Kinder und Jugendliche aus armutsgefährdeten Familien sind in allen Lebensbereichen benachteiligt

Wie sehr in Deutschland die materielle Situation der Familie über die Chancen von Kindern entscheidet, zeigt der von DJI-Forschenden erstellte UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2025

© UNICEF/Annette Etges

12. November 2025 -

Wenngleich Deutschland zu den wohlhabendsten Ländern der Welt gehört, wächst bundesweit fast jedes zehnte Kind unter 18 Jahren mit erheblichen materiellen und sozialen Entbehrungen auf. Das entspricht rund 1,3 Millionen Kindern und Jugendlichen, bei denen grundlegende Bedürfnisse nicht gestillt werden, da beispielsweise ein zweites Paar ordentliche Schuhe fehlt, eine einwöchige Urlaubsreise im Jahr nicht bezahlt oder die Wohnung nicht ausreichend beheizt werden kann. In Deutschland leben damit relativ viele Kinder und Jugendliche in armutsgefährdeten Familien – sowohl im Vergleich zu wirtschaftlich starken Ländern wie Finnland oder Norwegen als auch im Vergleich zu wirtschaftlich schwächeren wie Slowenien oder Portugal. Dieses zentrale Ergebnis des neu erschienenen UNICEF-Berichts zur Lage der Kinder in Deutschland 2025 ist besonders alarmierend, weil sich Armut auf alle Lebensbereiche betroffener Kinder und Jugendlicher negativ auswirkt. 

Der 155-seitige Bericht, der im Auftrag von UNICEF Deutschland von Forschenden des Deutschen Jugendinstituts (DJI) erstellt wurde, liefert umfassende empirische Ergebnisse und Analysen zu sechs zentralen Dimensionen des kindlichen Wohlbefindens: materielle Situation, Bildung, soziale Beziehungen, sicheres Aufwachsen und Risiken, Gesundheit sowie subjektives Wohlbefinden. „Die Befunde machen deutlich, wie sich Armut auf wirklich alle Lebensbereiche von Kindern nachteilig auswirkt“, sagte Prof. Dr. Sabine Walper auf der Bundespressekonferenz am 12. November 2025 in Berlin. Sie hat den Bericht als DJI- Direktorin und Herausgeberin begleitet. „Die negativen Folgen von Armutslagen zeigen sich in den Bildungschancen, der Gesundheit, der gesellschaftlichen Teilhabe und selbst in den sozialen Beziehungen. Umso wichtiger ist es, Strukturen so zu reformieren, dass alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft faire Chancen auf ein gutes Aufwachsen haben.“

Georg Graf Waldersee, Vorsitzender von UNICEF Deutschland, sagte bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse: „In Deutschland bewegt sich zu wenig für Kinder. Eine gute Kindheit darf nicht nur ein hehres Bekenntnis bleiben. Die neue Bundesregierung steht in der Verantwortung, deutlich mehr für Kinder zu tun. Wer den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Deutschlands Zukunft sichern will, muss jetzt gezielt in Kinder investieren – insbesondere in diejenigen, die von Armut, Ausgrenzung oder fehlenden Chancen betroffen sind.”

Betroffenen Kindern fehlen Rückzugsorte und sie sind weniger aktiv als Gleichaltrige 

Auswirkungen von Armutslagen zeigen sich dem Bericht zufolge an der angespannten Wohnsituation der betroffenen Familien: 44 Prozent der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen leben in Wohnungen, in denen individuelle Rückzugs- und Lernräume fehlen – fast dreimal so viele wie Gleichaltrige ohne Armutsgefährdung (15 Prozent). Erhebliche finanzielle Einschränkungen wirken sich aber auch auf die Gestaltung der Freizeitaktivitäten aus: Nur gut die Hälfte der betroffenen Kinder treibt regelmäßig Sport, nur ein Drittel liest regelmäßig Bücher und nur 42 Prozent treffen sich regelmäßig mit Freund:innen. Gleichaltrige aus besser gestellten Familien sind deutlich aktiver und nutzen zudem universell zugängliche Angebote wie Sportstätten, Bolzplätze und auch Ferienfreizeiten häufiger.

Große soziale Unterschiede bei Lese- und Medienkompetenzen sowie Bildungszielen

Der UNICEF-Bericht verweist darauf, dass ein beträchtlicher Anteil von Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend gefördert wird: 41 Prozent der Achtklässler:innen verfügen lediglich über rudimentäre Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien. Ein Viertel aller 15-Jährigen in Deutschland gilt zudem als besonders leseschwach. In beiden Bereichen zeigen sich dem Bericht zufolge große soziale Unterschiede. So liegt der Anteil der besonders leseschwachen 15-Jährigen, die Eltern mit einem niedrigen sozioökonomischen Hintergrund haben, sogar bei 39 Prozent. Und während 80 Prozent der 9- bis 17-Jährigen aus finanziell unbelasteten Haushalten das Abitur anstreben, trifft das auf lediglich gut die Hälfte (56 Prozent) der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen dieser Altersgruppe zu. 

Materiell benachteiligte Jugendliche erleben häufig Mobbing 

Bundesweit erleben im Durchschnitt 9 Prozent der 12- bis 17-Jährigen mindestens ein bis zwei Mal pro Monat Mobbing, wobei insbesondere digitale Beleidigungen und Angriffe eine große Rolle spielen. Am stärksten betroffen sind wiederum Jugendliche aus materiell deprivierten Haushalten: Sie erfahren ungefähr doppelt so häufig (Cyber-)Mobbing wie Gleichaltrige aus bessergestellten Familien. Die Folgen sind den Daten zufolge erheblich: Jugendliche, die gemobbt wurden, zeigen deutliche Anzeichen von Rückzugsverhalten und sozialer Isolation bis hin zu depressiven Stimmungen. 

Belastungen beeinträchtigen die Gesundheit der Kinder

„Die Belastungen in den verschiedenen Lebensbereichen wirken sich nachweislich negativ auf das psychische Wohlbefinden und die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus und führen zu einer systematischen Einschränkung ihrer Zukunftschancen“, warnt DJI-Forschungsdirektorin Prof. Dr. Susanne Kuger.

Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden laut dem Bericht unter gesundheitlichen Beschwerden: 40 Prozent der 11- bis 15-Jährigen berichten demnach von wöchentlich mehrfachen oder sogar täglichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Schlafproblemen. Dieser Wert ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich angestiegen, am stärksten seit der Covid-19-Pandemie. Und auch hier zeigt sich: Jugendliche aus materiell benachteiligten Verhältnissen sind stärker betroffen.

Auch ihr psychisches Wohlbefinden bewerten junge Menschen in Deutschland eher negativ: Die Werte für 11- bis 15-Jährige liegen zwischen 51 und 67 Punkten von insgesamt 100 Punkten, ein – wie in vielen anderen europäischen Ländern – bedenklich geringer Wert. Am schlechtesten fällt die Beurteilung des psychischen Wohlbefindens bei finanziell benachteiligten Mädchen aus. Deutschland ist neben Portugal, Lettland, Ungarn und Österreich eines der wenigen europäischen Länder, in denen sich der Zusammenhang zwischen Armut und psychischem Wohlbefinden so stark zeigt.

Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2025

Seit dem Jahr 2006 bündelt UNICEF mit seinen Berichten zur Lage der Kinder in Deutschland die wichtigsten verfügbaren Erkenntnisse über das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. In diesem Jahr wurde der Bericht durch Forschende des Deutschen Jugendinstituts (DJI) erarbeitet. Grundlage bilden unter anderem Daten und Analysen des DJI-Surveys „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A), der „EU-Statistik zu Einkommen und Lebensbedingungen“ (EU-SILC), der Kinder- und Jugendgesundheitsstudie „Health Behavior in School-aged Children“ (HBSC) der Weltgesundheitsorganisation WHO sowie der Schulleistungsvergleichsstudie PISA.

Kinder und Jugendliche bringen sich in beratender Funktion ein

Dem Grundgedanken der UN-Kinderrechtskonvention folgend, konnten Kinder und Jugendliche bei dem aktuellen Bericht stärker als bisher Einfluss nehmen. Sie wurden bereits in der Konzeptionsphase beteiligt, nämlich bei Entscheidungen über die thematische Ausrichtung des Berichts und bei der Auswahl seiner zentralen Indikatoren. Zudem wurden die Analysen des Projektteams durch Diskussionen mit Jugendlichen in einem Workshop validiert.

Video-Interview mit DJI-Forschungsdirektorin Prof. Dr. Susanne Kuger[1]

UNICEF-Bericht 2025 „Eine Perspektive für jedes Kind“, Anhang zur Datengrundlage und Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse und Handlungsempfehlungen von UNICEF[2]

UNICEF-Pressemitteilung “Weiterhin zu viele Kinder ohne Perspektive” vom 12.11.25[3]

Phoenix-Mitschnitt der Vorstellung des Berichts auf der Bundespressekonferenz, 12.11.25[4]

“Kinderarmut immer noch auf hohem Niveau”, Tagesschau 12.11.25[5]

“Eine Million Kinder wächst laut Unicef deutschlandweit in Armut auf”, ZEIT-Online 12.11.25[6]

“Grundbedürfnisse von mehr als einer Million Kindern nicht gedeckt”, SPIEGEL-Online 12.11.25[7]

Kontakt
Prof. Dr. Susanne Kuger
DJI-Forschungsdirektorin
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kuger@dji.de

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Abteilung Medien und Kommunikation 
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Abteilung Medien und Kommunikation
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