Jugendämter in der Zwangslage

Die Personallücke in den Jugendämtern hat fatale Folgen: Wichtige Aufgaben der Allgemeinen Sozialen Dienste, kurz ASD, müssen teilweise zurückgestellt werden. Welche Strategien gegen den Fachkräftemangel Jugendämter bereits ergreifen – und woran sie letztlich scheitern.

Von Andreas Mairhofer, Christian Peucker, Liane Pluto und Eric van Santen

Die Jugendämter sind auf kommunaler Ebene verantwortlich für die Sicherstellung aller Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Somit müssen sie mit dem aktuellen Fachkräftemangel in den Angeboten und Diensten der freien Träger vor Ort umgehen. Auch als Träger eigener Einrichtungen wie Beratungsstellen oder Kindertageseinrichtungen haben sie mit Personalproblemen zu kämpfen. Darüber hinaus sind die Jugendamtsverwaltungen selbst davon betroffen (Hollbach-Grömig u.a. 2024). Wie die Ergebnisse der Jugendamtserhebung im Jahr 2022 des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zeigen, äußert sich dies auch im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Der ASD ist ein Fachdienst des Jugendamtes, der unter anderem für Aufgaben des Kinderschutzes, für die Hilfeplanung sowie für die Beratung in persönlichen oder familiären Notlagen zuständig ist – also für Aufgaben, die unverzichtbar sind.

Die Anzahl der Beschäftigten im ASD ist seit 2006 um 81 Prozent auf mehr als 17.200 Personen im Jahr 2020 gewachsen.

Der ASD gehört zu den Arbeitsfeldern in der Kinder- und Jugendhilfe, die in den letzten 20 Jahren einen besonders hohen Personalzuwachs erfahren haben. Unter anderem aufgrund der Ausweitung des Aufgabenspektrums ist die Anzahl der Beschäftigten bundesweit im Vergleich zum Jahr 2006 um 81 Prozent auf mehr als 17.200 Personen im Jahr 2020 gewachsen. Zwischen 2018 und 2020 stagnierte allerdings der Ausbau. In dieser Zeit gab es sowohl Bundesländer mit einem Wachstum als auch Bundesländer mit einem Rückgang des Personals in den ASD (Olszenka u.a. 2022).

Hohe Fluktuation und Verjüngung des Personals im ASD

Hohe Anforderungen, Druck und schlechte Arbeitsbedingungen können zu einer erhöhten Fluktuation des Personals führen. Diese kann durch fehlendes Personal zusätzlich verstärkt werden. Die DJI-Befragungen bei Jugendämtern zeigen, dass die Fluktuation des Personals zwischen 2014 und 2022 deutlich zugenommen hat. Überschreitet diese eine gewisse Grenze, überwiegen die Nachteile des Personalwechsels: Die negativen Folgen für die verbleibenden Mitarbeitenden und die Organisation steigen (Pluto u.a. 2024).

Für das Jahr 2022 gaben gut drei Viertel der Jugendämter an, unbesetzte Stellen im Allgemeinen Sozialen Dienst zu haben.

Offene Stellen, die eine Folge von Fluktuation, Verrentungen oder auch eines Stellenzuwachses
sein können, lassen sich häufig nur mit Berufseinsteiger:innen besetzen. Dies führt zu einer Verjüngung des Personals, die in den vergangenen 15 Jahren in den ASD deutlich zu erkennen ist (Mühlmann 2022). Die Kinder- und Jugendhilfestatistik zeigt beispielsweise: Im Jahr 2020 war ein Fünftel der Beschäftigten im ASD unter 30 Jahre alt, im Jahr 2006 waren es lediglich 9 Prozent (Statistisches Bundesamt 2008, 2022; eigene Berechnungen).

Strategien der Personalbindung, zum Beispiel Einarbeitungskonzepte und Patenmodelle für neue Mitarbeitende sowie Aktivitäten zur Förderung des Teamklimas, werden durch die hohe Fluktuation und die Verjüngung des Personals immer wichtiger, zumal die Zahl der Menschen, die ein Studium der Sozialen Arbeit aufnehmen, stagniert und der Arbeitsmarkt weitgehend leergefegt ist (Hickmann/Koneberg 2022).

Auf den massiven Fachkräftemangel in den ASD weisen auch die Daten zu jenen Stellen hin, die über einen längeren Zeitraum nicht besetzt werden können. In der Jugendamtsbefragung, die regelmäßig im DJI-Projekt „Jugendhilfe und sozialer Wandel“ durchgeführt wird, gaben für das Jahr 2022 gut drei Viertel der Jugendämter an, unbesetzte Stellen im ASD zu haben. Im Durchschnitt waren in diesen Jugendämtern 7 Prozent der ASD-Stellen unbesetzt. Eine Studie der Hochschule Münster und der Bundesarbeitsgemeinschaft ASD kommt für das Jahr 2019 zu einem ganz ähnlichen Ergebnis (Merchel/Berghaus/Adam 2023). Dementsprechend berichten Jugendämter, dass sie die Aufgaben im Kinderschutz priorisieren müssten – andere wichtige Aufgaben müssten zurückgestellt werden (Müller u.a. 2024).

Finanzielle Anreize können nur wenige Jugendämter bieten

In der DJI-Erhebung wurden die Jugendämter unter anderem auch danach gefragt, welche Maßnahmen sie ergreifen, um Personal für den ASD zu gewinnen, die Attraktivität der Stellen zu erhöhen und das bestehende Personal stärker zu binden. Die Antworten zeigen, dass es inzwischen kaum mehr ein Jugendamt gibt, das nicht mit spezifischen Strategien auf den Fachkräftemangel reagiert. Mehr als 80 Prozent der Jugendämter ermöglichen der Studie zufolge mobiles Arbeiten beziehungsweise Homeoffice und fördern ein gutes Arbeitsklima, um Personal zu finden und zu binden (siehe Abbildung). Dies ist auch vor dem Hintergrund der Transformation der Arbeitswelt durch die Coronapandemie zu verstehen. Die technischen Voraussetzungen für mobiles Arbeiten wurden vielfach erst im Zuge der Pandemie geschaffen. Die intensive Begleitung von Praktikant:innen, eine systematische Einarbeitung sowie gute Rahmenbedingungen für die Fort- und Weiterbildung sind weitere Beispiele für Maßnahmen, mit denen ein Großteil der befragten Jugendämter auf die Arbeitsbedingungen und die Qualität der Arbeit im ASD Einfluss nimmt. Das Anwerben von Fachkräften aus anderen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe wird hingegen nur von wenigen Jugendämtern als Maßnahme der Personalgewinnung wahrgenommen, vermutlich, weil sie selten als sinnvoll eingeschätzt wird. Auch das Anwerben von Quereinsteiger: innen aus anderen Berufsfeldern wird von kaum einem Jugendamt als Maßnahme der Personalgewinnung beschrieben. Finanzielle Anreize können nur wenige Jugendämter bieten, ebenso wie Dienstwohnungen oder Unterstützung bei der Wohnungssuche.

Hickmann, Helen / Koneberg, Filiz (2022): Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken. IW-Kurzbericht 67/2022, Institut der deutschen Wirtschaft. Köln

Hollbach-Grömig, Beate u.a. (2024): Aktuelle Herausforderungen und Sozialraumorientiertes Arbeiten im Jugendamt. Ergebnisse einer Befragung aller Jugendämter in Deutschland im Juli 2023. Berlin

Hollederer, Alfons (2023): Wer leidet in der Sozialen Arbeit an Erschöpfung? In: Soziale Passagen, 15. Jg., H. 1, S. 233–250

Merchel, Joachim / Berghaus, Michaela / Khalaf, Adam (2023): Profil und Profilentwicklung in den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD). München

Mühlmann, Thomas (2022): Personal in Jugendämtern und im ASD im Jahr 2020 – Entwicklungstrends und länderbezogene Unterschiede. In: KomDat, 25. Jg., H. 3, S. 17–23

Müller, Heinz u.a. (2024): Strategien gegen den Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe: Wenn strukturelle Fragen ausgeblendet und schnelle Lösungen zum Problem werden. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJUF). Heidelberg 

Olszenka, Ninja u.a. (2022): Zwischen Expansion und Heterogenität – das Personal der Kinder- und Jugendhilfe. In: KomDat, 25. Jg., H. 3, S. 12–16

Pluto, Liane u.a. (2024, im Erscheinen): Einrichtungen stationärer Hilfen zur Erziehung. Empirische Analyse zu Organisationsmerkmalen, Adressat:innen und Herausforderungen. Weinheim, Basel

Statistisches Bundesamt (2022): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Einrichtungen und tätige Personen (ohne Tageseinrichtungen für Kinder). Wiesbaden


Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2024 von DJI Impulse „Die Fachkräftelücke - Perspektiven und Lösungsansätze für die Kinder- und Jugendhilfe“ (Download PDF).

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