Jugendliche gegen sexualisierte Gewalt wappnen

Vielen jungen Menschen fällt es schwer, bei sexualisierten Übergriffen unter Gleichaltrigen hilfreich einzuschreiten. Kompetentes Handeln lässt sich üben, gelingt aber nicht ohne Unterstützung durch Erwachsene

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22. Juli 2025 -

Im Jugendalter gehen sexualisierte Grenzverletzungen, Übergriffe und Gewalt häufig von ungefähr Gleichaltrigen aus – auf Partys, in der Schule, in Wohngruppen, in Paarbeziehungen – und zunehmend auch im digitalen Raum. Für die Prävention und Intervention bei solchen Übergriffen im Jugendalter spielt das Verhalten derjenigen eine entscheidende Rolle, die sie beobachten, miterleben oder die von Beteiligten danach ins Vertrauen gezogen werden. In Deutschland ist das sogenannte Bystander-Verhalten noch wenig erforscht. Wie junge Menschen dazu befähigt werden können, gefährliche Situationen angemessen zu deuten und zu bewerten, um sich selbst besser schützen und/oder andere unterstützen zu können, untersuchte erstmals das Verbundprojekt „Checken, Abklären und Entscheiden, Tun“ (CHAT), an dem Forschende des Deutschen Jugendinstituts (DJI) mitwirkten.

Jugendliche riskieren bei Interventionen ihren sozialen Status und ihre Zugehörigkeit innerhalb der Gruppe

Die Ergebnisse zeigen, dass sich Jugendliche bei sexualisierten Übergriffen mitverantwortlich sehen und hilfreich einschreiten wollen. Gleichzeitig sind sie unsicher, wann und wie sie dies umsetzen können. Zum einen werden die Geschehnisse nicht immer als sexualisierte Gewalt erkannt. Zum anderen werden die häufig anwesenden Peers nicht immer als schützende Ressource wahrgenommen und einbezogen beziehungsweise verstehen sich selber nicht als solche. Den Analysen nach bestehen konkrete Hürden für effektives Eingreifen unter anderem darin, dass jungen Menschen beim Eingreifen unter anderem ihren sozialen Status und ihre Zugehörigkeit innerhalb der Peerbeziehungen riskieren. Um dieses Risiko zu vermeiden, wird sexualisierte Peergewalt normalisiert, verharmlost, oder aber gebilligt. Manche Jugendliche distanzieren sich auch davon. Dabei spielen soziale Abhängigkeiten und Erfahrungen mit Isolation, Ausgrenzung oder Diskriminierung eine Rolle.

Im Rahmen der Studie befragten die Forschenden pädagogische Fachkräfte aus verschiedenen Arbeitsfeldern und führten Interviews und Gruppendiskussionen mit Jugendlichen, auch mit bei diesem Thema schwer erreichbaren Gruppen, wie cis-männliche Jugendliche, sowie mit jungen Menschen mit erhöhter Vulnerabilität, wie queere Jugendliche und Jugendliche mit kognitiver Beeinträchtigung oder Behinderung. Darüber hinaus reanalysierten sie Sekundärdaten aus Vorgängerprojekten. 

Erwachsene und pädagogische Fachkräfte müssen sichere Strukturen schaffen und alternative Handlungsmodelle aufzeigen

Auf Basis der empirischen Ergebnisse entwickelten die Forschenden einen Präventionsworkshop, der sich an den Lebensrealitäten Jugendlicher orientiert. Für diesen gibt es spezifische Anpassungen an verschiedene Arbeitsfelder, beispielsweise für die Eingliederungshilfe und die stationäre Jugendhilfe, um Risikogruppen und schwer erreichbare Jugendliche einzubeziehen. Ein besonderer Schwerpunkt sind theaterpädagogische Einheiten, die es den Jugendlichen ermöglichen, sich mit den Handlungsmöglichkeiten für Bystander interaktiv auseinanderzusetzen und eigene Überzeugungen mit Gleichaltrigen zu reflektieren. 

Präventionsarbeit dürfe sich nicht auf reine Wissenserweiterung beschränken, sondern müsse auch die Handlungsfähigkeit unter sozialen Dynamiken bei Peers berücksichtigen, schreibt Dr. Rebecca Gulowski in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins DJI Impulse zum Thema „Kinderschutz“ und betont: „Jugendliche wollen bei sexualisierter Gewalt Verantwortung übernehmen und schützend eingreifen. Sie brauchen dafür Unterstützung durch Erwachsene und pädagogische Fachkräfte, die sichere Strukturen schaffen und alternative Handlungsweisen und Rollenmodelle aufzeigen“. 

Neben dem Präventionskonzept wurde ein Fortbildungscurriculum für pädagogische Fachkräfte konzipiert. Präventionsworkshops und Fortbildungen wurden in der Praxis erprobt und positiv evaluiert: Die Jugendlichen schätzten ihr Wissen über Handlungsmöglichkeiten bei sexualisierter Peergewalt nach den Workshops deutlich höher ein. Auch die Handlungssicherheit sowie das selbst eingeschätzte Wissen der Teilnehmenden hat sich signifikant erhöht. 

Für das Projekt kooperierten zwei wissenschaftliche Institute und zwei Praxiseinrichtungen: Das Deutsches Jugendinstitut, das Sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut für Geschlechterfragen Freiburg (SoFFI F.), das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) sowie die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und sexuealisierter Gewalt (DGfPI).

„Jugendliche gegen sexualisierte Gewalt wappnen“, Artikel aus DJI Impulse 01/25Online-Schwerpunkt zu DJI Impulse 1/25 „Kinder und Jugendliche wirksam schützen“Printausgabe des Forschungsmagazins DJI Impulse 1/25Gulowski, R., & Holz, M. (2024). Jugendliche gegen sexualisierte Gewalt unter Jugendlichen stark machen. Erprobung und Evaluierung des »CHAT«-Präventionsworkshops. FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung: Informationsdienst der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 1
In Kürze erscheinen:

  • Amann, S., & Marquardt, L. (2025, i.E.): Bystander-Prävention bei sexualisierter Peer-Gewalt. Das Projekt „CHAT“, FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung: Informationsdienst des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), 1, 23-28.  
  • Dinger, L., Krebs, J., Kavemann, B. & Löwenstein, H. (2025, im Erscheinen). Hürden des Eingreifens bei sexualisierter Peer-Gewalt. FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung, 1, 29–36. 


Kontakt
Dr. Rebecca Gulowski
Wiss. Referentin in der Fachgruppe „Familienhilfe und Kinderschutz“
089/62306-185
gulowski@dji.de

Uta Hofele
Abteilung Medien und Kommunikation
089/62306-446
hofele@dji.de