Gemeinsam die Fachkräftelücke schließen – jetzt!

Kleine punktuelle oder symbolische Maßnahmen werden die wachsende Personalmisere in der Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr lösen. Es braucht eine zukunftsweisende konzertierte Aktion aller Verantwortlichen.

Ein Kommentar von Thomas Rauschenbach

Es lässt sich nicht mehr länger ignorieren: Die Kinder- und Jugendhilfe hat ein Fachkräfteproblem, jedenfalls in vielen Regionen im Westen Deutschlands. Obgleich sie jahrelang vor allem im Kita-Bereich stark expandiert ist, schafft es die Kinder- und Jugendhilfe inzwischen auch in anderen Bereichen nicht mehr, den unvermindert steigenden Bedarf an Fachkräften durchgängig zu decken. Das außergewöhnliche Wachstum in den letzten 20 Jahren fordert nun also seinen Preis.

Abhilfe kann nur ein Bündel an unterschiedlichen Strategien schaffen

Zugespitzt formuliert: Hoffnungen, dass alsbald irgendwie – marktreguliert und ohne weiteres Zutun – wieder ein ausreichendes Angebot an neu ausgebildetem Personal zur Verfügung steht, erweisen sich als gefährlicher Trugschluss. Durchhalteparolen und halbherzige Bemühungen helfen nicht mehr weiter, da bis Ende des Jahrzehnts keine Trendwende in Sicht ist. Bis auf Weiteres ist angesichts der Personalbedarfsberechnungen und der sich abzeichnenden Ausbildungskapazitäten nicht zu erwarten, dass sich die Fachkräftelücke mit den bisherigen Strategien schließen lässt. Ohne in kopflose Panik oder einen kurzatmigen Aktionismus zu verfallen, dürfte gegenwärtig nur ein Bündel an unterschiedlichen Strategien Abhilfe schaffen. Drei Bereiche müssen hier vor allem für die Kita- Landschaft fokussiert werden:

  • Mit Blick auf den Arbeitsmarkt gilt es, Anreize zu entwickeln, um die individuellen Arbeitszeitumfänge der Beschäftigten zu erhöhen und deren Arbeitsplatzbindung zu stärken. Zudem müssen die Berufseinmündung und das fachliche Onboarding, also die zielgerichtete Integration neuer Mitarbeitender, verbessert werden. Jahresarbeitszeitmodelle könnten die Möglichkeit einer flexiblen, dem Bedarf angepassten Arbeitszeitgestaltung inklusive zeitweiliger Überstunden und zeitversetzten Arbeitszeitausgleichs schaffen. Außerdem sollte eine gezielte Einwanderung von Fachkräften erleichtert werden.
  • Mit Blick auf die sozialpädagogische Ausbildungslandschaft sollten unterversorgte Regionen identifiziert und dort zusätzliche Ausbildungskapazitäten geschaffen werden. Auch seriöse Zusatzausbildungen, etwa für Personal und Fachkräfte im Ganztag, könnten ein Weg sein. Des Weiteren könnte eine neue zielgruppenspezifische Verwaltungsausbildung für das immens gewachsene Sozialund Erziehungswesen auf den Weg gebracht werden, um dadurch pädagogische Fachkräfte von Verwaltungsaufgaben zu entlasten und zugleich das Organisationsmanagement pädagogischer Institutionen zu verbessern. Zudem müsste die (zu) hohe Fluktuation in den Ausbildungen dringend reduziert, aber auch das Übergangsmanagement in den Arbeitsmarkt optimiert werden.
  • Mit Blick auf die Veränderungen des Kita-Systems werden immer häufiger zweit- und drittbeste Lösungen ins Spiel gebracht und gleichzeitig heftig kritisiert: etwa die vorübergehende Erhöhung der Personal-Kind-Schlüssel oder die Anpassung der Öffnungszeiten an die eingeschränkten Personalressourcen (und nicht an die Bedarfe der Familien). Demgegenüber werden andere vielversprechende Strategien kaum verfolgt, beispielsweise die organisatorische Neuregelung der nachfrageärmeren Randzeiten in den Kitas, die gezielte Gewinnung von einschlägigen Werkstudierenden als Ergänzungs- und Honorarkräften, die Einbindung kleinerer Einrichtungen in Verbundsysteme mit Synergieeffekten und besseren Vertretungsmöglichkeiten oder – ganz gegen den Trend – der gezielte Ausbau einer schwindenden Kindertagespflege.
Notwendig ist ein gesellschaftlicher Konsens, die Frühe Bildung im Interesse der Kinder sowie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in öffentlicher Verantwortung weiter auszubauen und zu stabilisieren.

Die eine oder andere Strategie lässt sich aber nur dann umsetzen, wenn angesichts der sich deutlich verschärfenden Situation anstelle der üblichen Grabenkämpfe, Schuldzuweisungen und (Un-)Zuständigkeitsverweise der Wille zunimmt, Probleme nicht mal wieder auszusitzen, wegzureden oder an andere zu delegieren, sondern gemeinsam anzugehen – über föderale Grenzen und ressortmäßige Teilzuständigkeiten hinweg. Die Politik konstatiert zwar immer wieder die Systemrelevanz der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Kitas, notwendig ist allerdings ein gesellschaftlicher Konsens, die Frühe Bildung im Interesse der Kinder sowie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in öffentlicher Verantwortung weiter auszubauen und zu stabilisieren. Kleine punktuelle Einzelmaßnahmen werden die Fachkraftmisere in der Kinder- und Jugendhilfe ebenso wenig aus der Welt schaffen wie Scheinlösungen. Eine zukunftsweisende konzertierte Aktion aller Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und Fachpraxis ist gefragt.

Prof. Dr. Thomas Rauschenbach ist wissenschaftlicher Leiter des Forschungsverbunds DJI/TU Dortmund und ehemaliger Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Als Seniorprofessor an der TU Dortmund engagiert er sich weiterhin für mögliche Wege aus der Fachkräftemisere in der Kinder- und Jugendhilfe.

thomas.rauschenbach@tu-dortmund.de

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2024 von DJI Impulse „Die Fachkräftelücke - Perspektiven und Lösungsansätze für die Kinder- und Jugendhilfe“ (Download PDF).

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