Vertrauen zu traumatisierten Jugendlichen aufbauen
Wie die psychische Gesundheit junger unbegleiteter Geflüchteter verbessert werden kann, beschreiben Forschende des Verbundprojekts „Better Care“ in einem Policy Brief

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Viele junge Menschen, die ohne nahestehende Bezugsperson nach Deutschland flüchten, leiden nach dem Miterleben von Krieg oder Gewalt unter Traumafolgen. Auch zwei Jahre nach Ankunft bleiben die Symptome für Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angststörungen auf hohem Niveau, wie Verlaufsanalysen des Forschungsprojekts „Better Care“ zeigen. Basierend auf den bisherigen Ergebnissen der Studie, haben Forschende der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, des Universitätsklinikums Ulm und des Deutschen Jugendinstituts (DJI) nun in einem „Policy Brief“ Empfehlungen für Politik und Praxis formuliert, wie traumatisierte junge Geflüchtete besser unterstützt werden können.
In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekt wurde in den Jahren 2019 bis 2024 untersucht, ob psychisch belastete junge Geflüchtete in einem gestuften Versorgungsmodell wirkungsvoller und besser unterstützt werden können als mit bestehenden Angeboten. Dafür befragten die Wissenschaftler:innen mehr als 600 unbegleitete junge Geflüchteten, die vor allem in stationären Wohngruppen der Jugendhilfe leben, zu ihren Belastungen und schätzten sie anhand von Screeninginstrumenten ein. 120 von ihnen wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren mehrmals befragt – auch zu ihrer sozialen Teilhabe, zu Faktoren im Aufnahmeland und zur Kultur in ihrer Wohngruppe. Zur Implementierung des gestuften Versorgungsmodells wurden die Mitarbeitenden der beteiligten Wohngruppen in Fokusgruppen befragt. Außerdem führten die DJI-Forschenden eine bundesweite Befragung von 247 Mitarbeitenden in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu ihren Erfahrungen mit psychisch belasteten jungen Geflüchteten sowie über die Zusammenarbeit mit ambulanten und stationären Versorgungseinrichtungen durch.
Auf die psychische Gesundheit der jungen Geflüchteten wirken sich der Studie nach nicht nur traumatisierende Erlebnisse im Heimatland oder auf der Flucht aus, sondern auch soziale Stressauslöser im Aufnahmeland, insbesondere Diskriminierungserfahrungen, Einsamkeit und Langeweile sowie Ängste in Bezug auf den Aufenthaltsstatus. Neben diesen Postmigrationsstressoren spielen die Mitarbeitenden in den Wohngruppen, die Art der Unterbringung und weitere Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle. Um schwere und chronische Verläufe zu vermeiden, benötigen die jungen Geflüchteten demnach nicht nur psychotherapeutische Behandlung, sondern auch Unterstützung im nahen Umfeld.
Wichtige Stellschraube: Die Mitarbeitenden in den Jugendhilfeeinrichtungen
Die Ergebnisse zeigen, dass die Mitarbeitenden in den Wohngruppen für die jungen Geflüchteten meist einer der wenigen und verlässlichen Anlaufstellen bei psychischen Problemen und wichtig für die Vermittlung in Psychotherapien sind. Trotz hilfreicher Strategien im Umgang mit psychisch belasteten Jugendlichen und Kontakten zu Kliniken und Therapeut:innen fehle es an Versorgungsansätzen, an denen sich die Einrichtungen orientieren können. Zwar hätten viele jahrelange Erfahrung in der Betreuung junger Geflüchteter, doch erschwerten die hohe Personalfluktuation und unbesetzte Stellen den Vertrauensaufbau zu den jungen Menschen und führe zu Wissensverlusten im Team. Die Forschenden betonen vor diesem Hintergrund die bedeutende Rolle der Mitarbeitenden als Stellschraube für die psychosoziale Versorgung junger Geflüchteter und empfehlen Politik und Fachpraxis, diese durch bessere Vergütung und familienfreundlichere Arbeitszeitgestaltung in den Einrichtungen zu binden.
Wissen ausbauen und Kooperation zwischen Hilfesystemen verbessern
Darüber hinaus regen die Forschenden an, neben umfangreichen Fortbildungen über Traumafolgestörungen und deren Behandlungsmöglichkeiten niedrigschwellige Informationszugänge für Mitarbeitende einzurichten, beispielsweise über regionale Netzwerke und Podcasts. Für eine gute Kommunikation zwischen den beiden Hilfesystemen sei außerdem ein Wissenstransfer essentiell, der sicherstellt, dass sich auch Therapeut:innen mit den Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe auskennen. Nicht zuletzt erfordere eine erfolgreiche Behandlung psychischer Erkrankungen bei jungen Geflüchteten ein hohes Maß an Flexibilität auf individueller Ebene, beispielsweise bei der Begleitung zu Therapiesitzungen, aber auch bei der Termingestaltung.
Die Qualität des Wohnumfelds ist für die psychische Gesundheit entscheidend
Das Wohnumfeld beeinflusst die psychische Gesundheit der jungen Geflüchteten vor allem dann positiv, wenn sie vorrangig mit anderen jungen Geflüchteten zusammenleben, wenn sie Sensibilität für ihre Bedürfnisse erfahren, wenn die räumliche Ausstattung angemessen ist, wenn die Arbeitsbelastung der Betreuer:innen nicht zu hoch ist und wenn eine offene, vertraute Atmosphäre herrscht, schreiben die Forschendem in ihrem „Policy Brief“. Sie halten deshalb Mindeststandards zur Unterbringung und Versorgung, die auch in Krisenzeiten gelten, für notwendig sowie eine Erhöhung der Investitionen in die räumliche und personelle Ausstattung der Jugendhilfeeinrichtungen.
Bestehende Barrieren für eine schnelle und wirksame Versorgung abbauen
Bei der Implementierung des gestuften Versorgungsansatzes zeigte sich: Selbst wenn Unterstützungsangebote erfolgreich vermittelt, finanziert und von geschulten Sprachmittler:innen begleitet werden, bleiben Barrieren für die erfolgreiche Umsetzung bestehen, etwa Ängste der Jugendhilfemitarbeitenden, die jungen Geflüchteten durch die Thematisierung der psychischen Belastungen zusätzlich zu destabilisieren. Zudem würden Schichtdienste und Zeitmangel es erschweren, sich mit den jungen Geflüchteten auszutauschen, auf ernsthafte psychische Probleme zu reagieren und zu einer Therapie zu motivieren. Aber auch strukturelle Hürden wie lange Anfahrtszeiten und die fehlende Verfügbarkeit eines Bezugsbetreuenden zur Begleitung stehen einer schnellen und wirksamen Versorgung entgegen. Diese Ergebnisse unterstreichen die große Bedeutung einer tragfähigen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Jugendlichen und Jugendhilfemitarbeitenden, schreiben die Forschenden.
Policy Brief „Verbesserung der psychischen Gesundheit von unbegleiteten jungen Geflüchteten in der Jugendhilfe“ Verbundprojekt „BETTER CARE“
Kontakt
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Fachgruppe „Familienhilfe und Kinderschutz“
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