DJI Kolloquium online
Kinderwunsch oder nicht? Paarkongruenz bei Kinderwunsch und Partnerschaftsübergängen in Deutschland
Wie beeinflusst der Kinderwunsch den Verlauf von Paarbeziehungen – und wann wird es besonders relevant, ob beide Partner denselben Wunsch teilen? Dieser Vortrag untersucht, wie Übereinstimmung oder Uneinigkeit in kurzfristigem Kinderwunschabsichten zentrale Beziehungsübergänge, wie das Zusammenziehen, Heiraten, eine Trennung oder den Übergang zur Elternschaft, beeinflussen. Die Analyse basiert auf 14 Wellen des Beziehungs- und Familienpanels (pairfam, 2008–2022; N = 3.384 Paare), in denen wir Paare in verschiedenen Partnerschaftsformen mithilfe von Multistate-Modellen über die Zeit hinweg verfolgen.
Die Ergebnisse zeigen: Vor dem Zusammenleben ist der Kinderwunsch, und seine Übereinstimmung weniger Ausdruck konkreter Familienplanungen als vielmehr ein Signal für langfristige Beziehungsorientierung. Teilen beide Partner, den Wunsch, ein Kind zu bekommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, einen gemeinsamen Haushalt zu gründen. In nichtehelichen Lebensgemeinschaften und Ehen verschiebt sich der Stellenwert des Kinderwunsches – hier wird Kongruenz entscheidend für die Stabilität der Partnerschaft: Geteilte Ziele wirken stabilisierend, während Differenzen, insbesondere wenn nur die Frau ein Kind möchte, das Trennungsrisiko erhöhen.
Diese Muster verweisen auf geschlechtsspezifische Normen zum Timing von Familiengründung, Sorgearbeit und Beziehungsdynamik. Sie machen zugleich deutlich, dass Kinderwunsch mehr als eine Absicht zur Familiengründung ist und sich die Bedeutung von Konvergenz und Divergenz im Beziehungsverlauf verändert. Unsere Befunde stützen damit theoretische Ansätze, die Fertilitätsentscheidungen als Bestandteil partnerschaftlicher Aushandlung verstehen – jenseits rein biologischer Voraussetzungen oder struktureller Zwänge. Während viele Erklärungen für sinkende Geburtenzahlen auf makroökonomische Rahmenbedingungen verweisen, zeigen wir, dass bereits das frühe Zusammenspiel von Kommunikation, Interpretation und geteilten Absichten entscheidende Weichen für spätere Übergänge stellt. Wer heutige Fertilitätsverläufe verstehen will, muss daher den Blick auf den Beginn von Beziehungen richten – dorthin, wo Bindung, Zukunft und Elternschaft erstmals verhandelt werden.
Studie in Zusammenarbeit mit: Nathan Robbins (MPIDR, Forschungsgruppe Geschlechterungleichheiten und Fertilität), Angela Carollo (MPIDR), Rannveig K. Hart (University of Oslo
Referentin:
Nicole Hiekel leitet die Max-Planck-Forschungsgruppe „Geschlechterungleichheiten und Fertilität“ am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock. Die Forschungsgruppe untersucht, wie sich gesellschaftlicher Wandel in Familie und Partnerschaft auf das Zusammenspiel von Geschlecht, geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und Entscheidungen rund um Elternschaft und Familiengründung auswirkt.