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Alleine oder gemeinsam? Rechtsvorstellungen in der Trennungs- und Erziehungsberatung

Evcil, Sevda/Paulus, Mareike (2022):
Alleine oder gemeinsam? Rechtsvorstellungen in der Trennungs- und Erziehungsberatung.
In: Neue Praxis
Jahrg.: 52, H. 6, S. 552-569

Seit der Kindschaftsrechtsreform 1998 wurde die gemeinsame Sorge für Kinder nach Trennung und Scheidung zum Regelfall. Dadurch nahmen unter anderem Streitigkeiten vor dem Familiengericht über die Ausübung der gemeinsamen Sorge zu. Der Gesetzgeber reagierte darauf durch ein stärkeres Hinwirken auf Einvernehmen der Eltern, beispielsweise durch die Anordnung oder Anregung einer Beratung (§ 156 FamFG). Außerdem wurde versucht zu definieren, was Angelegenheiten des täglichen Lebens sind, welche ein Elternteil allein entscheiden kann, und welche Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für das Kind und damit abstimmungsbedürftig sind (§1687 Abs.1 S.3 BGB). In der Praxis der Trennungs- und Scheidungsberatung sowie der Erziehungsberatung ist diese Unterscheidung jedoch oft unklar. Es fehlt außerdem Wissen, inwieweit Beratungsfachkräfte diese rechtliche Unterscheidung aufgreifen und inwieweit sie im Beratungsprozess eine Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund werden in diesem Artikel Ergebnisse aus fünf Fokusgruppen mit Fachkräften aus Beratungsstellen der Trennungs- und Erziehungsberatung sowie einer Fokusgruppe mit anwaltlichen Mediatorinnen präsentiert. Im Fokus stehen dabei das rechtliche Wissen der Fachkräfte sowie Strategien der Beratungsarbeit in Bezug auf die Unterscheidung zwischen Alltagsangelegenheiten und Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind. Es war grundsätzlich ein starkes Hinwirken auf eine einvernehmliche Lösung erkennbar, die Beratungskräfte versuchten dabei jedoch für eine „Akzeptanz der Verschiedenheit“ bei den Eltern zu werben.