Raus aus der Streitfalle
Partnerschaftskonflikte können die psychische Gesundheit von Eltern und Kindern beeinträchtigen. In Trainingsprogrammen lassen sich Kompetenzen im Umgang mit Streit nachweislich verbessern, doch es gelingt noch zu selten, betroffene Eltern rechtzeitig mit diesen Präventionsangeboten zu erreichen.
Von Beate Ditzen und Kurt Hahlweg
Die Hoffnung, in einer festen Partnerschaft Geborgenheit, Wertschätzung und Zärtlichkeit zu erleben, ist universell. Geht sie in Erfüllung, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für psychische Stabilität und Zufriedenheit gegeben. Doch eine Partnerschaft kann sich auch in eine der schlimmsten Leidensquellen verwandeln. Dies gilt ebenso für die mitbetroffenen Kinder. Im Rahmen der „BELLA-Studie“ des Robert Koch-Instituts, einer Befragung zum seelischen Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen, zeigte sich: Familiäre Konflikte erhöhen das Risiko für Kinder, eine psychische Störung zu erleiden, um das Fünffache im Vergleich zu Kindern, die in einer konfliktarmen Familie aufwachsen. Unzufriedenheit der Eltern mit ihrer Partnerschaft ist mit einem 2,8-fach erhöhten Risiko für Kinder verbunden, die psychische Erkrankung eines Elternteils geht mit einem 2,4-fach erhöhten Risiko einer psychischen Beeinträchtigung bei Kindern einher (Wille u.a. 2008).
Kinder leiden unter der Trennung, aber auch unter den Konflikten der Eltern
Auch die Trennung oder Scheidung als Folge von Konflikten im Elternhaus hinterlässt bei Kindern Spuren: Studien nach zeigen Kinder aus Scheidungsfamilien häufiger aggressives und oppositionelles Verhalten, Ängste, Depressionen, somatische Beschwerden, geringeres Selbstwertgefühl, schlechtere Schulleistungen und ungünstiges Sozialverhalten. Diese Probleme können bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben und zu weiteren Schwierigkeiten führen, etwa einem niedrigeren Schul- und Berufsabschluss, häufigerer Straffälligkeit, erhöhtem Alkoholkonsum und einem erhöhten Risiko, später selbst geschieden zu werden (Hahlweg/Bodenmann 2023).
Für geschiedene Eltern lassen sich im Vergleich zu verheirateten Personen eine niedrigere Lebenszufriedenheit, höhere Depressionsraten, häufigere Suizide, höherer Alkoholkonsum, mehr sexuelle Funktionsstörungen, Schlafstörungen, soziale Isolation, Diabetes-, Krebs- und Herzkreislauferkrankungen sowie eine höhere Mortalitätsrate nachweisen (Robles u.a. 2014, Sbarra u.a. 2011). All dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die Kinder.
Aus den demografischen Angaben allein lässt sich nicht ablesen, worauf genau die negativen Folgen für die Betroffenen zurückzuführen sind: auf die Trennung selbst oder aber auf die konflikthaften und belastenden Interaktionen, die zur Trennung geführt haben. Die Daten zu den Folgen sind nicht so zu interpretieren, dass eine Trennung oder Scheidung generell vermieden werden sollte. Chronische Partnerschaftskonflikte können häufig sogar stärkere Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der Familienmitglieder haben als eine Trennung beziehungsweise Scheidung. Gleichzeitig legen die Daten nahe, dass jede Form der Prävention, die Partnerschaftsproblemen vorbeugt und sie vermindert, langfristige positive Konsequenzen hat.
Trainingsprogramme fördern partnerschaftliche Kommunikation, Problemlösung und Stressbewältigung
Für die erfolgreiche Prävention von Partnerschaftsproblemen kommt insbesondere dem aktiven, handlungsorientierten Training partnerschaftlicher Kompetenzen große Bedeutung zu. Es geht um Paarkommunikation, Problemlösung und das sogenannte dyadische Coping, eine Form der gemeinschaftlichen Stressbewältigung (Job u.a. 2014). Denn Konflikte sind ein Bestandteil jeder Partnerschaft; Ziel von Präventionsprogrammen ist nicht, sie zu verhindern, sondern die Kompetenzen des Paars für den Umgang mit künftigen Konflikten zu steigern. In Deutschland ist vor allem das „EPL – Ein Partnerschaftliches Lernprogramm“ (Job u.a. 2014) verbreitet. Während des EPL-Trainings lernen Paare, Gefühle offen anzusprechen, Erwartungen verständlich zu formulieren, einander zuzuhören und Verständnis füreinander zu entwickeln. Ein weiteres Programm ist „Paarlife“ (Bodenmann 2016), das neben der Förderung der partnerschaftlichen Kommunikation und Problemlösung zum Ziel hat, das dyadische Coping zu verbessern. Diese Programme können sowohl in der Gruppe als auch mit einem einzelnen Paar durchgeführt werden.
„EPL – Ein Partnerschaftliches Lernprogramm“ senkt langfristig die Scheidungsrate und das Stresslevel bei Konflikten
Von Interesse ist bei Präventionsprogrammen insbesondere die Langzeiteffektivität. Allerdings gibt es bisher international nur wenige Studien, die über eine Ein-Jahres-Katamnese hinausgehen, also den Effekt der Maßnahmen über einen größeren Zeitraum untersuchen. Eine Ausnahme bildet die Begleitforschung zu EPL in Deutschland: Im Jahr 1988 wurden 96 Paare, die kirchlich heiraten wollten, für die erste quasiexperimentelle Studie im Sinne einer Ehevorbereitung gewonnen. 64 Paare entschieden sich für die Teilnahme am EPL, 32 davon wurden der Kontrollgruppe zugeteilt. Die EPL-Paare zeigten im Verlauf der Studie eine signifikant niedrigere Scheidungsrate: Nach fünf Jahren waren 4 Prozent von ihnen getrennt, nach 25 Jahren 5 Prozent. Dagegen hatten sich in der Vergleichsgruppe nach fünf Jahren 24 Prozent der Paare scheiden lassen, nach 25 Jahren waren es 26 Prozent (Engl/Thurmaier/Hahlweg 2019). In einer anderen Studie wurden 67 Paare mit einer mittleren Partnerschaftsdauer von zehn Jahren, von denen 70 Prozent mit ihrer Beziehung unzufrieden waren, nach dem Zufallsprinzip dem EPL oder einer Kontrollgruppe ohne Intervention zugeordnet (Kaiser u.a. 1999). Nach elf Jahren wiesen die EPL-Paare eine Scheidungsrate von 26 Prozent auf, in der Gruppe der Vergleichspaare lag die Rate hingegen bei 56 Prozent (Hahlweg/Richter 2010). In beiden Studien berichteten die Paare über eine große Zufriedenheit mit dem EPL-Programm.
Auch auf biologischer Ebene konnte nachgewiesen werden, dass positives und wertschätzendes Paarverhalten das Stresslevel – gemessen über das Stress-sensitive Hormon Cortisol – vermindert (Ditzen u.a. 2019) und sogar die Immunantwort beeinflusst (Ditzen u.a. 2023). Nach der Teilnahme am EPL-Programm zeigten Paare auf einen Paarkonflikt hin eine geringere Cortisol-Stressreaktion als auf einen partnerschaftsunabhängigen Leistungsstresstest (Ditzen u.a. 2011).
Die Online-Intervention paarweiseSTARK bietet Übungen zur Bewältigung verschiedener Probleme
Die überwiegende Mehrheit der Paare in Konflikten nutzt das Internet, um nach Informationen und Hilfe zu suchen. Deshalb wurde im Rahmen des vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderten Projekts „Streit und Trennung meistern: Alltagshilfe, Rat und Konfliktlösung“, kurz STARK, ein spezielles Online-Programm entwickelt: Hier können Eltern in Paarkonfliktphasen und bei Trennungsgedanken Informationen und konkrete Übungen finden, um diese Phase der Ambivalenz besser zu bewältigen. Die Seite leitet bei Interesse auch über zur Online-Intervention paarweise- STARK. Diese besteht aus sieben Grundlektionen, etwa zur Emotionsregulation, Kommunikation und dyadischen Problemlösung sowie zu zusätzlichen optionalen Lektionen, die sich unter anderem mit der Bewältigung von Affären oder sexuellen Problemen beschäftigen. Zwar ist das Interesse an dem Programm groß, doch deuten Daten zu internetbasierten Interventionen darauf hin, dass auch bei großem Bedarf und Interesse nur wenige Personen ein Online-Interventionsprogramm tatsächlich durchführen und abschließen. Die Online-Intervention paarweiseSTARK wird deshalb durch eCoaches unterstützt, die am Ende jeder Lektion Feedback geben und bei Fragen ansprechbar sind. Eine Evaluation des Programms steht noch aus.
Die Prävention von Partnerschaftsproblemen und die Intervention bei Konfliktsituationen sollten angesichts der hohen Trennungs- und Scheidungsraten, der mit zunehmender Partnerschaftsdauer tendenziell sinkenden Beziehungszufriedenheit und der zahlreichen negativen Folgen für Eltern und ihre Kinder zu einem festen Bestandteil von Public-Health-Strategien werden. Ihre Wirksamkeit ist belegt. Nun gilt es, die Effekte auch für den Online-Kontext zu erreichen, um möglichst vielen Betroffenen zu helfen.
Ditzen, Beate u.a. (2023): Effects of intranasal oxytocin and positive couple interaction on immune factors in skin wounds. In: Brain, Behavior and Immunity, H. 107, S. 90–97
Ditzen, Beate u.a. (2019): Intimacy as Related to Cortisol Reactivity and Recovery in Couples Undergoing Psychosocial Stress. In: Psychosomatic Medicine, Jg. 81, H. 1, S. 16–25
Ditzen, Beate u.a. (2011): Assisting couples to develop healthy relationships: effects of couples relationship education on cortisol. In: Psychoneuroendocrinology, Jg. 36, H. 5, S. 597–607
Engl, Joachim / Thurmaier, Franz / Hahlweg, Kurt (2019): Prävention von Scheidung: Ergebnisse einer 25-Jahres Follow-up Studie. In: Verhaltenstherapie, Jg. 29, H. 2, S. 85–96
Hahlweg, Kurt / Bodenmann, Guy (2023): Familie und ihr Einfluss auf die psychische Entwicklung in Kindheit und Jugendzeit. In: Fegert, Jörg M. u.a. (Hrsg.): Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. Heidelberg, S. 1–17
Hahlweg, Kurt / Richter, Diana (2010): Prevention of marital instability and couple distress: Results of an 11-year longitudinal follow-up study. In: Behaviour Research Therapy, Jg. 48, H. 5, S. 377–383
Job, Ann-Katrin u.a. (2014): Das Kommunikationstraining „Ein Partnerschaftliches Lernprogramm EPL“ für Paare – Überblick über den Praxis- und Forschungsstand. In: Report Psychologie, Jg. 39, H. 2, S. 58–69
Kaiser, Andrea u.a. (1999): Indizierte Prävention bei Beziehungsstörungen. Evaluation eines psychoedukativen Kompaktprogrammes für Paare. In: Verhaltenstherapie, Jg. 9, H. 2, S. 76–85
Loewit, Kurt (1991): Liebe und Partnerschaft lehren. In: Sexualmedizin, 20, S. 214–217
Robles, Theodore u. a. (2014): Marital quality and health: A metaanalytic review. In: Psychological Bulletin, Jg. 140, H. 1, S. 140–187
Sbarra, David A. u. a. (2011): Divorce and Death: A Meta-Analysis and Research Agenda for Clinical, Social, and Health Psychology. In: Perspectives Psychological Science, Jg. 6, H. 5, S. 454–474
Wille, Nora u.a. (2008): Risk and protective factors for children’s and adolescents’ mental health: Results from the BELLA study. In: European Child and Adolescent Psychiatry, Jg. 17, Suppl., S. 133–147

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 3+4/2024 von DJI Impulse „Elternkonflikte meistern: Wie Kinder gstärkt aus Familienkrisen hervorgehen“ (Download PDF).