Ganztag für Grundschulkinder – gute Idee, schwierige Umsetzung

Kinder im Grundschulalter sollen bald ein Recht auf Ganztagsbetreuung haben, doch das Personal fehlt. Schon jetzt übernehmen Assistenzkräfte immer mehr Aufgaben in Schulen und Horten. Wie die pädagogische Qualität im Ganztag verbessert und gesichert werden kann.

Von Katja Tillmann und Christine Steiner

Immer mehr Grundschulkinder in Deutschland nutzen ein Ganztagsangebot. Doch der Wunsch nach einem Platz erfüllt sich nicht für alle Eltern: Nach aktuellen Daten der Kinderbetreuungsstudie (KiBS) des Deutschen Jugendinstituts (DJI) hatten im Jahr 2022 fast drei Viertel aller Eltern eines Grundschulkinds einen Betreuungsbedarf (Hüsken/Lippert/Kuger 2023). Allerdings besuchen nach Berechnungen auf der Basis amtlicher Statistiken nur etwas mehr als die Hälfte (56 Prozent) tatsächlich ein ganztägiges Angebot in Horten, altersgemischten Kindertageseinrichtungen und Schulen (Meiner-Teubner/Trixa 2024). Hinzu kommt die wenig regulierte und kaum systematisch erfasste Form der (Über-)Mittagsbetreuung. Um die Potenziale ganztägiger Angebote für eine bessere Bildung zu nutzen, müssten demnach für die vollständige Umsetzung des Rechtsanspruchs bis zum Schuljahr 2029/2030, so Vorausberechnungen auf Basis von Daten aus dem Jahr 2019, etwa 600.000 zusätzliche Plätze geschaffen werden, davon 90 Prozent im Westen (Rauschenbach u.a. 2021) – eine gewaltige Herausforderung, insbesondere wegen des eklatanten Mangels an pädagogischen Fachkräften (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023, Tillmann 2023).

Mehr offene Stellen als Personal

Die Zahl der Beschäftigten in der Frühen Bildung und im Ganztag für Grundschulkinder wächst seit Jahren deutlich. Im Jahr 2022 waren circa 722.000 Personen als pädagogisches und leitendes Personal in Kindertageseinrichtungen beschäftigt, 56 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Im Bereich der Kinderbetreuung und -erziehung an Grundschulen stieg die Zahl der Beschäftigten zwischen den Jahren 2015 und 2019 um 41 Prozent auf etwa 60.600 Personen (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023). In Horten und altersgemischten Kindertageseinrichtungen waren im Jahr 2022 knapp 75.900 Personen für die Betreuung von Schulkindern zuständig, 6 Prozent mehr als noch im Jahr 2020 (Autor:innengruppe Kinder- und Jugendhilfebericht 2024).

Auch wenn einheitliche Anforderungen an die Qualifikation von Personal im schulischen Ganztag weiterhin nicht in Sicht sind, ist doch unbestritten, dass für die Erfüllung der hohen Ansprüche, die an den Ganztag gestellt werden, Fachpersonal unabdingbar ist. Einschlägig pädagogisch qualifizierte Berufsgruppen wie Erzieher:innen oder Sozialpädagog: innen sind daher nicht nur in der Kindertagesbetreuung vor dem Schuleintritt, sondern auch im Ganztag für Grundschulkinder sehr gefragt. So übersteigt die Nachfrage nach Personal das Angebot an Pädagog:innen deutlich, obwohl insbesondere die Erzieher:innenausbildung zuletzt stark ausgebaut wurde. Daten zum Beruf Erzieher:in, der von der Bundesagentur für Arbeit seit einigen Jahren als sogenannter Engpassberuf geführt wird, zeigen diese Diskrepanz eindrucksvoll: Während die Anzahl der arbeitslos gemeldeten Personen, die als Erzieher:in arbeiten wollten, zwischen 2013 und 2023 um 20 Prozent zurückging, stieg die Zahl der gemeldeten Stellen für diesen Beruf im gleichen Zeitraum um 157 Prozent an (Bundesagentur für Arbeit 2024).

Aus diesem Grund wird in der „Gesamtstrategie Fachkräfte in Kitas und Ganztag“ des Bundesfamilienministeriums nicht nur auf die Bedeutung der Akquise von Fachkräften hingewiesen, sondern auch betont, wie notwendig es ist, die Arbeitsfelder für nicht einschlägig pädagogisch qualifiziertes Personal zu öffnen. Mittlerweile stehen in allen Bundesländern Quer- und Seiteneinstiegsprogramme als Lehrkraft oder pädagogische Fachkraft zur Verfügung. Welche Konsequenzen dies für Professionalisierungsprozesse und für die Sicherung pädagogischer Qualität hat, wird immer wieder kritisch diskutiert (u.a. Grgic/Friederich 2023).

Schlechte Arbeitsbedingungen erhöhen das Risiko der De-Professionalisierung

Solche Diskussionen sind nicht neu. Die Sorge um De-Professionalisierungstendenzen sowie Berichte über Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung, vor allem aber beim Personaleinsatz, begleiteten den bundesweiten Ausbau von Ganztagsschulen von Anfang an. Ebenfalls aktuell bleibt die Diskussion über prekäre Arbeitsbedingungen, etwa befristete und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, die im schulischen Ganztag häufiger zu finden sind als in der Frühen Bildung. So war beispielsweise im Jahr 2019 jede fünfte Person in der Kinderbetreuung und -erziehung an Grundschulen geringfügig beschäftigt, jedoch nur jede 26. Person in der Frühen Bildung (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023).

Geringe Arbeitszeitumfänge sind ein weiteres, seit Jahren bekanntes und über die Zeit erstaunlich stabiles Merkmal vieler Beschäftigungsverhältnisse im schulischen Ganztag (Tillmann/Rollett 2014, Altermann u.a. 2018). Während das Personal in der Frühen Bildung im Jahr 2019 durchschnittlich knapp 33 Stunden pro Woche arbeitete, lag der Beschäftigungsumfang des Personals in der Kinderbetreuung und -erziehung an Grundschulen bei nur 23 Wochenstunden, und acht von zehn Personen arbeiteten in Teilzeit. Die geringen Arbeitszeitumfänge sind dabei von den Beschäftigten nicht immer gewünscht: 16 Prozent der teilzeitbeschäftigten Personen in der Kinderbetreuung und -erziehung an Grundschulen wünschten sich 2019 einen höheren Beschäftigungsumfang in der Größenordnung von durchschnittlich zehn Wochenstunden (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023).

Nicht nur für Professionalisierungsprozesse und für die pädagogische Qualitätssicherung sind diese Arbeitsbedingungen wenig förderlich. Sie erschweren ebenfalls die Personalakquise und -bindung. Für Beschäftigte und an einer Mitarbeit Interessierte sind Beschäftigungsverhältnisse, die nicht existenzsichernd sind und zumeist mit unflexiblen Arbeitszeiten von mittags bis nachmittags einhergehen, auf Dauer nicht attraktiv (Bock/Reinisch/Idel 2023). Im Bereich der Frühen Bildung sind zurzeit deutlich bessere Bedingungen vorzufinden.

Schwierige Arbeitsteilung in multiprofessionellen Ganztagsteams

Aus der Ganztagsschulforschung sind weiterhin die vielfältigen Hürden bekannt, die aus einer heterogenen Teamzusammensetzung resultieren. Der Mix aus Beschäftigten mit sehr unterschiedlichen Arbeitsumfängen geht mit erheblichen organisatorischen und arbeitsrechtlichen Herausforderungen einher. Bereits vor vielen Jahren wurde auf die schwierige Form der Arbeitsteilung in multiprofessionellen Ganztagsteams aufmerksam gemacht (Beher/Rauschenbach 2006). Neben einem Kern aus einschlägig qualifizierten Fachkräften mit hohem Stundenumfang und großer Verantwortung sind im sogenannten Angebotsbereich Personen mit sehr unterschiedlichen Qualifikationsvoraussetzungen in einem zeitlich eingeschränkten Umfang tätig. Teilweise handelt es sich also auch um pädagogische Laien, die über keinerlei berufliche Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verfügen, mit denen sich aber die Hoffnung auf ein Mehr an Alltagsbildung für Kinder und Jugendliche verbindet (Steiner 2013). Ob ihre Sachexpertise zur Vermittlung von Alltagsbildung und zur Öffnung der Schule zum Sozialraum beiträgt, wird inzwischen ebenso kritisch diskutiert wie ihre Verortung im Angebotsbereich des Ganztags. Denn mehr und mehr sind sie im Kernbereich des Ganztags tätig (Danner/Sauerwein 2023).

Der Personalmangel schränkt die Fördermöglichkeiten ein

Dass prekäre Beschäftigungsformen, eine herausfordernde Arbeitsorganisation und mangelnde pädagogische Qualitätssicherung kein exklusives Problem des schulischen Ganztags sind, zeigen die Ergebnisse von zwei am Deutschen Jugendinstitut (DJI) durchgeführten Studien zur Situation armutsbetroffener Grundschüler:innen (Lüring u.a. 2022, Steiner u.a. 2024). Nicht einschlägig qualifizierte Personen, vor allem aber Honorarkräfte, Praktikant:innen und Ehrenamtliche, übernehmen demnach zunehmend auch die lernbezogene Unterstützung der Kinder. Dabei geht es um die Bewältigung von Personalengpässen, wie das Zitat einer Hortleitung (siehe unten) deutlich macht. Es geht aber auch um die Förderung von Kindern. Solche Engpässe zeigen sich in sogenannten sozialen Brennpunktvierteln deutlicher als in sozial privilegierteren Wohngegenden. Der Unterstützungsbedarf von Kindern ist jedoch generell gestiegen, was zum einen auf die wachsende Heterogenität der Schüler:innen gerade im Grundschulalter zurückzuführen ist und zum anderen auf die Coronapandemie. Darauf hat der aktuelle Nationale Bildungsbericht noch einmal nachdrücklich aufmerksam gemacht (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2024).

„Wir haben einen Migrationsanteil von 98 Prozent, und von diesen 98 Prozent kommen alle aus prekären Verhältnissen […] [ich] habe jetzt Ehrenamtsbörsen angefragt […] um Lesepaten, weil wir einfach das personell nicht stemmen.“
Zitat einer befragten Hortleitung

Der Personalmangel erschwert die Umsetzung geeigneter Förderkonzepte. So berichteten die in den beiden DJIStudien befragten Schul- und Einrichtungsleitungen, dass Lehrpersonen vorgesehene Förderstunden oder fachbezogene Angebote zugunsten von notwendigen Vertretungsstunden im Unterricht zurückstellen oder an Nichtpädagoginnen abgeben müssen. Lediglich in Fällen besonderer Unterstützungsbedürftigkeit wird eine gezielte Förderung der Schüler:innen durch Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte sichergestellt. Ein ganz ähnliches Muster zeichnet sich bei ausgebildeten Erzieher:innen in Horten und der (Über-)Mittagsbetreuung sowie im Tätigkeitsbereich von Schulsozialarbeiter:innen ab.

Ein solcher Rückzug der Lehr- und Fachkräfte auf das jeweilige pädagogische Kerngeschäft folgt durchaus den Empfehlungen zur Bewältigung des Lehr- und Fachkräftemangels: Hilfs-, Ergänzungs- und Assistenzkräfte sollen Lehrpersonen beispielsweise nicht nur bei Leitungs- und Verwaltungsaufgaben entlasten, sondern auch in der pädagogischen Arbeit unterstützen (Böttcher u.a. 2023). Allerdings muss dieser Kreis von Mitarbeitenden erst einmal gefunden werden, denn auch diese Personalressource wird inzwischen knapp.

Besser gemeinsam arbeiten

Angesichts des großen Fachkräftemangels in Schulen und Horten geraten die bereits Mitarbeitenden schnell aus dem Blick. Und das, obwohl das wichtigste Ziel sein muss, die bereits im Ganztag Beschäftigten und Engagierten zu halten. Dass dies gelingen kann, zeigt zum Beispiel das Land Berlin: Dort werden Erzieher:innen im schulischen Ganztag im Vor- und Nachmittagsbereich eingesetzt und sind mit hohem Wochenstundenvolumen beschäftigt. Es geht aber vor allem um die Entwicklung nachhaltiger Personalmanagementkonzepte, die neben einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch eine gezielte Personalentwicklung und Qualifizierung der Mitarbeitenden umfassen. Kurz: Die Logik von Kern- und Angebotsbereich, von Fach- und Assistenzkräften muss aufgebrochen werden, auch weil sie im alltäglichen Miteinander limitierend ist. In einem nachhaltigen Personalmanagement ist auch Platz für die im Ganztag bisher charakteristische Zusammenarbeit verschiedener Professionen. Denn wer sich auf seinen Kernbereich zurückbesinnt, kann nur auf das produktive, kooperative Miteinander der Assistenz hoffen – so man denn eine findet.

Altermann, André u.a. (2018): Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2018. Dortmund

Autorengruppe Fachkräftebarometer (2023): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2023. München

Autor:Innengruppe Kinder- Und Jugendhilfestatistik (2024): Kinder- und Jugendhilfereport. Eine kennzahlenbasierte Analyse mit einem Schwerpunkt zum Fachkräftemangel. Opladen/Berlin/Toronto

Autor:Innengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2024): Bildung in Deutschland 2024. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu beruflicher Bildung. Bielefeld  Beher, Karin / Rauschenbach, Thomas (2006): Die offene Ganztagsschule in Nordrhein-Westfalen. Ein gelungenes Zusammenspiel von Schule und Jugendhilfe? In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9. Jg., Heft 1, S. 51–66

Bock, Franziska / Reinisch, Konrad / Idel, Till-Sebastian (2023): Prekarisierung der Ganztagsschule? Befunde zu den Arbeitsbedingungen des Ganztagspersonals. In: Der Pädagogische Blick, 31. Jg., H. 4, S. 249–260.  Bundesagentur Für Arbeit (2024): Blickpunkt Arbeitsmarkt – Fachkräfte in der Kinderbetreuung und -erziehung. Nürnberg

Bundesministerium Für Familie, Senioren, Frauen Und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.) (2024): Gesamtstrategie Fachkräfte in Kitas und im Ganztag. Empfehlungen der AG „Gesamtstrategie Fachkräfte“. Berlin

Böttcher, Wolfgang u.a. (2023): Mit Innovationen aus der Krise. Vorschläge zum lösungsorientierten Umgang mit dem Lehrkräftemangel. In: FES impuls. Berlin  Danner, Annalena / Sauerwein, Markus (2023): Pädagogische Lai:innen im Ganztag. Mythos Öffnung der Ganztagsschule. In: Sozial Extra, 47. Jg., H. 5, S. 311–315

Grgic, Mariana / Friederich, Tina (2023): Lizenz zur Multiprofessionalität in Zeiten des Fachkräftemangels? In: Zeitschrift für Pädagogik, 69. Jg., H. 2, S. 233–255

Hüsken, Katrin / Lippert, Kerstin / Kuger, Susanne (2023): Bildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder – entsprechen sie den Bedarfen der Eltern? DJI-Kinderbetreuungsreport 2023, Studie 2 von 7. München 

Lüring, Klara u.a. (2022): Zusammenhänge zwischen prekären Lebenslagen und Bildungsverläufen. Die Situation von Schülerinnen und Schülern am Übergang von der Grundschule in die Sekundarschule. Abschlussbericht am Deutschen Jugendinstitut. München

Meiner-Teubner, Christiane / Trixa, Jessica (2024): Starker Ausbau der ganztägigen Angebote für Grundschulkinder – tatsächliche Entwicklung oder Änderungen in den Meldungen? In: KomDat, 27. Jg., H. 1, S. 7–11

Rauschenbach, Thomas u.a. (2021): Plätze. Personal. Finanzen. Bedarfsorientierte Vorausberechnungen für die Kindertages- und Grundschulbetreuung bis 2030. Teil 2: Ganztägige Angebote für Kinder im Grundschulalter. Dortmund 

Steiner, Christine (2013): Die Einbindung pädagogischer Laien in den Alltag von Ganztagsschulen. In: Bildungsforschung, 10. Jg., H. 1, S. 64–90

Steiner, Christine u.a. (2024): Armut von Grundschulkindern. Perspektiven und pädagogische Praxis von Lehrpersonen und pädagogischen Mitarbeiter:innen in der Kindertagesbetreuung. In: Österreichisches Jahrbuch für Soziale Arbeit 2024, S. 117–137 

Tillmann, Katja (2023): Perspektiven für den Ganztag in Zeiten des Fachkräftemangels. In: Städte- und Gemeinderat, 77. Jg., H. 11, S. 19–21

Tillmann, Katja / Rollett, Wolfram (2014): Multiprofessionelle Kooperation. Die Gestaltung des Personaleinsatzes als Gelingensbedingung. In: Die Grundschulzeitschrift, 28. Jg., H. 274,S. 14–16


Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2024 von DJI Impulse „Die Fachkräftelücke - Perspektiven und Lösungsansätze für die Kinder- und Jugendhilfe“ (Download PDF).

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