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Fördert die Nutzung non-formaler Bildungsangebote die berufliche Zielorientierung von Haupt- und Real-Schüler/innen am Ende der Schulzeit?
Fördert die Nutzung non-formaler Bildungsangebote die berufliche Zielorientierung von Haupt- und Real-Schüler/innen am Ende der Schulzeit?
Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF)/Leibniz-Institut für Bildungsverläufe Bamberg/digital "9. GEBF Tagung." 10.03.2022
Die Entwicklung einer beruflichen Perspektive ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe im Jugendalter und gleichzeitig eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung des Übergangs in Ausbildung und Beruf. Jugendliche in nicht-gymnasialen Bildungsgängen haben häufiger Probleme, diesen Übergang zu bewältigen. Non-formale Bildungsangebote in Form von organisierten Freizeitaktivitäten können hier unterstützendes Potential entfalten. Zahlreiche Studien belegen positive Entwicklungseffekte durch eine regelmäßige, langfristige und vielfältige Aktivitätsnutzung im Kindes- und Jugendalter (im Überblick: Farb & Matjasko, 2012). Non-formale Freizeitaktivitäten können u.a. durch die Motivation, sich herausfordernde Ziele in der Aktivität zu setzen, die Zielerreichung und Prioritätensetzung fördern (Larson, 2000) sowie Bildungswege und weiterführende Bildungsaspiration positiv beeinflussen (Farb & Matjasko, 2012). Außerschulisches Engagement gilt darüber hinaus als wichtige Entscheidungshilfe für konkrete Ausbildungsgänge (Düx et al., 2008). Eine berufliche Perspektive ist in der jugendlichen Entwicklung als langfristiges Ziel zu verstehen, welches den Lebensverlauf strukturiert und dem Handeln Orientierung verleiht. Unterstützende Merkmale in der Verfolgung beruflicher Ziele sind u.a. Fortschritt und Entschlossenheit in der Zielverfolgung, günstige Realisierungsbedingungen sowie eine zielbezogene Selbstwirksamkeitserwartung (Maier et al., 2019). In der Übergangsforschung wird die Entwicklung einer beruflichen Perspektive als unterstützende Determinante für den Übergang in Ausbildung betrachtet (Fink, 2011). Sie ist besonders relevant für den Übergangserfolg von Jugendlichen in niedrigen und mittleren Bildungsgängen (Haase et al., 2008). Bislang fehlt es an Studien, die den Zusammenhang zwischen der Nutzung non-formaler Bildungsangebote und der Entwicklung einer beruflichen Zielorientierung spezifisch untersuchen. In Sekundäranalysen fanden sich erste Hinweise darauf, dass die Nutzung kultureller und sportlicher Angebote in der Schulzeit die berufliche Zielorientierung und den Übergang in Ausbildung und Beruf fördern können (Hemming & Reißig, 2015; Hemming et al., 2020). Daran anknüpfend fokussiert der Beitrag auf der Grundlage des Ressourcenmodells der Lebensbewältigung (Fend et al., 2009) den Übergang in Ausbildung und Beruf als jugendaltersspezifische Entwicklungsaufgabe, die einerseits von verschiedenen Ressourcen (Merkmale der Zielverfolgung) und sozialen Hintergrundmerkmalen (Migrationshintergrund und Kapitalformen; Bourdieu 1983) sowie andererseits von Determinanten des Freizeitengagements beeinflusst wird. Folgende Frage steht im Zentrum: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Indikatoren non-formalen Freizeitengagements von Jugendlichen in nicht-gymnasialen Bildungsgängen im Verlauf der Schulzeit und der Entwicklung einer beruflichen Zielorientierung am Ende der Schulzeit? Es werden Befunde einer quantitativen Fragebogenstudie präsentiert (n=1,547), die im letzten Pflichtschuljahr (9./10. Klasse, Schuljahr 2019/20) in nicht-gymnasialen Bildungsgängen in Sachsen und Sachsen-Anhalt durchgeführt wurde. Non-formale Freizeitangebote, die die Jugendlichen im Verlauf ihrer Schulzeit genutzt haben, wurden darin retrospektiv über ein Kalendarium erhoben. Als Aktivitätsdeterminanten werden Aktivitätsquote und -anzahl, Leistungsorientierung sowie Ausübung eines Amtes im Rahmen der Aktivität berücksichtigt. Die berufliche Zielorientierung wird über die Dimensionen Realisierbarkeit und Entschlossenheit in der Zielverfolgung sowie Zielfortschritt und zielbezogene Selbstwirksamkeitserwartung erfasst. Als Kontrollvariablen werden soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital in der Familie sowie ergänzende Hintergrundmerkmale einbezogen. Für alle vier Aktivitätsdeterminanten zeigen sich signifikante Haupteffekte auf die Zieldimensionen (MANOVA): Organisierte Freizeitaktivität im Verlauf der Schulzeit (η²=0.04), eine höhere Anzahl an Aktivitäten (η²=0.03) sowie Leistungsorientierung der Aktivität (η²=0.01) und Übernahme eines Amtes (η²=0.04) gehen jeweils mit höheren Ausprägungen in den untersuchten Zieldimensionen einher. Die Effekte lassen sich auch in multiplen Regressionsmodellen (AV: Zieldimensionen, UV: Aktivitätsdeterminanten) unter Kontrolle von Kapitalvariablen und Hintergrundmerkmalen her-ausarbeiten. Die Ausübung eines (Ehren-)amtes in der Freizeitaktivität leistet dabei den stärksten Erklärungsbeitrag für die Dimensionen der Zielerreichung, gefolgt von der Ausübung mindestens einer Freizeitaktivität im Verlauf der Schulzeit. Die Anzahl der ausgeübten Aktivitäten hat eine geringere Erklärungskraft, die Leistungsorientierung leistet keinen signifikanten Beitrag in den Regressionsmodellen. Durch die retrospektive Erfassung der Nutzung organisierter Freizeitangebote können die Ergebnisse quasi als gerichtete Zusammenhänge interpretiert werden. Die Befunde verdeutlichen die Relevanz non-formaler Bildungsangebote für die Entwick-lung einer beruflichen Zielorientierung von Jugendlichen in nicht-gymnasialen Bildungsgängen und werden vor dem Hintergrund einer selektiven Angebotsnutzung und damit verbundener Konsequenzen für die non-formale Bildungslandschaft diskutiert. Literatur Bourdieu, P. (1983). Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In R. Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten (S. 183–198). Göttingen: Schwartz. Düx, W., Prein, G., Sass, E. & Tully, C.J. (2008). Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement. Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter. Wiesbaden: VS. Farb, A. F., & Matjasko, J. L. (2012). Recent advances in research on school-based extracurricular activities and adolescent development. Developmental Review, 32(1), 1–48. Fend, H., Berger, F. & Grob, U. (2009). 1527 „Lebensgeschichten“ von der späten Kindheit ins Erwachsenenalter. In H. Fend, F. Berger & U. Grob (Hrsg.), Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück. Ergebnisse der LifE-Studie (S. 9-34). Wiesbaden: VS.