Kinder und Jugendliche als Außenseiter und Minderheit in der alternden Gesellschaft
Der jungen Generation geht es in Deutschland immer schlechter. Auch aufgrund des demografischen Wandels wird sie politisch übersehen und gesellschaftlich vernachlässigt. Kindheit wird somit prekär. Welche Weichenstellungen für mehr Generationengerechtigkeit notwendig sind.
Von Aladin El-Mafaalani und Pia Jaeger
Beim Wort Altersdiskriminierung (Ageismus) denkt man interessanterweise an ältere Menschen. Dabei spricht man dann von Altersdiskriminierung, wenn Menschen allein wegen ihres Lebensalters benachteiligt werden. Sie kann also jüngere Menschen genauso treffen wie ältere (ADS 2025).
Kinder und Jugendliche leben seit vielen Jahrzehnten in einer von Adultismus geprägten Gesellschaft. Das heißt, sie werden täglich mit Verhaltensweisen Erwachsener und Regeln gesellschaftlicher Institutionen konfrontiert, die auf der Annahme beruhen, dass Minderjährige unerfahren oder inkompetent sind und dass Erwachsene daher eine Berechtigung besitzen, ohne ihre Zustimmung zu handeln. Adultismus steht damit für eine strukturelle Position der Macht, die Erwachsene über Kinder und Jugendliche haben und welche häufig durch soziale Institutionen, Gesetze und Bräuche verstärkt wird (La Fuente-Nunez u.a. 2021).
Zu diesem relativ alten Phänomen lässt sich nun empirisch zeigen, dass Kinder und Jugendliche zusätzlich strukturell benachteiligt werden: Obwohl sie wenige sind, ist ihr Armutsrisiko überdurchschnittlich hoch; während die Zahl der Kinder abnimmt, lässt sich seit etwa zehn Jahren ein ausgeprägter Negativtrend in allen Bildungsstudien nachweisen (El-Mafaalani u.a. 2025). Ebenso problematisch würde das Fazit ausfallen, wenn wir den Blick auf die Gesundheit von Kindern oder auf den Zustand der Bildungsinstitution richten. Und entscheidend dabei ist, dass all diese „eigentlich“ besorgniserregenden Entwicklungen mit erstaunlicher Gelassenheit zur Kenntnis genommen, teilweise aber auch überhaupt nicht wahrgenommen werden. In der alternden Gesellschaft werden Kinder eine Minderheit, die leicht übersehen werden kann. Zusätzlich zum alten Phänomen des Adultismus kommt nun also der Status der gesellschaftlichen Minderheit hinzu (El-Mafaalani u.a. 2025).
Die Alterung der Bevölkerung betrifft alle gesellschaftlich relevanten Bereiche
Seit dem Jahr 1972 sterben in Deutschland, also in Ost- und Westdeutschland zusammengenommen, jährlich mehr Menschen, als geboren werden. Ohne Migration hätte sich die bundesweite Bevölkerungszahl somit seit mehr als 50 Jahren kontinuierlich verringert. Sie ist aber deutlich angestiegen, weil – auch im Vergleich zu klassischen Einwanderungsländern – eine überdurchschnittliche Zuwanderung stattgefunden hat (Destatis 2025). Es lässt sich also festhalten: Die Bevölkerung schrumpft nicht, sie wächst; und sie altert, aber etwas langsamer als noch vor Jahrzehnten vorausberechnet.
Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass der Anteil junger Menschen bis einschließlich 18 Jahre von 28,4 Prozent im Jahr 1970 auf 17,7 Prozent im Jahr 2023 gesunken ist. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil an über 67-Jährigen von 11,1 auf 19,8 Prozent gestiegen. Damit hat der Anteil der Rentner:innen den Anteil von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen 20 Jahren überflügelt (siehe Abbildung unten).

Die veränderte Altersstruktur der Gesellschaft verschärft sich seit Mitte 2020, weil die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, die in den 1960er-Jahren geboren wurden, ins Rentenalter übergehen. Damit hat bereits eine fragile demografische Phase begonnen, die nur dann (in einigen Jahrzehnten) enden wird, wenn sowohl die Geburten als auch die Zuwanderungszahlen deutlich steigen – was aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich erscheint.
Diese Alterung der Bevölkerung betrifft alle gesellschaftlich relevanten Bereiche, vom Sozialstaat und Gesundheitssystem über Arbeitsmarkt und Wirtschaft bis hin zum Generationenverhältnis insgesamt. Die demografische Schieflage verändert auch die Demokratie. Denn bereits heute sind fast 60 Prozent der Wahlberechtigten älter als 50 Jahre. In naher Zukunft werden Rentner:innen die größte Wählergruppe sein und die Wahlen maßgeblich entscheiden. Gleichzeitig sind Kinder und Jugendliche eine demografische Minderheit ohne Wahlrecht. Und auch ihre Eltern stellen innerhalb der Wahlberechtigten eine Minderheit dar. Entsprechend stehen die Bedürfnisse und Interessen von Familien und deren Kindern nicht im Zentrum des politischen und gesellschaftlichen Denkens.
Ältere Menschen profitieren stärker von sozialpolitischen Leistungen als Kinder
Sobald die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter übergehen, entsteht neben der Verschiebung der demokratischen Kräfteverhältnisse auch eine große Lücke auf dem Arbeitsmarkt, die den Sozialstaat enorm unter Druck setzt. Die Versorgung einer wachsenden Zahl älterer Menschen führt zu einer zunehmenden finanziellen Belastung der öffentlichen Haushalte. Es entwickelt sich ein Spannungsfeld zwischen steigenden Kosten für Sozialversicherungsausgaben und stetig weniger werdenden erwerbstätigen Menschen, die den Sozialstaat finanzieren sollen. Denn die Alterung der Bevölkerung führt eben nicht nur zu steigenden Sozialstaatsausgaben für Rente, Gesundheit und Pflege, sondern bringt zugleich einen Arbeits- und Fachkräftemangel mit sich. Dieser Personalengpass wird das Gesundheits- und Pflegesystem genauso betreffen wie die Bildungsinstitutionen und die Kinder- und Jugendhilfe.
Die Schieflage im Generationenverhältnis zeigt sich im internationalen Vergleich auch anhand der Ausgaben des Staates: Je höher die finanziellen Aufwendungen für das Alter, desto niedriger sind die Ausgaben für die frühkindliche Bildung. Senior:innen sind damit größere Nutznießer von sozialpolitischen Maßnahmen als Kinder und Jugendliche (Schmidt 2022). Es darf daher nicht überraschen, dass sich die Bildungsinstitutionen hierzulande in einem schlechten Zustand befinden.
Hinzu kommt, dass in den für Kinder und Jugendliche relevanten Arbeitsfeldern die Verflechtungen von Politik und Verwaltung besonders stark ausgeprägt sind: Die rechtlichen und politischen Zuständigkeiten sind horizontal auf Bund, Länder und Kommunen sowie vertikal auf die jeweiligen Ressorts in komplexer Weise verteilt. Zusätzlich sind sehr verschiedene öffentliche und freie Akteure beteiligt (Bogumil/Gräfe 2024).
Die komplexe Fragmentierung der Kinder- und Jugendpolitik auf der einen Seite und die demografische Entwicklung auf der anderen Seite machen es umso notwendiger, Kinder und Jugendliche ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und der politischen Ausrichtungen zu rücken.
Politische Kurskorrekturen zugunsten der Generationengerechtigkeit sind überfällig
Kinder und Jugendliche als Minderheit zu verstehen, ist ungewohnt. Aber zahlreiche Befunde deuten darauf hin, dass junge Menschen nicht nur rein zahlenmäßig eine Minderheit sind, sondern auch von neuen strukturellen Benachteiligungen betroffen sind. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Orientierung an Prinzipien des Minderheitenschutzes plausibel (El-Mafaalani u.a. 2025).
Kinder und Jugendliche könnten systematisch in Gesetzgebungsverfahren eingebunden werden, beispielsweise in Form eines aus jungen Menschen bestehenden Zukunftsrates. Dieser könnte alle sozial-, finanz- und klimapolitischen Vorhaben im Hinblick auf Zukunftsorientierung und Generationengerechtigkeit prüfen und in einer öffentlichen Anhörung kommentieren. So würden Beteiligungsrechte gestärkt und vielleicht auch Entscheidungen korrigiert (von Scheliha 2024).
Partizipationsrechte sollten ebenso in Kitas und Schulen gestärkt werden. Denn gerade aufgrund der demografischen Entwicklung verbringen Kinder heute mehr Zeit denn je in diesen Institutionen. Dort findet Kindheit statt – und dem müssen diese Einrichtungen sowohl in ihrer Ausstattung als auch in ihrer gelebten Kultur gerecht werden.
Zuletzt gilt es die positiven Entwicklungen zu betonen: Das direkte Verhältnis zwischen den Generationen, also zwischen Kindern, ihren Eltern und Großeltern, wird von jungen Menschen als ausgesprochen gut beschrieben (und besser als in vergangenen Jahrzehnten) – das zeigen entsprechende Forschungsarbeiten (Hampel/Schnetzer/Hurrelmann 2024). Dies macht deutlich, dass nicht die direkten familialen Beziehungen problematisch sind. Vielmehr ist ein politisches Update zur Generationengerechtigkeit überfällig (BJK 2024).

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2025 von DJI Impulse „Aufwachsen in Vielfalt – Wie gelingt in einer Realität voller Unterschiede mehr Chancengleichheit?“ (Download PDF).
Antidiskriminierungsstelle Des Bundes (ADS) (2025): Altersdiskriminierung. Erkennen, Verstehen, Begegnen. Berlin
Bogumil, Jörg / Gräfe Philipp (2024): Fragmentierung der Sozialpolitik – Schnittstellen und Brüche zwischen unterschiedlichen Sozialpolitikfeldern. Eine Literaturstudie. Duisburg/Bremen
Bundesjugendkuratorium (BJK) (2024): Generationengerechtigkeit. Die Rechte junger Menschen in der alternden Gesellschaft stärken. München
El-Mafaalani, Aladin / Kurtenbach, Sebastian / Strohmeier, Klaus Peter (2025): Kinder – Minderheit ohne Schutz. Aufwachsen in der alternden Gesellschaft. Köln
Hampel, Kilian / Schnetzer, Simon / Hurrelmann, Klaus (2024): Trendstudie Jugend in Deutschland: Erkenntnisse aus der sechsten Befragung 2023. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung / Discourse. Journal of Childhood and Adolescence Research, Jahrgang 19, 3/2024, S. 415–419
La Fuente-Núñez, Vânia De u.a. (2021): Scoping Review on Ageism against Younger Populations. In: International Journal of Environmental Research and Public Health, 18 (8), S. 1–24
Schmidt, Manfred G. (2022): Auf dem Weg in die „Rentner-Demokratie“? In: Ho, Anthony/ Holstein, Thomas W./Häfner, Heinz (Hrsg.): Altern: Biologie und Chancen. Alter und Altern, individuell, kollektiv und die Folgen. Wiesbaden, S. 217–230
Statistisches Bundesamt (Destatis) (2025): Genesis Online, Tabelle 12411-0005: Bevölkerung: Deutschland, Stichtag, Altersjahre.
Von Scheliha, Henrike VON (2024): Junge Menschen als Minderheit – eine rechtliche Perspektive. Impulsvortrag. Folien.