Was Mütter stresst

Die familiäre Arbeit übernehmen in Deutschland vor allem die Mütter. Dabei ist es nicht die parallele Berufstätigkeit, die die Frauen belastet, zeigt eine DJI-Studie.

Von Magdalena Gerum und Dr. Valerie Heintz-Martin und Dr. Claudia Zerle-Elsäßer


Die Corona-Krise macht es einmal mehr deutlich: Die familiäre Arbeit übernehmen in Deutschland vor allem die Mütter. Während der Mann die Familie – auch und gerade in Ausnahmezeiten – finanziell absichern soll, versucht die Frau den Spagat zwischen Beruf, Kinderbetreuung und Hausarbeit. In Deutschland hat die Erwerbstätigenquote von Müttern mit Kindern ab 6 Jahren in Paarfamilien im vergangenen Jahrzehnt zwar stark zugenommen: von 69 Prozent im Jahr 2008 auf 78 Prozent im Jahr 2018; 55 Prozent arbeiten allerdings lediglich in Teilzeit (Destatis 2020). Der Anteil der Teilzeitbeschäftigung bei Müttern insgesamt ist sogar angestiegen: Im Jahr 1991 betrug er noch 30 Prozent, 2016 dagegen 48 Prozent (BIB 2018). Die Teilzeit für Mütter – und damit das Modell des männlichen Hauptverdieners und einer weiblichen Zuverdienerin – hat sich also weiter gefestigt (OECD 2017). Trotz Elterngeld und Kita-Ausbau haben Väter durchschnittlich immer noch weitaus längere Arbeitstage als Mütter oder kinderlose Männer (Keller/Kahle 2018, Schröder 2018). Auch wenn sie die Frauen durch kurze Eltern(aus)zeiten unterstützen und sich insbesondere am Feierabend und Wochenende stärker bei der Kinderbetreuung engagieren, sehen sich die meisten Mütter mit einer starken Doppelbelastung konfrontiert: Nach der Teilzeit Erwerbstätigkeit wartet die "second shift" (Hochschild/Machung 2012), also die zweite Schicht der Familienarbeit, auf sie. Nach dem Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (BMFSFJ 2017) leisten Frauen 52 Prozent mehr unbezahlte Care-Tätigkeiten als Männer, was etwa 2,5 Stunden täglich entspricht. Sie sind und bleiben damit die "pivotal figures" (Smith 2008, S. 162), also der Dreh- und Angelpunkt beziehungsweise die zentralen Figuren in Familien, haben als "Managerinnen des Alltags" (Ludwig u.a. 2002) die Organisation des Familienalltags im Blick und erledigen den Hauptanteil der Hausarbeit und der Kinderbetreuung (Lachance Grzela/Bouchard 2010, Geist 2005, Gershuny u.a. 2005).

Mehr als ein Viertel der Mütter fühlt sich gestresst

Doch wie geht es Müttern mit dieser Rolle, und welche Faktoren stressen sie am meisten? Diese Fragen beantworten bislang unveröffentlichte Studienergebnisse des Deutschen Jugendinstituts
(DJI) auf Basis von Daten des DJI-Surveys »Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten«, kurz: AID:A. Die Stichprobe umfasst Datensätze aus dem Jahr 2014 von mehr als 12.000 Müttern mit Kindern zwischen 0 und 17 Jahren, die zusammen mit den Vätern in einem gemeinsamen Haushalt leben. Die subjektive Stressbelastung der Mütter wurde anhand des WHO-5-Wohlbefindens-Indexes gemessen, der sich aus fünf Fragebogen-Items zusammensetzt und einen Summenwert von 0 (geringes Stressempfinden) bis 25 (hohes Stressempfinden) annehmen kann.

Nach den Forschungsergebnissen haben lediglich 9,1 Prozent der Mütter ein geringes und 14,4 Prozent ein eher geringes Stresslevel (siehe Abbildung). Bei jeder zweiten Mutter (50,1 Prozent) ergeben sich jedoch Skalenwerte zwischen 9 und 14 und damit ein mittleres Stresslevel. 23,4 Prozent der Mütter schildern sogar eine eher hohe Stressbelastung (mit Skalenwerten zwischen 15 und 19), etwa 2,9 Prozent berichten von einem sehr hohen Stresslevel (mit Skalenwerten zwischen 20 und 25). Mithilfe eines statistischen Analyseverfahrens, der sogenannten OLS-Regression, wurde im Rahmen der Studie untersucht, ob und inwiefern potenzielle Faktoren das mütterliche Stresslevel beeinflussen. Dazu zählen zum Beispiel der Umfang der mütterlichen Erwerbsstunden, das Haushaltsnettoeinkommen, die Aufteilung der Hausarbeit zwischen Frau und Mann oder die konkrete Zeiteinteilung in der Familie.

Der Umfang der Berufstätigkeit der Mütter beeinflusst ihr Stresslevel kaum

Die Ergebnisse zeigen, dass Mütter in Familien mit einem geringen Haushaltsnettoeinkommen (unter 3.000 Euro monatlich) eine signifikant höhere Stressbelastung empfinden als jene in Familien mit mittlerem Einkommen (siehe Abbildung). Umgekehrt haben Mütter mit höherem Haushaltsnettoeinkommen (mehr als 4.250 Euro monatlich) eine signifikant geringere Stressbelastung als Mütter mit mittlerem Haushaltsnettoeinkommen. Diese Befunde weisen damit darauf hin, dass finanzielle Engpässe der Familie den Müttern große Sorgen bereiten. Der Umfang der Erwerbsstunden einer Mutter wirkt sich nach den Ergebnissen dagegen kaum auf ihre Stressbelastung aus. Dies steht im Einklang mit bisherigen Untersuchungen, die ergeben, dass der Umfang der Erwerbsstunden auch die Lebenszufriedenheit von Müttern kaum beeinflusst (Schröder 2018). Möglicherweise liegt dies daran, dass Mütter, erstens, ihren Erwerbsstundenumfang flexibel an ihre familialen Verpflichtungen anpassen können und, zweitens, dass eine Erwerbs-tätigkeit nicht ganz so eng mit einer weiblichen Geschlechterrollenidentität verwoben ist, wie dies bei Vätern der Fall ist (Christiansen/Palkovitz 2001). Eine pflegebedürftige Person in der Familie, wenig aktive Zeit mit den Kindern oder für gemeinsame Mahlzeiten erhöhen ihr Stresslevel jedoch signifikant. Dort, wo Zeitoasen gefunden werden, für tägliche Familienrituale wie das gemeinsame (Abend-)Essen, für gemeinsame Stunden mit dem Partner, aber auch für Auszeiten jenseits der Familie, sinkt das Stressempfinden. Mit steigendem Alter der Kinder, aber auch mit der Anzahl der Kinder reduziert sich das Stresslevel der Mütter
statistisch bedeutsam.

Gefangen in alten Rollenbildern: Zu viel Engagement von Vätern stresst Frauen

Wenn Väter Aufgaben der Kinderbetreuung und Hausarbeit übernehmen, entlastet das Mütter erwartungsgemäß, aber interessanterweise nur bis zu einem gewissen Grad – dies zeigt die Studie. Geht es über eine egalitäre Arbeitsteilung hinaus, fühlen sich die Frauen wieder mehr gestresst. So schildern die befragten Mütter eine signifikant höhere Stressbelastung, wenn Väter mehr Hausarbeit übernehmen als die Mütter in der Referenzgruppe (Mütter übernehmen den überwiegenden Anteil). Sobald sich beide die Hausarbeit gleich aufteilen, finden sich keine signifikanten Zusammenhänge mit dem mütterlichen Stresslevel mehr (siehe Abbildung 3). Und auch bei der Kinderbetreuung zeigen sich Mütter signifikant weniger gestresst als die in der Referenzgruppe, wenn sie gleichermaßen zwischen beiden Elternteilen aufgeteilt ist.

Dieser überraschende Befund ist vor allem rollentheoretisch zu interpretieren. Mütter scheinen sich von traditionellen Rollenbildern, die ihnen die Hauptzuständigkeit für die Hausarbeit und Kinderbetreuung zuweisen, offenbar noch längst nicht befreien zu können – selbst dann nicht, wenn sie in höherem Umfang erwerbstätig sind als ihre Männer. Denn häufig werden Modelle, in denen der Vater den überwiegenden Anteil an der Kinderbetreuung übernimmt, nicht auf Basis einer gemeinsamen Überzeugung gelebt, sondern vielmehr aufgrund von ökonomischen Zwängen. Weil beides nicht der Norm entspricht, sind diese Lebensentwürfe mitunter konfliktbehaftet, sorgen für Überlastung, Identitätskonflikte und Versuche, trotzdem der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen (Jurczyk u.a. 2019).

Neue Vereinbarkeitsmodelle für Mütter und Väter ermöglichen

Um die Belastungen beider Elternteile zu minimieren, sind vor dem Hintergrund der Studienergebnisse nicht nur mehr qualitativ gute Angebote der Kinderbetreuung und zusätzliche vereinbarkeitsförderliche Maßnahmen in Unternehmen und Betrieben notwendig, sondern auch eine stärkere gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber nicht der Norm entsprechenden Modellen der Arbeitsteilung in Familien. Vielleicht bietet die Corona-Krise, trotz aller Widrigkeiten, die Chance, dass künftig neue Vereinbarkeitsmodelle praktiziert und politisch gefördert werden.

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB; 2018): Teilzeitarbeit auf dem Vormarsch: Differenzierungen im Erwerbsverhalten von Frauen in Deutschland. In: Bevölkerungsforschung aktuell, Heft 4, S. 2–12

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017): Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. BT-Drucksache 18/2840, Berlin

Christiansen, Shawn L. / Palkovitz, Rob (2001): Why the »Good Provider« Role Still Matters. Providing as a Form of Paternal Involvement. In: Journal of Family Issues, 22. Jg., H. 1, S. 84–106

Statistisches Bundesamt (DESTATIS; 2020): Erwerbsbeteiligung von Müttern zwischen 2008 und 2018 bundesweit gestiegen. Pressemitteilung Nr. N 023 vom 7. Mai 2020

Geist, Claudia (2005): The Welfare State and the Home. Regime Differences in the Domestic Division of Labour. In: European Sociological Review, 21. Jg., H. 1, S. 23–41

Gershuny, Jonathan / Bittman, Michael / Brice, John (2005): Exit, Voice, and Suffering. Do Couples Adapt to Changing Employment Patterns? In: Journal of marriage and family, 67. Jg., H. 3, S. 656–665

Hochschildt, Arlie / Machung, Anne (2012): The Second Shift: Working Families and the revolution at home. London

Lachance-Grzela, Mylène / Bouchard, Geneviève (2010): Why Do Women Do the Lion’s Share of Housework? A Decade of Research. In: Sex Roles, 63. Jg., H. 11–12, S. 767–780

Jurczyk, Karin / Jentsch, Birgit / Sailer, Julia / Schier, Michaela (2019): Female-Breadwinner Families in Germany: New Gender Roles? In: Journal of Family Issues, 40. Jg., H. 13

OECD (2017): Date to Share: Germany’s Experience Promoting Equal Partnership in Families. OECD Publishing.

Schröder, Martin (2018): How working hours influence the life satisfaction of childless men and women, fathers and mothers in Germany. In: Zeitschrift für Soziologie, 47. Jg., H. 1, S. 65–82

Smith, Marjorie (2008): Resident Mothers in Stepfamilies. In: Pryor, Jane (Hrsg.): The International Handbook of Stepfamilies. Hoboken, S. 151–174

Wanger, Susanne (2015): Frauen und Männer am Arbeitsmarkt. Traditionelle Er-werbs- und Arbeitszeitmuster sind nach wie vor verbreitet. IAB-Kurzbericht, IAB-Kurzbericht 4/2015. Nürnberg