Von Armut bedroht

Trennungskinder haben in Deutschland ein besonders hohes Armutsrisiko. Warum gerade alleinerziehende Mütter und ihre Kinder häufig in finanzielle Not geraten und welche Unterstützung sie benötigen.

Von Christina Boll, Simone Schüller und Antonia Birkeneder

Kinderarmut ist Familienarmut – und betrifft vor allem Allein­erziehende: Ein Fünftel aller Familien mit minder­jährigen Kindern in Deutsch­landwar im Jahr 2023 allein­erziehend, 82 Prozent von ihnen sind Mütter (Statistisches Bundesamt 2024a), und ein knappes Viertel der Allein­erziehenden ist armuts­gefährdet (Statistisches Bundesamt 2024b). 37 Prozent von ihnen beziehen Grund­sicherungs­leistungen nach dem Zweiten Sozial­gesetzbuch (SGB II) (Statistik der Bundes­agentur für Arbeit 2024). Auch ihre Wohn­situation ist oft schwierig: Rund 27 Prozent der Allein­erziehenden in Deutschland leben in über­belegten Wohnungen (Eurostat 2024a), ein Fünftel zahlt Warm­mieten, die 40 Prozent des Haushalts­einkommens übersteigen (Eurostat 2024b).

Armutsgefährdete oder -betroffene Kinder und Jugendliche sprechen von Scham, sozialem Rückzug, Verzicht und Ausgrenzungserfahrungen.

Armuts­gefährdet sind auch Kinder in Stief­familien, die rund 8 Prozent aller Familien aus­machen (Recksiedler u.a. 2024). Bei circa der Hälfte von ihnen handelt es sich um sogenannte komplexe Stief­familien: Hier lebt neben einem oder mehreren Kindern aus vorherigen Partner­schaften auch mindestens ein gemein­sames Kind des neuen Paares (Hegemann u.a. 2021) im Haushalt. In diesen komplexen Stief­familien haben diejenigen Kinder mit nur einem leiblichen Eltern­teil im Haus­halt höhere Deprivations­risiken als die aus der neuen Bindung hervor­gegangenen Geschwister, die mit beiden leiblichen Eltern­teilen zusammen­leben (Eichhorn u.a. 2024).

Mit Armut gehen für Kinder oft weitere Belastungen einher. Armuts­gefährdete oder -betroffene Kinder und Jugendliche sprechen von Scham, sozialem Rückzug, Verzicht und Ausgrenzungs­erfahrungen; manche sind zusätzlich durch familiale Beziehungs­konflikte und andere Krisen belastet (Schlimbach u.a. 2024).

Alleinerziehende Mütter wenden mehr Zeit für die Betreuung der Kinder und weniger für die Erwerbsarbeit auf als alleinerziehende Väter

Eine unzureichende Erwerbs­integration der Eltern ist einer der Haupt­gründe für das Aufwachsen in Armut: Unter Kindern, deren Eltern beide in Voll­zeit erwerbs­arbeiten, sind nur 4 Prozent armuts­gefährdet. Bei den Kindern, deren Elternteile beide gar nicht erwerbs­tätig sind, sind es hingegen 56 Prozent (BMFSFJ 2024). Für Allein­erziehende ist die Verein­barkeit von Familie und Beruf besonders heraus­fordernd. Sofern ein nicht im Haushalt lebender Eltern­teil überhaupt mitbetreut, übernimmt er meist nur einen kleineren Anteil des Betreuungs­umfangs. Aufgrund traditioneller Geschlechter­rollen und da sie im Mittel jüngere Kinder haben (Statistisches Bundesamt 2018), leisten allein­erziehende Mütter mehr Betreuung als allein­erziehende Väter. Entsprechend gingen im Jahr 2022 71 Prozent der allein­erziehenden Mütter einer Erwerbs­tätigkeit nach, womit sie deutlich hinter den allein­erziehenden Vätern lagen, bei denen es 85 Prozent waren; Mutterschutz und Elternzeit wurden hierbei nicht als Erwerbs­tätigkeit gewertet (BMFSFJ 2024). Mütter von Klein­kindern, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, stehen dem Arbeits­markt in dieser Familien­phase meist nicht zur Verfügung (Artmann 2024). Anderen gelingt es mitunter nicht, eine Erwerbs­arbeit aufzunehmen, auch wenn dies gewünscht ist (Hamann/Wydra-Somaggio 2023).

Alleinerziehende finden häufig nur im Niedriglohnsektor Arbeit, insbesondere dann, wenn sie gering qualifiziert sind.

Viele Allein­­erziehende sehen sich gezwungen, marginale Beschäftigungs­­verhältnisse einzugehen (Nieuwenhuis/Maldonado 2018), sie nehmen also nur einen gering­fügig entlohnten oder kurz­fristigen Job an. Auch finden Allein­­erziehende häufig nur im Niedrig­lohn­­sektor Arbeit (Krause u.a. 2014), insbesondere dann, wenn sie gering qualifiziert sind, was auf ein knappes Drittel (30 Prozent) der allein­­erziehenden Mütter zutrifft. Bei den Vätern sind es 22 Prozent (Statistisches Bundesamt 2024c). Erwerbs­tätig zu sein bedeutet insofern nicht zwingend, dass ein bedarfs­­deckendes Einkommen erzielt wird. Hinzu kommt, dass Allein­erziehende – im Gegensatz zu Paar­familien – die Kosten für die Wohnungs­miete oder das Auto nicht mit der Partnerin beziehungs­weise dem Partner teilen können. Die Allein­erziehenden unter den Leistungs­beziehenden – und hier insbesondere die Mütter – tragen daher ein besonders hohes Risiko, auf staatliche Leistungen angewiesen zu bleiben (Lietzmann 2011).

Ausbleibende Unterhaltszahlungen verschärfen die Situation

Neben dem Erwerbs­einkommen stellen Unterhalts­zahlungen, vorrangig Kindes­unterhalt, aber auch Trennungs- und nach­ehelicher Unterhalt, eine wichtige Einkommens­quelle für Allein­erziehende dar (Boll/Meysen 2024). Wie eine Auswertung der Allein­erziehenden­studie des Deutschen Jugend­instituts (DJI) aus dem Jahr 2016 zeigt, erhalten allerdings nur etwa 60 Prozent der allein­erziehenden Mütter und Väter den verein­barten Unter­halt voll­ständig, die anderen bekommen ihn nicht oder nur teilweise. Ein Fünftel der Mütter hat gar keine Verein­barung mit dem anderen Elternteil über die Zahlung von Bar­unterhalt getroffen (Hubert/Neuberger/Sommer 2020).

Für aus­bleibende Zahlungen gibt es viele Gründe. Diese sind etwa dann wahr­scheinlicher, wenn der Kontakt zum anderen Eltern­­teil nur gering oder ganz abgebrochen ist (Walper/Amberg/ Langemeyer 2022). Allerdings haben viele der säumigen Väter sogar intensiven Kontakt zu ihrem Kind oder ihren Kindern. Sie scheinen die gemeinsam verbrachte Zeit als Kompensation für Unterhalts­zahlungen anzu­sehen (Hartmann 2014). Ein Teil der Mütter verzichtet zudem freiwillig auf Unter­halt, um das Verhält­nis zum Vater nicht zu belasten (Hubert/Neuberger/Sommer 2020). Da nur 36 Prozent der Mütter den staatlichen Unterhalts­vorschuss in Anspruch nehmen können (BMFSFJ 2024), bringt der private Zahlungs­ausfall viele in finanzielle Bedrängnis.

Traditionelle Rollenverteilung führt nach der Trennung zu schlechteren Einkommensperspektiven von Frauen

Wenig Zeit für Erwerbs­arbeit, oftmals nur mäßige Verdienste und fehlende Unterhalts­zahlungen führen dazu, dass das bedarfs­gewichtete Pro-Kopf-Haushalts­einkommen nach der Trennung vom Partner auch bei formal gut qualifizierten Müttern stark sinkt, wenn die Kinder bei ihnen wohnen bleiben. Auch eine gewisse Mitbetreuung des nicht im Haus­halt lebenden Vaters ändert daran nichts. Zwar können die­jenigen Mütter, bei denen der nicht im Haus­halt lebende Vater sich in der Betreuung engagiert, ihre wöchent­liche Erwerbsarbeits­zeit etwas stärker erhöhen als Mütter, deren Expartner sich nicht an der Kinder­betreuung beteiligen; dennoch geht der Zeit­aufwand für die Kinder­betreuung auch bei der erst­genannten Mütter­gruppe kaum zurück. Insgesamt nimmt mit der Trennung sowohl die Einkommens- als auch die Lebens­zufriedenheit beider Elternteile deutlich ab. Es sind allerdings die Mütter – und nicht die Väter –, bei denen die finanziellen Sorgen stark zunehmen (Boll/Schüller 2023).

Eine Vielzahl von Studien bestätigt die verschlechterten Einkommens­perspektiven von Frauen nach der Trennung absolut und relativ im Vergleich zu denen ihrer ehemaligen (männlichen) Partner – insbesondere dann, wenn in der Familie eine traditionelle Rollen­teilung gelebt wurde (Brüggmann/Kreyenfeld 2023). Die schwierige ökono­mische Situation vieler Mütter nach Trennung hängt oft auch mit bereits vor der Trennung bestehenden finanziellen Problemen und deren Ursachen zusammen (Hübgen 2020), die oft auch die Trennung selbst begünstigt haben (Birkeneder/Boll 2021). Dies macht es für betroffene Mütter umso schwieriger, diese ungünstige Situation wieder zu verlassen.

Dringend erforderlich ist eine verlässliche Kindertagesbetreuung

Trennungs­eltern und insbesondere Allein­erziehende brauchen ein festes Stand­bein auf dem Arbeits­markt, auch wenn Vereinbarkeits­konflikte gerade sie besonders belasten (Van den Eynde/Vercruyssen/Mortelmans 2019). Entlastung könnte hier eine verlässliche Kinder­tages­betreuung schaffen, doch der ungedeckte Bedarf an Plätzen für Kinder bis zu drei Jahren (BMFSFJ 2023) ist bundesweit unter Allein­erziehenden besonders stark ausgeprägt (Steinberg u.a. 2024). Es bleibt also viel zu tun. Um Armut bei Trennungs­eltern zu reduzieren, müssen ferner Zugangs­barrieren zu monetären Antrags­leistungen, fehlende Kenntnisse etwa oder büro­kratische Hürden, weiter abgebaut werden. Informa­tionen zu Angeboten und Anlauf­stellen müssen analog wie digital dort bereit­gestellt werden, wo Eltern sich aufhalten (Baisch u.a. 2023). Das gilt auch für die psycho­sozialen Unterstützungs­angebote der Kinder- und Jugend­hilfe.

Digitale Beratungs­angebote wie die Online-Plattform STARK können eine sinn­­volle Ergänzung zu Angeboten vor Ort sein. Sie können Eltern in ihrer Entscheidungs­findung ebenso unterstützen wie bei der Kommuni­kation mit ihren Kindern über das schwierige Thema Trennung und Scheidung. Doch nicht nur Eltern benötigen Beratung: Für Beratungs­fachkräfte besteht ebenfalls ein anhaltender Weiterbildungs­bedarf – und auch dafür bietet die Online-Plattform STARK Materialien.

Artmann, Elisabeth (2024): Jobcenter-Betreuung von Alleinerziehenden im Vergleich zu Eltern in Paarfamilien. IAB-Forschungsbericht Nr. 3/2024. Nürnberg

Baisch, Benjamin (2023): Barrieren der Inanspruchnahme monetärer Leistungen für Familien. München

Birkeneder, Antonia / Boll, Christina (2021): How causal is separation? Lessons learnt from endogenous switching regression models for single mothers’ economic strain in Germany. In: SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research. 1147/2021, Berlin


Boll, Christina / Meysen, Thomas (2024): Child support as part of a multifaceted but fragmented system in Germany, In: Cook, Kay/Meysen, Thomas/Byrt, Adrienne (Hrsg.): Single Parents and Child Support Systems. An international comparison. New Horizons in Social Policy Series. Cheltenham, S. 109–127

Boll, Christina / Schüller, Simone (2023): The Economic Well- Being of Nonresident Fathers and Custodial Mothers Revisited: The Role of Paternal Childcare. In: Journal of Family and Economic Issues, H. 44, S. 836–853

Brüggmann, Daniel / Kreyenfeld, Michaela (2023): Earnings trajectories after divorce: The legacies of the earner model during marriage. In: Population Research and Policy Review, 42. Jg., Artikel 2

Bundesministerium Für Familie, Senioren, Frauen Und Jugend (BMFSFJ) (2024): Familienreport 2024. Berlin

Bundesministerium Für Familie, Senioren, Frauen Und Jugend (BMFSFJ) (2023): Kindertagesbetreuung Kompakt. Ausbaustand und Bedarf 2022. Berlin

Eichhorn, Thomas u.a. (2024): Clusters of relative deprivation for children under 12 years of age. DJI Preprint. München

Eurostat (2024a): Overcrowding rate by household type – total population – EU-SILC survey

Eurostat (2024b): Housing cost overburden rate by household type – EU-SILC survey

Hamann, Silke / Wydra-Somaggio, Gabriele (2023): Poor labour market prospects due to intensive caregiving? Childcare and eldercare among welfare recipients in Germany. In: International Journal of Social Welfare, 33. Jg., H. 1, S. 290–308

Hegemann, Ulrike u.a. (2021): Beratungsbedarfe von Stieffamilien. Eine Handreichung für Fachkräfte der (Familien-)beratung. München

Hubert, Sandra / Neuberger, Franz / Sommer, Maximilian (2020): Alleinerziehend, alleinbezahlend? Kindesunterhalt, Unterhaltsvorschuss und Gründe für den Unterhaltsausfall. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 40. Jg., H. 1, S. 19–38

Hübgen, Sabine (2020): Armutsrisiko alleinerziehend. Die Bedeutung von sozialer Komposition und institutionellem Kontext in Deutschland. Opladen/Berlin/Toronto

Krause, Nina R. u.a. (2014): Die zerklüftete Republik. Bericht zur regionalen Armutsentwicklung. Berlin: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband e.V.

Lietzmann, Torsten (2011): Bedürftigkeit von Müttern. Dauer des Leistungsbezuges im SGB II und Ausstiegschancen. In: Zeitschrift für Sozialreform, 57. Jg., H. 3, S. 339–364

Nieuwenhuis, Rense / Maldonado, Laurie (2018): The triple bind of single-parent families Resources, employment and policies. In: Nieuwenhuis, Rense / Maldonado, Laurie (Hrsg.): The triple bind of singleparent families. Resources, employment and policies to improve wellbeing. Bristol, S. 1–27

Recksiedler, Claudia u.a. (2024): Enhancing Potentials for Research on Post-Separation Families Using the Growing up in Germany Panel. DJI-Preprint. München

Schlimbach, Tabea u.a. (2024): Kinderarmut? Die Perspektive von Kindern und Jugendlichen. Abschlussbericht zum Projekt „Befragung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Einführung einer Kindergrundsicherung in Deutschland“. DJI. München

Statistik Der Bundesagentur Für Arbeit (2024): SGB II-Hilfequoten (Monats- und Jahreszahlen). Datenstand: April 2024. Nürnberg

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2018): Alleinerziehende in Deutschland 2017. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 2. August 2018. Wiesbaden

Statistisches Bundesamt (2024a): Haushalte und Familien. Erstergebnisse des Mikrozensus 2023 – Bevölkerung in Familien/Lebensformen in Hauptwohnsitzhaushalten. 12211-37: Familien mit Kindern unter 18 Jahren im Jahr 2023 nach ausgewählten Merkmalen und Familienform

Statistisches Bundesamt (2024b): Armutsgefährdungsquote (monetäre Armut) nach Haushaltstyp im Zeitvergleich. MZ-SILC-Endergebnisse 2020–2023

Statistisches Bundesamt (2024c): Erstergebnisse des Mikrozensus 2023 – Bevölkerung in Familien/Lebensformen in Hauptwohnsitzhaushalten. 12211-24: Alleinerziehende Mütter im Jahr 2023 nach ausgewählten Merkmalen und Gebietsstand sowie 12211-23: Alleinerziehende Väter im Jahr 2023 nach ausgewählten Merkmalen und Gebietsstand

Steinberg, Hannah S. u.a. (2024): Alleinerziehende in der Betreuungsplatzvergabe: Status quo und Handlungsempfehlungen. In: Wirtschaftsdienst, 104. Jg., H. 5, S. 336–342

Van Den Eynde, Annelies / Vercruyssen, Anina / Mortelmans, Dimitri (2019): The Experience of Work – Family Conflict Among Divorced Parents in Flanders. Journal of Divorce & Remarriage, 60. Jg., H. 6, S. 447–478

Walper, Sabine / Amberg, Stefanie / Langmeyer, Alexandra N. (2022): Familien mit getrennten Eltern. In: Schierbaum, Anja/Ecarius, Jutta (Hrsg.): Handbuch Familie: Bd. II: Erziehung, Bildung und pädagogische Arbeitsfelder, S. 1–19. Wiesbaden

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 3+4/2024 von DJI Impulse „Elternkonflikte meistern: Wie Kinder gstärkt aus Familienkrisen hervorgehen“ (Download PDF).

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