Erschwerter Start ins Erwachsenenleben
Junge Menschen, die in Pflegefamilien oder Wohngruppen aufwachsen, fühlen sich für den Weg in die Zukunft weniger gut gerüstet als Gleichaltrige, die bei ihren leiblichen Eltern leben, zeigen erste Ergebnisse der CLS-Studie
Beim Weg in die berufliche und persönliche Zukunft können junge Erwachsene, die in Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe wie Pflegefamilien oder Wohngruppen aufgewachsen sind, nicht mit jener alltäglichen sozialen und finanziellen Unterstützung rechnen, die bei anderen jungen Menschen meist ganz selbstverständlich die Eltern übernehmen. Wie sich dies in der kritischen Lebensphase des Verlassens der Kinder- und Jugendhilfe (Leaving Care) auf ihre Teilhabechancen in verschiedenen Lebensbereichen auswirkt, untersucht die Langzeitstudie „Care Leaver Statistics“ (CLS), an der Forschende des Deutschen Jugendinstituts (DJI) mitwirken. Die Ergebnisse der ersten Befragungswelle wurden nun in dem Buch „Teilhabe und Zukunftswünsche" veröffentlicht.
Im Umgang mit Geld sammeln Care Leaver:innen wenig Erfahrung
Nachteile für Care-Leaver:innen zeigen sich der CLS-Studie nach zum Beispiel bei den finanziellen Ressourcen, bei denen Nebenjobs eine wichtige Rolle spielen: Lediglich knapp jede:r fünfte befragte (angehende) Care Leaver:in geht einem Nebenjob nach (18 Prozent) während durchschnittlich 42 Prozent der 16-Jährigen und 51 Prozent der 17-Jährigen ohne Jugendhilfeerfahrung einen solchen haben. Dies beeinflusst wiederrum, inwiefern junge Menschen sich in verschiedenen Lebensbereichen wie etwa Wohnen, Ausbildung, Studium und Freizeit verwirklichen und damit teilhaben können, schreiben Sibel Dönmez, Martina Pokoj, Dr. Eric van Santen und Dr. Mike Seckinger im Forschungsmagazin DJI Impulse.
(Angehende) Care Leaver:innen bilden laut der CLS-Studie zudem seltener finanzielle Rücklagen als ihre Peers. Hinsichtlich der Vorbereitung auf den Auszug aus den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zeigen die Forschungsergebnisse, dass die befragten jungen Menschen sich zwar überwiegend gut auf die alltägliche Haushaltsführung vorbereitet fühlen, weniger gut bewerten sie jedoch ihre Kompetenzen in Hinblick auf den Umgang mit Finanzen oder Behörden sowie auf den Auszug.
Erste Auswertungen zur Resilienz der jungen Menschen weisen darüber hinaus nach, dass die Befragten seltener als Gleichaltrige ohne Jugendhilfeerfahrung das Gefühl haben, mit dem Leben oder mit Herausforderungen klarzukommen, auch wenn es schwierig wird. Dabei reduzieren sich die Werte nochmals deutlich bei künftigen Care Leaver:innen in belasteten Konstellationen – zum Beispiel bei denen, die sich an ihrem aktuellen Wohnort nicht zu Hause fühlen.
„Gerade beim Übergang vom Hilfesystem in das Erwachsenenleben besteht ein besonderes Risiko, dass Benachteiligungen und damit verbundene Teilhabeeinschränkungen sich addieren und für Care-Leaver:innen zu einer immer schwierigeren Lebenssituation führen“, schreiben die Autor:innen in ihrem Beitrag.
Ein Sechstel der jungen Menschen sieht sich bei der Freizeitgestaltung im Vorteil
Gleichzeitig machen die ersten Ergebnisse der CLS-Studie deutlich, dass bei angehenden Care Leaver:innen ein positiver Ausblick auf die Zeit nach der Jugendhilfe überwiegt und sie die stationäre Unterbringung zum Teil durchaus auch mit positiven Aspekten verbinden. So sehen beispielsweise 71 Prozent bei ihren Möglichkeiten der Freizeitgestaltung keine Unterschiede zu Gleichaltrigen. 16 Prozent der Befragten sehen sich hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung sogar im Vorteil gegenüber denjenigen, die bei den leiblichen Eltern aufwachsen. Gleichzeitig fühlt sich ein etwas geringerer Anteil der jungen Menschen (13 Prozent) durchaus benachteiligt und begründet dies mit geringeren finanziellen Mitteln, mehr Aufgaben im Haushalt, strengeren Regeln, weniger Bekannten, fehlender Unterstützung und manchmal auch mit erlebten Stigmatisierungen.
Der Aufbruch in die Selbstständigkeit muss länger vorbereitet und begleitet werden
Die negativen Einflüsse der stationären Unterbringung sind jedoch nicht unausweichlich, sondern können beschränkt oder gar unterbunden werden, betonen die DJI-Wissenschaftler:innen. Die Studienergebnisse weisen darauf hin, dass es wichtig wäre, insbesondere durch mehr Beteiligung und soziale Unterstützung der jungen Menschen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe deren Ressourcen und Handlungsbefähigung zu stärken. Die Forschenden empfehlen zudem, (mehr) Zeit für eine Übergangsgestaltung einzuplanen, etwa durch eine bedarfsgerechte Fortsetzung der Hilfen für junge Volljährige nach § 41 des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII). Darüber hinaus fordern sie, mehr Spielräume zu schaffen und Möglichkeiten des Scheiterns einzubeziehen.
Das Verbundprojekt CLS-Studie
Die CLS-Studie ist die erste Langzeitstudie in Deutschland zur Teilhabe von Jugendlichen, die die stationäre Kinder- und Jugendhilfe verlassen: Über sieben Jahre hinweg werden jährlich bis zu 1.430 junge Menschen befragt, die bei den ersten Befragungen in den Jahren 2023 und 2024 zwischen 16 und 19 Jahre alt waren. Kooperationspartner des DJI sind das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik an der Universität Hildesheim, die Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung in Bremen (GISS) und die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen in Frankfurt (IGfH). Finanziert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ).
DJI-Impulse-Artikel „Erschwerter Start ins Erwachsenenleben“, Ausgabe 1/25, S. 52„Teilhabe und Zukunftswünsche, Ergebnisse der ersten Befragungswelle der CLS-Studie“, erschienen im Verlag Beltz JuventaVerbundprojekt „Care Leaver Statistics“
Kontakt
Sibel Dönmez
Wiss. Mitarbeiterin der CLS-Studie
089/62306-432
doenmez@dji.de
Uta Hofele
Abteilung Medien und Kommunikation
089/62306-446
hofele@dji.de