Frühe Bildung, aber nicht für alle

Der Kita-Besuch spielt eine zentrale Rolle für die Sprachentwicklung von Kindern aus Einwanderungs­familien. Doch diese stoßen in Deutschland immer noch auf Barrieren: Strukturelle Benachteiligung und Diskriminierung erschweren den Zugang zu frühkindlicher Bildung. Zugleich machen aktuelle Initiativen und internationale Erfahrungen deutlich, wie Veränderung möglich ist. 

Von Antonia Scholz und Susanne Lochner 

Die familiale Herkunft von Kindern in Deutschland wird immer diverser. So führten die Zuwanderungs­bewegungen der letzten Jahre und Jahrzehnte dazu, dass immer mehr Kinder mehrsprachig aufwachsen. Ein Viertel der Kita-Kinder im Alter zwischen drei Jahren und dem Schuleintritt wuchs bereits im Jahr 2023 mit Deutsch als Zweitsprache auf. Spätestens zum Schuleintritt benötigen sie grundlegende Sprach­kenntnisse im Deutschen, um im weiteren Bildungsverlauf bestehen zu können. Der Besuch einer Kita könnte dabei entscheidend zur Sprach­entwicklung beitragen – doch ausgerechnet Familien mit mehrsprachig aufwachsenden Kindern sind weiterhin unterrepräsentiert. Möglichkeiten des Abbaus solch ungleicher Teilhabe­muster werden vor diesem Hintergrund nicht nur in aktuellen Studien, sondern auch vermehrt in der Politik diskutiert. 

Die frühe Sprachförderung rückt stärker in den Fokus der Bildungspolitik

Vor dem Hintergrund der Befunde der Schulleistungsstudien der letzten Jahre wie der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) oder der IQB-Bildungstrends, in denen besonders Kinder mit zugewanderten Eltern unterdurchschnittlich abschnitten (Henschel u.a. 2022, Stubbe u.a. 2023), rücken die Deutschkenntnisse von Kindern bereits vor Schulbeginn immer stärker in den Fokus bildungspolitischer Überlegungen. Nicht nur ist die sprachliche Förderung ein Pflichthandlungsfeld für die Bundesländer in der Weiterentwicklung des Kita-Qualitätsgesetzes, sondern auch ein Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) empfiehlt eine frühe flächendeckende Diagnostik, unter anderem des Sprachstandes, in den Bundesländern zu implementieren (SWK 2022).  

Während einige Länder bereits eine verpflichtende Sprachstandsdiagnostik meist circa 1,5 bis 2 Jahre vor Schuleintritt etabliert haben, zeichnen sich nun auch in anderen Bundesländern verstärkte Entwicklungen in diesem Feld ab. Beispielsweise vereinheitlichte Bayern jüngst die Vorgaben zu Sprachstandserhebungen für alle Kinder im Vorfeld der Schule. In Thüringen ist laut neuem Koalitionsvertrag ein Kita-Pflichtjahr für Kinder mit diagnostiziertem Sprachförderbedarf geplant, das der sprachlichen Vorbereitung der Kinder auf die Schule dienen soll. Das derzeit auf Bundesebene diskutierte Startchancenprogramm für die Kindertagesbetreuung dürfte ebenfalls sprachliche Kompetenzen mitadressieren.

Nicht nur die Diagnostik, sondern auch die im Idealfall daran anknüpfende Förderung der Sprach­kompetenz wird in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Maßnahmen der Sprach­förderung können im frühkindlichen Bereich durch alltagsintegrierte und/oder additive Förderung implementiert werden. Die wenigen Befunde zur Wirksamkeit von additiven Sprachförder­programmen, also ergänzenden Angeboten zur gezielten Unterstützung sprachlicher Kompetenzen, die im Nachgang des ersten PISA-Schocks eingeführt wurden, zeigen keine (eindeutigen) Effekte auf die Sprach­kompetenzen der Kinder (Anders u.a. 2023, Kammermeyer/ Kucharz 2023). Dagegen wird der alltags­integrierten Sprachförderung bei einer qualitativ hochwertigen Umsetzung in der Kita eine hohe Wirksamkeit attestiert (Anders u.a. 2023). Zudem weisen Studien darauf hin, dass gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien von einem Kita-Besuch profitieren, da sie hierdurch ihre kognitiven Kompetenzen, allen voran den Wortschatz­erwerb, deutlich verbessern können (Ghirardi u.a. 2024). 

Nur 22 Prozent der unter 3-Jährigen mit Migrationshintergrund besuchen eine Kita

Trotz der bekannten Relevanz des „Sprachbads“ Kita stagnieren die Beteiligungsquoten bei Kindern mit zugewanderten Eltern. So belegen auch die aktuellsten Daten aus dem Jahr 2023 deutliche Differenzen: Mit 22 Prozent Beteiligungsquote nutzen nur halb so viele unter 3-Jährige mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil ein Angebot der Kindertagesbetreuung im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern mit in Deutschland geborenen Eltern. Auch bei den 3- bis unter 6-Jährigen ist die Differenz groß: Die Beteiligungs­quote bei Kindern mit Migrationshintergrund liegt in dieser Altersgruppe bei 77 Prozent; statistisch gesehen besuchen 99 Prozent der Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund ein Angebot der Kindertagesbetreuung (Destatis 2025). Zudem sind die Beteiligungsquoten bei Kindern mit im Ausland geborenen Elternteilen, insbesondere bei den 3- bis unter 6-Jährigen, seit 2014 rückläufig (Lochner/ Kopp/Bach 2023). Es konnte bereits mehrfach nachgewiesen werden, dass diese niedrigeren Beteiligungsquoten sich nicht aus einem geringeren Bedarf ergeben. Gerade Familien, in denen überwiegend kein Deutsch gesprochen wird, äußern besonders häufig einen unerfüllten Betreuungswunsch (Huebener u.a. 2023). 

Mit Blick auf den Zugang zur Kita stellt bereits die Vergabe der Plätze ein Risikomoment für strukturelle Benachteiligung dar. Im internationalen Vergleich hat die „TALIS Starting Strong“-Studie 2018, welche das Internationale Zentrum Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (ICEC) am Deutschen Jugendinstitut (DJI) für Deutschland durchführt (siehe Infobox links), im Rahmen einer Befragung von Kita-Leitungen gezeigt, dass es in Deutschland häufiger als anderswo die Einrichtungsleitungen sind, die über die Aufnahme eines Kindes entscheiden (Bader/Scholz 2025). Gleichzeitig sind hierzulande überdurchschnittlich viele Instanzen im Aufnahmeprozess beteiligt. Dies liegt am deutschen Mehrebenensystem, in dem vonseiten des Bundeslandes, der Kommunen und/oder der Träger Vorgaben über Regelungen zum Betreuungsumfang, vor allem aber zu den Aufnahmekriterien, bestehen (können).

Die Kitaplatzvergabe erfolgt nach Kriterien, die indirekt benachteiligend wirken können

Zwar werden die Vergabeverfahren zunehmend vor Ort zentralisiert (Gundlach 2021); häufig findet die Kitaplatzvergabe aber weiterhin dezentral statt. Dabei finden laut den „TALIS Starting Strong“-Daten neben den am häufigsten genannten Kriterien des Kindesalters und von in der Einrichtung bereits betreuten Geschwistern weitere Kriterien Anwendung, die möglicherweise indirekt benachteiligend wirken können. So bevorzugt beispielsweise eine Berücksichtigung des Anmeldezeitpunktes Eltern mit einem detaillierten Wissen zu Fristen. Auch das Kriterium der elterlichen Berufstätigkeit, in der Praxis im Ringen um Vereinbarkeitsfragen ein wichtiger Aspekt, benachteiligt Familien mit geringerer Erwerbstätigkeit strukturell (Bader/Scholz 2025). 

Die Daten zeigen auch, dass es in benachteiligten Sozialräumen zu mehr Selektion kommt, auch weil dort tendenziell mehr Plätze fehlen als anderswo. Vor diesem Hintergrund gilt es, gerade in Wohngegenden mit höheren Migrationsanteilen ausreichend Plätze zur schaffen. Wichtig ist also eine kleinräumige Sozialplanung, die vor Ort die Verteilung von Kindern mit nicht deutscher Familiensprache und potenziellem Sprachförderbedarf entsprechend berücksichtigt.

Dass der Zugang zu Kindertagesbetreuung gerade für Familien nicht deutscher Herkunft eine Hürde darstellen kann, die auch auf strukturelle Diskriminierung zurückgeht, wird in anderen Befunden deutlich. Nicht nur berichten migrantische Familien subjektiv von Diskriminierungserfahrungen in der Kita (Bostancı u.a. 2022). Eine Experimentalstudie zeigte zudem, dass Eltern mit vermeintlichem Migrationshintergrund von Einrichtungsseite signifikant häufiger eine Kitaplatzabsage sowie allgemein weniger Unterstützung für ihre Kitaplatzanfragen erhielten als Eltern mit vermeintlich deutschem Hintergrund (Hermes u.a. 2023).  

Es ist notwendig, Übergänge und Schnittstellen stärker zu verzahnen

Insgesamt kommt es damit weiterhin zu struktureller Benachteiligung von Kindern mit Einwanderungs­geschichte bei der Teilhabe an Früher Bildung, die einer frühen sprachlichen Entwicklung im Deutschen in der Kita entgegensteht. Zunächst gilt es daher, durch eine migrationssensible Ansprache von Familien Zugänge dieser Gruppe zu verbessern, etwa indem Eltern gezielt mit Informationen über ihren Rechts­anspruch und das Aufnahmeprozedere versorgt und dadurch unterstützt werden (Hermes u.a. 2021). Diese Richtung wird aktuell beispielsweise in Schweden eingeschlagen: Dort wurden die Kommunen kürzlich gesetzlich verpflichtet, zugewanderten Familien mit Kindern zwischen drei und fünf Jahren, die eine andere Familiensprache haben und noch keine Kita nutzen, aktiv ein Betreuungsangebot zu machen.

Generell sind für eine langfristig gelingende Teilhabe in dieser Gruppe besonders die Schnittstellen zu anderen/angrenzenden relevanten Handlungsfeldern in den Blick zu nehmen und gezielt zu nutzen, auch mithilfe zusätzlicher Ressourcen. Mit Blick auf die Sprachförderung von jungen Kindern gilt es die Kooperation zwischen Kita und Schule zu stärken, damit früh begonnene Sprachstandsdiagnostik und -förderung auch nach dem Übergang zur Grundschule kontinuierlich fortgeführt werden kann. 

 

Mehr und intensivere Testungen sind nur dann sinnvoll, wenn auch entsprechende Ressourcen für die Sprachförderung bereitgestellt werden.

Erste institutionenübergreifende Modellprojekte zur Sprachförderung am Übergang Kita – Grundschule weisen auf die Wirksamkeit einer kontinuierlichen Sprachförderbegleitung hin, verdeutlichen jedoch auch die Herausforderung der Schnittstellenarbeit zwischen Kinder- und Jugendhilfe sowie dem Schulsystem. Die zu beobachtenden Tendenzen hin zu mehr und intensiveren Testungen sind nur dann sinnvoll, wenn auch entsprechende Ressourcen für die Sprachförderung sowohl am Übergang zur Schule als auch bereits frühzeitig bereitgestellt werden, die fachlich und zeitlich so ausgestaltet sind, dass sie auch bei den Kindern ankommen. 

Eine weitere Schnittstelle, die für gleiche Teilhabe zentral ist, ist die zwischen Bildungs- und Integrations­politik. Hier machen zumindest aktuelle Entwicklungen Hoffnung. Nicht nur sind Fragen inklusiver Angebote zentraler Teil von Bildungsund Betreuungspolitik, sondern die Frühe Bildung rückt zunehmend auch in den Fokus von integrationspolitischen Initiativen (Schlimbach/Scholz 2025). Inwieweit dabei die verantwortlichen Stellen vor Ort in der gemeinsamen Steuerung zusammenarbeiten, um die Teilhabe für Kinder aus Einwanderungsfamilien gezielt zu verbessern, bedarf jedoch noch weiterer Untersuchung.

 

Anders, Yvonne / Wolf, Katrin / Enss, Charlotte (2023): Expertise „Bundesweite Standards in der sprachlichen Bildung in der Kindertagesbetreuung“ – erstellt im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Bamberg

Bader, Samuel / Scholz, Antonia (2025): De facto-Kategorisierung und Ungleichheit bei der Kita-Platzvergabe in Deutschland: Der Rechtsanspruch auf Frühe Bildung und seine Realität. Oldenburg

Bostanci, Seyran / Biel, Christina / Neuhauser, Bastian (2022): „Ich habe lange gekämpft, aber dann sind wir doch gewechselt“: Eine explorativ-qualitative Pilotstudie zum Umgang mit institutionellem Rassismus in Berliner Kitas. Berlin 

Destatis (2025): Betreuungsquote von Kindern unter 6 Jahren (mit und ohne Migrationshintergrund) nach Bundesländern. Wiesbaden

Ghirardi, Gaia u.a. (2023): Is early formal childcare an equalizer? How attending childcare and education centres affects children’s cognitive and socio-emotional skills in Germany. Oxford 

Gundlach, Julia (2021): Per Algorithmus zum Kitaplatz? Potenziale und Erfolgsfaktoren für eine bessere Kitaplatzvergabe mithilfe von algorithmischen Systemen. Gütersloh

Henschel, Sofie u.a. (2022): Zuwanderungsbezogene Disparitäten. In: Stanat, Petra u.a. (Hrsg.): IQB-Bildungstrend 2021. Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im dritten Ländervergleich. Münster

Hermes, Henning u.a. (2021): Behavioral Barriers and the Socioeconomic Gap in Child Care Enrollment. In: IZA Discussion Paper Series, Nr. 14698. Bonn 

Hermes, Henning u.a. (2023): Discrimination on the Child Care Market: A Nationwide Field Experiment. IZA Discussion Paper Series Nr. 16082. Bonn

Huebener, Mathias u.a. (2023): Frühe Ungleichheiten. Zugang zu Kindertagesbetreuung aus bildungs- und gleichstellungspolitischer Perspektive. Bonn

Kammermeyer, Gisela / Kucharz, Diemut (2023): Sprachliche Bildung im Elementarbereich – In: Becker-Mrotzek, Michael u.a. (Hrsg.): Grundlagen der sprachlichen Bildung. Münster/New York, S. 155–169 

Lochner, Susanne / Kopp, Katharina / Bach, Maximilian (2023): Mehrfache Benachteiligung? Kinder mit Einwanderungsgeschichte zwischen familialen Risikolagen und Kita-Nutzung. Leverkusen-Opladen

Scholz, Antonia / Schlimbach, Tabea (2025): Die Kita in der Migrationsgesellschaft. Ländervergleich Deutschland – Schweden. In: Kita-Fachkräfte international. Kita Aktuell Spezial, 1/2025, 26. Jg. Hürth 

Stubbe, Tobias u.a. (2023): Kapitel 7. Soziale und migrationsbedingte Disparitäten in der Lesekompetenz von Viertklässlerinnen und Viertklässlern. In: McElvany, Nele u.a. (Hrsg.): IGLU 2021. Lesekompetenz von Grundschulkindern im internationalen Vergleich und im Trend über 20 Jahre. Münster

Ständige Wissenschaftliche Kommission Der Kultusministerkonferenz (SWK) (2022): Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule. Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK). Bonn

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2025 von DJI Impulse „Aufwachsen in Vielfalt – Wie gelingt in einer Realität voller Unterschiede mehr Chancengleichheit?“ (Download PDF).

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