Gefangen im Konflikt

Manche Eltern können ihre Trennungskonflikte weder durch Beratung noch durch Gerichtsentscheidungen beilegen. In diesen hochstrittigen Trennungsfamilien erleben Kinder einen Alltag, der durch Angst, Stress und Hilflosigkeit gekennzeichnet ist. Wie sich ihre Lebenssituation verbessern lässt, wurde am DJI mehrfach untersucht.

Von Susanne Witte und Heinz Kindler

Wenn Eltern sich trennen, ist dies in aller Regel für Kinder belastend, insbesondere wenn der Prozess von vielen Konflikten zwischen den Eltern begleitet wird (Amato 2001). Sind diese lang anhaltend oder schlagen sie in Gewalt zwischen den Eltern um, verstärkt dies die Belastung (Kindler 2023). Von hochstrittigen Trennungsfamilien wird gesprochen, wenn Konflikte um Sorge-, Betreuungs- und Kontaktregelungen sowie Unterhaltszahlungen mehrere Jahre anhalten und über Beratung beziehungsweise Mediation sowie Gerichtsverfahren keine Befriedung zu erreichen ist (ebenda). Kinder entwickeln dann häufig die Vorstellung, sich zum Konflikt positionieren zu müssen (Stokkebekk u.a. 2019). Sind mehrere Kinder in der Familie, kommt es oft auch zu einer Belastung der Beziehung unter den Geschwistern (Bush/Ehrenberg 2003).

Eltern streiten sich häufig über das Recht auf Umgang mit ihren Kindern

Belastbare Schätzungen zur Anzahl hoch­konflikthafter Trennungs­familien in Deutschland fehlen. Immer wieder wird von etwa 5 bis 10 Prozent aller Trennungs­familien gesprochen (Dietrich/Paul 2006), jedoch gibt es für solche Zahlen keine verlässliche empirische Grundlage. Unstrittig ist aber, dass Hoch­strittigkeit nicht nur Eltern und Kinder belastet, sondern auch erhebliche Ressourcen bei Beratungs­stellen, Jugend­ämtern und Gerichten bindet. Deshalb hat sich das Deutsche Jugend­institut (DJI) in mehreren Projekten und Veröffentlichungen damit auseinander­gesetzt.

Instituts­direktorin Prof. Dr. Sabine Walper hat den Elternkurs „Kinder im Blick“, speziell für hochstrittige Trennungs­familien, mitentwickelt und evaluiert (Retz/Walper 2015). Weitere Projekte, an denen Forschende des DJI beteiligt waren, haben sich beispielsweise mit den Aus­wirkungen der Hoch­strittigkeit auf Eltern (Fichtner 2010) oder den Folgen von Umgang unter Bedingungen von Hoch­strittigkeit auf Kinder beschäftigt (Rücker u.a. 2023). Gezeigt wurde, dass ständiger Streit beide Eltern auf die Dauer auslaugt, was eine Motivation für Beratung schaffen kann. Kinder mit hoch­strittigen Eltern werden durch anhaltende Umgangs­probleme und Gewalt zwischen den Eltern belastet, während ein Einbezug der Kinder und eine Orientierung am Kindes­willen entlastend wirken.

Weitere Arbeiten haben die Herangehens­weisen und Bedarfe von Beratungs­stellen untersucht und einen großen Orientierungs­bedarf zum Thema Hochstrittigkeit aufgezeigt (Kindler/Eppinger 2022). Zudem wurden in einer Forschungs­übersicht Befunde zu Umgangsverweigerungen von Kindern untersucht. In der Regel tragen hierzu mehrere Einflüsse bei (zum Beispiel beobachtete Konflikte, belastete Vor­beziehungen zwischen dem Kind und einem Elternteil), sodass die zielgerichtete Manipulation eines Kindes durch einen Elternteil gegen den anderen eine Rolle spielen kann, aber nicht als alleiniger Erklärungs­­ansatz taugt (Zimmermann u.a. 2023).

Andere europäische Länder räumen den Kindern mehr Rechte ein

In Deutschland bleiben Familiengerichte bei Entscheidungen in hochstrittigen Fällen ganz überwiegend im Bereich der Bestimmungen zum Sorge- und Umgangsrecht, das heißt, Entscheidungen erfolgen meist nur auf Antrag eines Elternteils, und Einigungen zwischen den Eltern haben Vorrang. Im Kinderschutzrecht mögliche Zwangsinterventionen des Staates, bei denen Gerichte im Fall einer Kindeswohlgefährdung unabhängig von elterlichen Anträgen handeln und notfalls gegen den elterlichen Willen Schutz­maßnahmen durchsetzen, sind in Deutschland bislang selten (Kindler 2023). Dass dies in anderen Ländern anders ist, zeigte das DJI-Forschungsprojekt HESTIA. In den Niederlanden beispielsweise bezogen sich bei der ländervergleichenden Auswertung von 1.209 Fallakten mehr als 14 Prozent der Mitteilungen bezüglich einer möglichen Kindeswohlgefährdung auf hochstrittige Trennungen. In Deutschland waren es nur 2 Prozent. Häusliche Gewalt, welche häufig rund um Trennungen auftritt, wurde in 39 Prozent der Mitteilungen in den Niederlanden als ein Grund einer Gefährdung angegeben, in Deutschland bei 18 Prozent (Witte u.a. 2022). Dies legt nahe, dass in den Niederlanden anhaltende Trennungskonflikte von Eltern eher als Kindeswohlgefährdung eingeordnet werden, als dies in Deutschland der Fall ist.

Dem Miterleben von Partnerschaftsgewalt als einer möglichen Form von Kindeswohlgefährdung wird in den Niederlanden größere Bedeutung beigemessen als in Deutschland.

Mitteilungen bezüglich Trennungskonflikten und häuslicher Gewalt werden in den Niederlanden von der gleichen Anlaufstelle bearbeitet, was möglicherweise die Verknüpfung beider Verfahren, nämlich die Beratung im Hinblick auf die Beziehung und die Abklärung einer Gefährdung des Kindeswohls, erleichtert. Anders als in Deutschland wird aber auch dem Miterleben von Partnerschaftsgewalt als einer möglichen Form von Kindeswohlgefährdung größere Bedeutung beigemessen (López López u.a. 2019). Auch wenn andere Gefährdungsaspekte, wie etwa Misshandlung, Missbrauch oder Vernachlässigung, mitberücksichtigt werden, erhöht in den Niederlanden das Vorliegen einer hochstrittigen Trennungssituation die Wahrscheinlichkeit für die Einordnung des Falls als Kindeswohlgefährdung im Vergleich zur Einordnung als hochstrittige Trennungssituation, bei der es lediglich einer Unterstützung der Familie bedarf (bisher unveröffentlichte Zusatzauswertung, HESTIA).

Die Perspektive der Kinder berücksichtigen – bereits vor der Trennung

Einen ganz anderen Weg im Umgang mit elterlicher Hochstrittigkeit bei Scheidungen geht Norwegen: Hier wird präventiv eine verbindliche Mediation vor der Scheidung vorgesehen, welche zudem durch deutlich höheres Kindergeld vom Staat honoriert wird, indem das Kindergeld dann so berechnet wird, als hätte die Familie ein Kind mehr. Inwieweit es durch diese frühzeitige Mediation gelingt, Hochstrittigkeit vorzubeugen, ist noch nicht ausreichend untersucht. Die Mediation bietet aber eine wichtige Möglichkeit, mit den Kindern direkt in Kontakt zu kommen und so deren Perspektive mit zu berücksichtigen (Grape u.a. 2021).

In Deutschland wird zunehmend versucht, Hochstrittigkeit durch eine Zusammenarbeit von Familiengerichten und Beratungsstellen mit spezialisierten Beratungsangeboten zu begegnen. Diese zeigen vor allem im Hinblick auf eine bessere Unterstützung des Kindes durch die Eltern vielversprechende Befunde. Gleichwohl bedarf dieser elternfokussierte Ansatz mit Blick auf internationale Entwicklungen zur Stärkung der Kinderrechte möglicherweise der Ergänzung.

Amato, Paul R. (2001): Children of divorce in the 1990s: an update of the Amato and Keith (1991) meta-analysis. In: Journal of Family Psychology: JFP: journal of the Division of Family Psychology of the American Psychological Association (Division 43), 15. Jg., H. 3, S. 355–370

Bush, Jacqueline E. / Ehrenberg, Marion F. (2003): Young persons’ perspectives on the influence of family transitions on sibling relationships. In: Journal of Divorce & Remarriage, 39. Jg., H. 3–4, S. 1–35


Dietrich, Peter S. / Paul, Stephanie (2006): Hoch strittige Elternsysteme im Kontext Trennung und Scheidung – Differentielle Merkmale und Erklärungsansätze. In: Weber, Matthias/Schilling,  Herbert (Hrsg.): Eskalierte Elternkonflikte. Weinheim/München

Fichtner, Jörg (2010). Die Auswertung der quantitativen Befragung von 158 Eltern in Beratung. In: Fichtner, Jörg u.a. (Hrsg.): Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft. Wissenschaftlicher Abschlussbericht. München S. 32–83

Grape, Lovise / Thørnblad, Renee / Handegård, Bjørn Helge (2021): Children sharing preferences on contact and residence arrangements in child-inclusive family mediation in Norway. In: The International Journal of Children’s Rights, 29. Jg., H. 1, S. 31–53

Kindler, Heinz (2023): Forschung zu Scheidung und Hochkonflikthaftigkeit. Ein Update für Sachverständige. In: Praxis der Rechtspsychologie, 33 (1). Jg., S. 5–40

Kindler, Heinz / Eppinger, Sabeth (2022): Beratung hilft! Ein Leitfaden für Fachkräfte, die Eltern zu Trennung und Scheidung beraten. München

López López, Mónica u.a. (2019): The Dutch child protection system: Historical overview and recent transformations. In: Merkel-Holguin, Lisa/Fluke, John D./Krugman, Richard D. (Hrsg.): National systems of child protection. Understanding the international variability and context for developing policy and practice. Cham, S. 173–192

Retz, Eline / Walper, Sabine (2015): Hochstrittige Eltern in Zwangskontexten: Effekte des Elternkurses Kinder im Blick. In: Praxis der Rechtspsychologie, 25 (1/2), Jg., S. 61–84

Rücker, Stefan u.a. (Hrsg.) (2023): Befunde der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ – Wohlergehen von Kindern in Trennungsfamilien (Forschungsgruppe Petra). Schlüchtern

Stokkebekk, Jan u.a. (2019): „Keeping balance“, „Keeping distance“ and „Keeping on with life“: Child positions in divorced families with prolonged conflicts. In: Children and Youth Services Review, 102. Jg., S. 108–119

Witte, Susanne u.a. (2022): Child maltreatment investigations: Comparing children, families, and reasons for referral in three European countries. In: Child Abuse & Neglect, 132. Jg., Art. 105805

Zimmermann, Janin u.a. (2023): Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, Teil 1. Warum wir allzu vereinfachte Vorstellungen von „Eltern-Kind-Entfremdung“ hinter uns lassen müssen. Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ), 18 (2). Jg., S. 43–48

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 3+4/2024 von DJI Impulse „Elternkonflikte meistern: Wie Kinder gstärkt aus Familienkrisen hervorgehen“ (Download PDF).

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