020). Wie und vor allem bei wem Kinder nach einer Trennung oder Scheidung in Deutschland leben, rückt deshalb zunehmend in den Fokus gesellschaftlicher Debatten. Die geteilte Betreuung, das sogenannte Wechselmodell, in dem sich die getrennten Eltern die Betreuungszeiten ihrer Kinder mehr oder weniger hälftig aufteilen, hat in der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren viel Beachtung erhalten. Die Anteile an geleisteter Sorgearbeit variieren dabei von genau 50 Prozent für jedes Elternteil (symmetrisch geteilte Betreuung) bis hin zu 70 Prozent bei einem und 30 Prozent beim anderen Elternteil (asymmetrisch geteilte Betreuung).

Die meisten Trennungskinder wohnen bei einem hauptverantwortlichen Elternteil

Die geteilte Betreuung gilt in Deutschland bisher nicht als gesetzlicher Regelfall. Jedoch können Familiengerichte sie im Einzelfall anordnen, wobei die Wahl des Betreuungsarrangements nach der Trennung oder Scheidung dem Kindeswohl am besten entsprechen soll (Walper u.a. 2021). Weil das Wechselmodell hierzulande also nicht gesetzliche Norm ist, wird es wahrscheinlich auch deshalb seltener gelebt als beispielsweise in Belgien oder in skandinavischen Ländern. Während in den genannten Ländern bis zu 40 Prozent der getrennten Eltern eine geteilte Betreuung praktizieren (Hakovirta 2023), sind es in Deutschland – je nach Datenquelle und Definition – lediglich 5 bis 12 Prozent (Köppen/Kreyenfeld/ Trappe 2020, Langmeyer u.a. 2022).

Das bedeutet, dass die allermeisten Kinder nach einer elterlichen Trennung oder Scheidung im Residenzmodell bei einem hauptverantwortlich betreuenden Elternteil aufwachsen, in 85 Prozent ist das die Mutter (Statistisches Bundesamt 2023b). Oftmals haben die Kinder gleichzeitig regelmäßig Kontakt zum anderen getrennt lebenden Elternteil. Allerdings zeigen deutsche Studien auch, dass bei circa einem Fünftel der Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien der Kontakt zum anderen Elternteil abgebrochen ist (Walper/ Entleitner-Phleps/Langmeyer 2020).

Studien belegen, dass bestimmte Familien das Wechselmodell häufiger wählen: nämlich jene mit einer höheren Bildung, weniger Konflikten beziehungsweise einer besseren elterlichen Kooperation und mit älteren Kindern, die mindestens im Grundschulalter sind.

Bei der Diskussion verschiedener Kontakt- und Betreuungsmodelle rückt zwangsläufig die Frage in den Vordergrund, wie sich diese Modelle auf die Kinder und deren Wohlbefinden auswirken. Zwar legen Studien vielfach Vorteile des Wechselmodells gegenüber dem Residenzmodell nahe (Baude/Pearson/Drapeau 2016), doch sind die Befunde bei genauerer Betrachtung ähnlich heterogen wie jene zu den allgemeinen Folgen einer Trennung oder Scheidung für Kinder und Jugendliche. Während einige Autor:innen Vorteile des Wechselmodells unabhängig von anderen Faktoren sehen (Nielsen 2018), belegen andere Studien, dass bestimmte Familien das Wechselmodell häufiger wählen: nämlich jene mit einer höheren Bildung, weniger Konflikten beziehungsweise einer besseren elterlichen Kooperation und mit älteren Kindern, die mindestens im Grundschulalter sind. Das sind allesamt Faktoren, die ohnehin Vorteile für die kindliche Entwicklung nach einer Trennung haben (Walper/Entleitner-Phleps/Langmeyer 2020). Darüber hinaus scheint die väterliche Involviertheit vor der Trennung ebenfalls mit der Kontakthäufigkeit und diesbezüglichen Vorteilen nach der Trennung zusammenzuhängen (Haux/ Platt 2021). Insofern legen diese Befunde nahe, dass Selektionseffekte für einen Teil der beobachteten Vorteile mitverantwortlich sein könnten.

Eine geteilte Betreuung der Kinder erfordert eine gute Kooperation der Eltern

Wenn beide Eltern nach der Trennung substanziell Zeit mit den Kindern verbringen, sind sie besonders gefordert, als Team zusammenzuarbeiten (Coparenting). Dies gilt noch mehr für Eltern von jungen Kindern, deren Familienbeziehungen sich erst im Aufbau befinden (Lux u.a. 2021). Der Austausch von relevanten Informationen über das Kind, die Koordination von Terminen und Aufgaben und die Besprechung der Ausgaben des Kindesunterhaltes gehören ebenso dazu wie die gegenseitige Unterstützung und Kooperation in Fragen der Erziehung. So zeigen die Daten des DJI-Surveys „Aufwachsen in Alltagswelten: Deutschland“, kurz AIDA (siehe Infobox, S. 10), dass Eltern, die das Wechselmodell oder zumindest Betreuungsmodelle mit häufigem Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil praktizieren, geringere Probleme im Coparenting berichten (Langmeyer u.a. 2022).

Auch wenn eine gute Kooperation zwischen den getrennten Eltern ein wesentlicher Faktor für die Wahl oder Aufrechterhaltung von geteilten Betreuungsmodellen ist, fällt es nicht immer leicht, diesen Anforderungen gerecht zu werden, insbesondere vor dem Hintergrund der zerbrochenen Paarbeziehung. Ist die Beziehung zwischen den Eltern konfliktbelastet und fällt ihnen die Fokussierung auf das Kind und dessen Wünsche und Bedürfnisse schwer, dann kann sich dies negativ auf das Kind auswirken. Eine Auswertung der AID:A-Daten aus dem Jahr 2019 zeigt: Wenn Eltern das Wechselmodell praktizieren und gleichzeitig mehr Probleme im Coparenting angeben, steigt das Risiko für Verhaltensauffälligkeiten, vor allem für Hyperaktivität bei den beteiligten Kindern (Langmeyer u.a. 2022).

Die Wünsche der Kinder sollten stärker berücksichtigt werden

Im Hinblick auf die Zufriedenheit der Kinder mit den praktizierten Betreuungsmodellen zeigen die Daten der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ (siehe Infobox rechts; Walper u.a. 2023) die höchsten Zufriedenheitswerte für Kinder, die im Wechsel- oder im Residenzmodell bei der Mutter mit regelmäßigem Kontakt zum Vater leben. Werden zusätzlich Umgangsprobleme berücksichtigt, hält der Effekt des Betreuungsmodells jedoch nicht stand. Das bekräftigt abermals die Bedeutung positiver Familienbeziehungen auch nach einer elterlichen Trennung oder Scheidung. Entsprechend verwundert es nicht, dass die psychische Gesundheit und die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder beeinträchtigt werden, wenn die Wünsche der Kinder bezogen darauf, wie und wo sie nach einer elterlichen Trennung oder Scheidung leben oder wie häufig sie Kontakt zu beidenElternteilen haben, nicht berücksichtigt werden. Insofern ist für die Wahl des passenden Betreuungsmodells nach einer Trennung auch die Perspektive des Kindes selbst ein maßgeblicher Faktor, welcher nicht unberücksichtigt bleiben sollte.

Wie gut Kindern die Anpassung an die Trennung ihrer Eltern gelingt, wird also in bedeutsamem Ausmaß von der Qualität der Familienbeziehungen beeinflusst. Das gewählte Betreuungsmodell ist hingegen weniger relevant. In jedem Fall aber sollten bei Betreuungs- und Umgangsregelungen die Wünsche und Bedürfnisse von Kindern berücksichtigt und die Kinder altersentsprechend an der Entscheidung beteiligt werden.

Baude, Amandine / Pearson, Jessica / Drapeau, Sylvie (2016): Child adjustment in joint physical custody versus sole custody. A meta-analytic review. In: Journal of Divorce & Remarriage, 57. Jg., H. 5, S. 338–360

Cabrera, Natasha J. / Volling, Brenda L. / Barr, Rachel (2018): Fathers are Parents, too! Widening the lens on parenting for children’s development. In: Child Development Perspectives, 12. Jg., H. 3, S. 152–157

Hakovirta, Mia u.a. (2023): Joint physical custody of children in Europe: A growing phenomenon. In: Demographic Research, 49. Jg., S. 479–491

Haux, Tina / Platt, Lucinda (2021): Fathers’ involvement with their children before and after separation. In: European Journal of Population, 37. Jg., H. 1, S. 151–177

Keil, Jan / Langmeyer, Alexandra N. (2020): Vater-Kind Kontakt nach Trennung und Scheidung: Die Bedeutung struktureller sowie intrafamilialer Faktoren. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 40. Jg., H. 1, S. 39–61

Kleinschlömer, Pauline / Krapf, Sandra (2023): Parental separation and children’s wellbeing: Does the quality of parent-child relationships moderate the effect? In: Journal of Social and Personal Relationships, 40. Jg., H. 12, S. 4197–4218

Köppen, Katja / Kreyenfeld, Michaela / Trappe, Heike (2020): Gender differences in parental well-being after separation. Does shared parenting matter? In: Kreyenfeld, Michaela/ Trappe, Heike (Hrsg.): Parental life courses after separation and divorce in Europe. S. 235–264

Langmeyer, Alexandra u.a. (2022): Post-separation physical custody arrangements in Germany. Examining sociodemographic correlates, parental coparenting, and child adjustment. In: Social Sciences, 11. Jg., H. 3, S. 114–136

Lux, Ulrike u.a. (2021): Bindungsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern im Kontext von Trennung und Scheidung. Welche Rolle spielen Umfang und Qualität des Eltern-Kind-Kontakts? In: Praxis der Rechtspsychologie, 31. Jg., H. 2, S. 27–52

Nielsen, Linda (2018): Joint versus sole physical custody. Children’s outcomes independent of parent–child relationships, income, and conflict in 60 studies. In: Journal of Divorce & Remarriage, 59. Jg., H. 4, S. 247–281

Schoppe-Sullivan, Sarah J. / Fagan, Jay (2020): The evolution of fathering research in the 21st century. Persistent challenges, new directions. In: Journal of Marriage and Family, 82. Jg., H. 1, S. 175–197

Schnor, Christine (2014): The effect of union status at first childbirth on union stability. Evidence from Eastern and Western Germany. In: European Journal of Population, 30. Jg., S. 129–160 STATISTISCHES BUNDESAMT (2023a): Pressemitteilung Nr. 252 vom 28. Juni 2023. 3,8 % weniger Ehescheidungen im Jahr 2022

Statistisches Bundesamt (2023b): Zahl der Woche Nr. 20 vom 16. Mai 2023. 15 % der Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren sind Väter.

Walper, Sabine / Entleitner-Phleps, Christine / Langmeyer, Alexandra N. (2020): Betreuungsmodelle in Trennungsfamilien. Ein Fokus auf das Wechselmodell. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 40. Jg., H. 1, S. 62–80

Walper, Sabine u.a. (2023): Umgang und Betreuung aus Sicht von Eltern und Kindern: Zur Rolle von Partizipationsmöglichkeiten der Kinder und Problemen beim Umgang. In: Rücker, Stefan u.a. (Hrsg.): „Kindeswohl und Umgangsrecht “ – Wohlergehen von Kindern in Trennungsfamilien. Studie der Forschungsgruppe PETRA. Schlüchtern, S. 118–138

Walper, Sabine u.a. (2021): Gemeinsam getrennt erziehen. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim BMFSFJ. Berlin

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 3+4/2024 von DJI Impulse „Elternkonflikte meistern: Wie Kinder gstärkt aus Familienkrisen hervorgehen“ (Download PDF).

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