Teilhabechancen: zwei Perspektiven auf benachteiligte Kinder und Jugendliche

Fast ein Viertel der Minderjährigen in Deutschland ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Ihre Aussichten auf ein selbstbestimmtes Leben sind deutlich eingeschränkt. Welche jungen Menschen sind am häufigsten betroffen und wie lässt sich politisch gegensteuern? 

Von Gerlinde Janschitz, Dennis Wolfram und Ortrud Leßmann

Armut wird meist am Einkommen festgemacht. Jedoch sagt dies nur bedingt etwas über die konkrete Lebenssituation von Familien aus. Vielmehr gilt es Armut als ein multidimensionales Phänomen zu verstehen, das sich im Zusammenspiel unterschiedlicher Benachteiligungen ergibt. Die Europäische Union (EU) trägt dem Rechnung, indem sie neben der monetären Armutsgefährdung auch die materielle und soziale Entbehrung (Deprivation) eines Haushalts sowie die Erwerbsintensität der Haushaltsmitglieder im Erwerbsalter berücksichtigt. Durch die Bündelung dieser drei Komponenten im sogenannten AROPE-Indikator (AROPE steht für „At risk of poverty or social exclusion“) wird das Risiko, von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht zu sein, für Kinder und Jugendliche ermittelt. Wer diese Kinder und Jugendlichen sind, das zeigt Forschung der am Deutschen Jugendinstitut (DJI) angesiedelten Service- und Monitoringstelle, kurz ServiKiD, welche die Ausgestaltung und Umsetzung des Nationalen Aktionsplans „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ begleitet (Autor:innenteam ServiKiD 2025). 

Betroffen sind mehr als 3,3 Millionen junge Menschen in Deutschland

Als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht gelten nach EU-Definition Kinder und Jugendliche, die in einem Haushalt leben, der entweder monetär armutsgefährdet, von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen ist, eine sehr geringe Erwerbsintensität aufweist oder auf den mehrere dieser Merkmale zutreffen. Legt man diese Definition zugrunde, ist fast jedes vierte Kind unter 18 Jahren in Deutschland (2024: 22,9 Prozent) von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – das sind mehr als 3,3 Millionen Kinder und Jugendliche (Eurostat 2025a). 

Im Jahr 2024 lebten 15,2 Prozent der Kinder in monetär armutsgefährdeten Haushalten (siehe Abbildung 1, unten). Als monetär armutsgefährdet gilt man, wenn das Nettoeinkommen (nach Sozialtransfers) weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens der Gesamtbevölkerung beträgt, angepasst an die jeweilige Haushaltsgröße. 7,4 Prozent der unter 18-Jährigen lebten in Haushalten, die von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen sind. Das bedeutet, sie können sich mindestens 7 von 13 Gütern, die für ein angemessenes Leben notwendig und wünschenswert sind, nicht leisten – unter anderem eine angemessene Beheizung der Unterkunft, eine einwöchige Urlaubsreise pro Jahr oder regelmäßige Freizeitaktivitäten (Eurostat 2025b). Eine sehr niedrige Erwerbsintensität liegt vor, wenn die im Haushalt lebenden erwachsenen Personen im erwerbsfähigen Alter (18 bis 64 Jahre) weniger als 20 Prozent ihres Erwerbspotenzials ausschöpfen (Eurostat 2025c). 10,4 Prozent aller Kinder und Jugendlichen lebten in Haushalten mit sehr geringer Erwerbsintensität.
 

7,4 Prozent der unter 18-Jährigen lebten in Haushalten, die von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen sind.

Um aufzuzeigen, welche Kinder und Jugendlichen vergleichsweise stark von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, werden Armutsrisiken (hier: AROPERisiko) berichtet. Häufig werden dabei Merkmale wie die Zusammensetzung des Haushalts, der höchste Bildungsabschluss der Eltern oder die Einwanderungsgeschichte betrachtet und verglichen, wie hoch der Anteil der betroffenen Kinder bei unterschiedlichen Ausprägungen dieser Merkmale ist – zum Beispiel hinsichtlich der Haushaltszusammensetzung: bei Kindern mit alleinerziehendem Elternteil und Kindern in Haushalten mit zwei Eltern. Eine andere Vorgehensweise ist die ausschließliche Analyse der AROPE-Gruppe, um Aussagen darüber treffen zu können, wie in dieser Gruppe die gelisteten Merkmale verteilt sind – auch um politische Maßnahmen passgenau und zielgruppenspezifisch auszurichten. Beide Varianten treffen Aussagen über dieselben Kinder, allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven. Kombiniert man beide Sichtweisen, zeigen sich basierend auf DJI-Berechnungen mit Daten der europäischen Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) interessante Befunde.

Mehr als ein Drittel der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Kinder wächst bei Alleinerziehenden auf

In Deutschland lebte im Jahr 2023 mehr als ein Drittel der AROPE-Kinder und -Jugendlichen unter 18 Jahren – 36 Prozent – in einem Alleinerziehenden-Haushalt. Die übrigen 64 Prozent lebten in einem Paarhaushalt mit mindestens einem minderjährigen Kind. Kinder in Haushalten von Alleinerziehenden weisen allerdings ein deutlich höheres AROPE-Risiko auf (44 Prozent) als Kinder in Paarhaushalten (21 Prozent). Auch Kinder, die in Mehrkindfamilien mit drei oder mehr minderjährigen Kindern aufwachsen, haben eine überdurchschnittlich hohe AROPE-Quote (2023: 32 Prozent). 

Etwa 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, haben Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss (nach der Internationalen Standardklassifikation des Bildungswesens – ISCED), und ebenso viele haben Eltern mit mittlerem Bildungsabschluss. Etwa ein Fünftel (21 Prozent) der betroffenen Minderjährigen hat Eltern mit einem hohen Bildungsabschluss. Ein deutlich erhöhtes AROPE-Risiko weisen Kinder auf, wenn beide Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss haben (61 Prozent). Hat mindestens ein Elternteil einen mittleren Bildungsabschluss, beträgt die AROPE-Quote etwa 24 Prozent. Die AROPE-Quote von Kindern mit mindestens einem Elternteil, der über einen hohen Bildungsabschluss verfügt, beträgt knapp 11 Prozent. 

Junge Menschen, die selbst oder deren Eltern nicht aus der EU stammen, haben ein deutlich erhöhtes Risiko

Differenziert man bei Kindern und Jugendlichen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, nach Einwanderungsgeschichte, zeigt sich, dass etwas mehr als ein Drittel der Betroffenen keine Einwanderungsgeschichte aufweist (35 Prozent). Weitere 34 Prozent der AROPE-Kinder haben mindestens einen Elternteil, der aus einem Nicht-EU-Land stammt, wurden selbst allerdings in Deutschland geboren. Etwa 18 Prozent der AROPE-Kinder sind selbst oder mit ihren Eltern aus einem Nicht-EU-Land zugewandert. Die übrigen 12 Prozent stammen aus einem EU-Land und leben in erster oder zweiter Generation in Deutschland. 

Kinder und Jugendliche, die selbst oder mit ihren Eltern eingewandert sind (erste Generation), haben jedoch ein deutlich erhöhtes Risiko, von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht zu sein: Bei Zuwanderung aus einem Nicht-EULand liegt ihr AROPE-Risiko bei 60 Prozent, bei Zuwanderung aus der EU bei 43 Prozent (siehe Abbildung 3). Minderjährige, die selbst in Deutschland geboren sind (zweite Generation) und von denen mindestens ein Elternteil aus einem Nicht-EU-Land stammt, sind seltener von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht (36 Prozent). Unter Kindern und Jugendlichen ohne Einwanderungsgeschichte beträgt die AROPE-Quote lediglich 14 Prozent. 

Vor dem Hintergrund der politisch und medial aufgeladenen Diskussion über Migration veranschaulichen diese Befunde, dass die Verschränkung von Migration und (Kinder-) Armut differenziert zu betrachten ist und sich nicht auf eine Gleichsetzung von Armut und Migration engführen lässt (Butterwegge 2020, Saleth u.a. 2020). 

Vor dem Hintergrund der politisch und medial aufgeladenen Diskussion über Migration veranschaulichen die Befunde, dass die Verschränkung von Migration und (Kinder-)Armut differenziert zu betrachten ist.

Armut lässt sich am besten auf kommunaler Ebene vorbeugen

Gerade bei Kindern und Jugendlichen sind neben den finanziellen Rahmenbedingungen der Familie verschiedene Lebenslagen wie frühkindliche und schulische Bildung, gesunde Ernährung, psychische und physische Gesundheit sowie der Wohn- und Sozialraum für ein gutes Aufwachsen von Relevanz (Autor:innenteam ServiKiD 2025). Im Nationalen Aktionsplan, mit dem die EU-Kindergarantie in Deutschland umgesetzt wird, werden diese Lebenslagen als Handlungsfelder bezeichnet (BMFSFJ 2023). Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen in diesen Handlungsfeldern soziale Dienste bereitzustellen, die ihre Bedürfnisse je nach Lebensphase und -lage berücksichtigen.

Besonders vielversprechend sind hierfür Ansätze kommunaler Armutsprävention, da die Kommunen als Orte der sozialen Daseinsvorsorge unmittelbar an die Lebenswelten der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien anschließen (Holz 2020). Mit dem Nationalen Aktionsplan teilen kommunale Ansätze zur Armutsprävention das Ziel, für Kinder, Jugendliche und ihre Familien eine bedarfsorientierte und passgenaue Infrastruktur bereitzustellen. Hierfür braucht es ein am Kind und nicht an Ressortlogiken ausgerichtetes Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen und Akteure, wie etwa die Vernetzung von Schule und Kita mit sozialen Diensten und Sportvereinen. Getragen werden sollte diese Zusammenarbeit von einem geteilten Verständnis davon, dass kommunale Armutsprävention eine nationale Aufgabe ist. Trotz geteilter Zuständigkeiten ist daher eine gemeinsame Verantwortung der Fachressorts auf Bund-, Länder- und kommunaler Ebene erforderlich, um allen Kindern und Jugendlichen ein chancengerechtes und gesundes Aufwachsen zu ermöglichen (NAP-Ausschuss 2025). 

Autor:Innenteam SERVIKID (2025): Fortschrittsbericht 2024 zur Umsetzung der Europäischen Garantie für Kinder in Deutschland. Empirische Grundlagen und Beteiligungsaktivitäten. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Erster Fortschrittsbericht zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“. Drucksache 20/14800. Berlin, S. 101–261

Bundesministerium Für Familie, Senioren, Frauen Und Jugend (BMFSFJ) (2023): Nationaler Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“. Berlin

Butterwegge, Carolin (2020): Ethnisierung der Kinderarmut? Entwicklungen relativer Armut von Kindern mit Migrationshintergrund. In: Rahn, Peter/Chassé, Karl August (Hrsg.): Handbuch Kinderarmut. Opladen/Toronto, S. 161–169

Eurostat (2025a): EU-SILC, DOI: 10.2908/ILC_PEPS01N, letzte Aktualisierung: 30.04.2025 (Abruf: 05.05.2025)

Eurostat (2025b): Glossary – Child deprivation

Eurostat (2025c): Glossary – Persons living in households with low work intensity 

Holz, Gerda (2020): Präventionsketten – kind-/jugendbezogene Armutsprävention auf kommunaler Ebene. In: Rahn, Peter/Chassé, Karl August (Hrsg.): Handbuch Kinderarmut. Opladen/Toronto, S. 302–310 

Nap-Ausschuss (2025): Prävention von Kinderarmut auf kommunaler Ebene – eine nationale Aufgabe. Berlin 

Saleth, Stephanie / Bundel, Stephanie / Mätzke, Gabrina (2020): Arm ist nicht gleich arm. Armut bei Kindern mit Migrationshintergrund. Herausgegeben vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg (GesellschaftsReport BW, 2). Stuttgart

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2025 von DJI Impulse „Aufwachsen in Vielfalt – Wie gelingt in einer Realität voller Unterschiede mehr Chancengleichheit?“ (Download PDF).

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