Wo liegen die Chancen und Herausforderungen einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft?
Drei Fragen an Wissenschaft und Praxis: Antworten von einem Soziologen, einer Schulleiterin und einer Elternvertreterin
Die Perspektive der Wissenschaft
DJI Impulse: Herr Professor Pollak, als Bildungsforscher empfehlen Sie in der Sachverständigenkommission des Neunten Familienberichts den Ausbau von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften. Warum?
Prof. Dr. Reinhard Pollak: Bildungsgerechtigkeit ist essenziell für einen fairen Start ins Leben. Neben der Schule kommt den Eltern bei der Gestaltung einer lernförderlichen Umgebung für ihr Kind besondere Bedeutung zu. Allerdings fällt die kognitive und emotionale Förderung in Familien unterschiedlich aus. Vor diesem Hintergrund rücken Erziehungs- und Bildungspartnerschaften immer stärker in den Fokus.

Es stellt sich die Frage: Wie kann man Eltern bei der Förderung ihrer Kinder besser unterstützen? Wir sehen, dass sich Familienbildungsstätten und Kindertageseinrichtungen zu multifunktionellen Familienzentren weiterentwickeln. Die Einrichtungen integrieren die Bildungs-, Betreuungs- und Beratungsangebote in ihr Profil und schaffen mit ihrer Lotsenfunktion im Sozialraum niedrigschwellige Zugänge. Eine solche Kooperation hat sich bewährt und sollte auf die Schule ausgeweitet werden.
Wie wichtig Erziehungs- und Bildungspartnerschaften sind, wird an den Fragen deutlich, die Eltern hinsichtlich der Entwicklung ihrer Kinder in der Schule haben: Wie entwickelt sich mein Kind in der Schule? Welche Entwicklungschancen hat es, und wie kann ich ihm Orientierung geben? Wie wird es von den Lehrkräften eingeschätzt? Wie kann ich mein Kind unterstützen? An welchen Stellen können die Lehrkräfte dem Kind dabei helfen, den Weg einzuschlagen, der zu seinen Fähigkeiten passt?
Im Neunten Familienbericht haben wir aufgezeigt, wie wichtig es für Eltern und Erziehungspersonal ist, die Erziehungs- und Bildungsarbeit gemeinsam und einvernehmlich zu gestalten, um die Kinder bestmöglich individuell zu unterstützen und zu fördern. Für diese individuelle Förderung sind zeitliche Ressourcen und spezialisierte Kompetenzen nötig, die dem pädagogischen Personal an Schulen und in den Kommunen zugänglich gemacht werden müssen. Aber auch der Umgang mit den Eltern und ihre Förderung durch das pädagogische Personal muss Bestandteil von dessen Aus- und Weiterbildung sein.
Worauf kommt es bei diesen Kooperationen zwischen Schule und Eltern an?
Eine gute Kommunikation ist entscheidend. Wir brauchen eine Willkommenskultur an den Schulen und entsprechende Räume für Gelegenheiten, um Eltern an der Schule willkommen zu heißen. Der zweite, vielleicht noch wichtigere Aspekt ist ein respektvoller und regelmäßiger Austausch. Wir wissen, wenn die Eltern eine positive Einstellung zur Schule haben, färbt dies auch auf die Kinder ab. Man sollte den Eltern entsprechend breite Partizipationsmöglichkeiten geben. Kinder sollen merken und davon profitieren, dass ihren Eltern die Schule wichtig ist und dass sie mit ihr am gleichen Strang ziehen zum Wohle des Kindes.
Was empfehlen Sie Schulen, die die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft stärken wollen?
Kommunikationswege müssen etabliert und regelmäßige Möglichkeiten zum Austausch mit den Familien aufgebaut werden. Es gibt Lehrkräfte und Eltern, die sich nur einbringen, wenn es Probleme der Kinder in der Schule gibt. Es darf aber nicht nur negative Anlässe geben, um mit den Eltern zu kommunizieren. Vielmehr sollten Schule und Eltern im ständigen Austausch darüber sein, was in der Schule gerade anliegt und was in der Lebenswelt der Kinder vorgeht. Gleichzeitig sollten Erziehungs- und Bildungspartnerschaften Lehrkräfte nicht überfordern und „on top“ auf sie zukommen. Wir empfehlen, dass Lehrkräfte pro Woche eine einstündige Reduktion ihres Lehrdeputats erhalten, um Zeit für die Zusammenarbeit mit Eltern zu gewinnen.
Die ganzen Aufgaben nur bei den Lehrkräften abzuladen, wäre allerdings ein Fehler. Vielmehr benötigen wir an Schulen multiprofessionelle Teams. Lehrkräfte sowie Personal in der Schulsozialarbeit und in der Schulpsychologie sollten gemeinsam die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft abstimmen und die Aufgaben aufteilen. Wir empfehlen den Bildungseinrichtungen, ein Konzept zu erstellen und zu implementieren, aus dem hervorgeht, wie sie die Kommunikation mit den Eltern inhaltlich und organisatorisch gestalten möchten und wer jeweils seitens der Einrichtungen die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft aktiv angeht.

Die Perspektive der Schule
DJI Impulse: Frau Schäfer, die Franz-Leuninger-Schule, eine selbstständige inklusive Grundschule mit Ganztagsangebot, hat insbesondere wegen ihrer guten Zusammenarbeit mit den Eltern den Deutschen Schulpreis erhalten. Was macht eine gute Erziehungs- und Bildungspartnerschaft aus?
Nicole Schäfer: Uns ist es wichtig, auf Augenhöhe mit den Eltern zum Wohle des Kindes zusammenzuarbeiten. Die Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen und Experten für ihr Kind. Deshalb ist es das Beste, was ein Kind bekommen kann, wenn Bildungsinstitution und Eltern an einem Strang ziehen. Das ist natürlich nicht immer einfach. Eltern sind allerdings in der Regel sehr zufrieden, wenn man sie von Anfang an als Partner wertschätzt.
In welchen Bereichen arbeiten Sie konkret mit den Eltern zusammen?
Es geht schon beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule los. Da arbeiten wir ein Jahr lang mit den Eltern und den Kitas zusammen und lernen dabei die Kinder und Familien kennen. Da wächst Vertrauen. Wir entscheiden nie etwas gegen die Eltern, auch was Schulreife und -eintritt oder den Übergang in die weiterführende Schule angeht. Im Ganztag bekommt jedes Kind die Betreuung, die die Familie benötigt. Es kann beispielsweise an zwei Tagen die Woche bis 15 Uhr bleiben und an den anderen Tagen bis 16.30 Uhr. Wir stellen uns dann darauf ein. Die Familie kann dieses Angebot kostenlos bei uns abrufen. Für Familien, die besonders belastet sind, gibt es zusätzliche finanzielle Unterstützung. In der Lernentwicklung der Kinder schauen wir, dass wir die Eltern in die Gespräche mit einbeziehen. Bei Aktionen wie gesundes Frühstück, Schulhof oder Zirkus können sich Eltern einbringen und sind froh, wenn sie auch mal etwas zurückgeben können.
Worin liegen die größten Herausforderungen für die Lehrkräfte?
In der Akzeptanz und Wertschätzung jedes einzelnen Familienbildes. Man hat natürlich als Pädagoge ein Bild oder eine Wunschvorstellung vor Augen, wie ein Kind am besten groß werden sollte. Man weiß aber auch, dass die Realität von Familien oft ganz anders aussieht. Die Herausforderung liegt darin, dass man das akzeptiert und wertschätzt – und Eltern nicht verurteilt oder erziehen möchte. In Einzelfällen machen wir bis heute kollegiale Fallberatung, um uns immer wieder darauf zurückzubesinnen.
Die Perspektive der Eltern
DJI Impulse: Frau Bär, wie tauschen Sie sich als Elternvertreterin mit der Franz-Leuninger-Schule aus, und wie zufrieden sind Sie mit deren Unterstützung?
Tina Bär: Wir tauschen uns in erster Linie über das sogenannte „Fränzchen“ aus, ein gebundenes Logbuch, das jede Schülerin und jeder Schüler immer im Ranzen dabei hat. Das hat die Schule für die Eltern entwickelt, um alle Informationen über den allgemeinen Schulbetrieb, zum Beispiel Terminplanung, Angebote, AGs oder Musikunterricht transparent zu bündeln. Die täglichen Hausaufgaben werden dort ebenfalls vermerkt.

Vorne im Buch gibt es ein Einschubfach für Post, wo der allgemeine Schriftverkehr, Rückläufer an die Schule oder Mitteilungen von den Eltern an die Lehrer hineingelegt werden. Das wird jeden Tag von der Schule und uns Eltern kontrolliert und ist das allgemeine Austauschmittel.
Dann kommunizieren wir über den Messenger-Dienst Signal. Hier können kurzfristige Mitteilungen, Elternbriefe oder Informationen eingestellt werden. Natürlich können sich die Eltern auch jederzeit direkt über Signal an die Klassenlehrkräfte wenden. Das ist natürlich toll, wenn man mal kurzfristige Fragen hat. Auch die Schulleitung hat immer ein offenes Ohr. Es ist kein Problem, anzurufen oder einfach vorbeizugehen. Die Tür steht für uns Eltern immer offen.
Sich als Elternteil in der Schule aktiv einzubringen, kostet Zeit, die gerade in Familien oft knapp ist. Warum lohnt sich das Engagement aus Ihrer Sicht?
Wenn sich die Eltern einbringen, bleibt das langfristig in Erinnerung – sowohl für die Kinder als auch für uns. Wir haben sehr viele verschiedene Aktionen bei uns an der Schule, durch die wir gelebte Gemeinschaft erfahren und die uns enger zusammenschweißen. Mein Sohn war beispielsweise sehr stolz, als er gesehen hat, wie ich morgens das Frühstück mit zubereitet habe. Die Eltern profitieren auf ganzer Linie davon, dass sie andere Eltern und das Kollegium besser kennenlernen.
Inwiefern profitiert Ihr Kind von der gelebten Erziehungs- und Bildungspartnerschaft?
Unser Sohn bekommt das Vertrauensverhältnis zwischen uns, den Eltern und der Schule, mit. Weil Gespräche auf Augenhöhe geführt werden, wird das Selbstbewusstsein der Kinder gestärkt und Ängste genommen. Meiner Meinung nach werden sie so gut auf den weiteren schulischen Weg vorbereitet und haben einen sehr guten Grundstein gelegt bekommen.
Interviews: Sonja Waldschuk

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 1/2022 von DJI Impulse „Ungleiche Elternschaft: Warum die soziale Kluft zwischen Familien wächst und was der Neunte Familienbericht empfiehlt“ (Download PDF).