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Empirisches Design zur Erfassung von Lehr- und Lernprozessen in der Kultur der Digitalität und erste Ergebnisse

Gerleigner, Susanne/Eichmann, Veronika/Franz, Fabian
Empirisches Design zur Erfassung von Lehr- und Lernprozessen in der Kultur der Digitalität und erste Ergebnisse.
DGS-Sektion „Bildung und Erziehung“ Online "Online-Tagung der DGS-Sektion Bildung und Erziehung." 19.11.2021
Die Entwicklung eines Forschungsdesigns zur empirischen Erfassung eventueller Effekte von Lehr- und Lernprozessen unter den Bedingungen der Kultur der Digitalität steht vor der Herausforderung, nicht nur querschnittliche Zusammenhänge zwischen Bildungsressourcen, Sozialisations- und Erziehungspraktiken der Elternhäuser und dem Schulerfolg der Kinder herzustellen, sondern darüberhinausgehend auch schulische Lehr- und Lernprozesse zu berücksichtigen. Dementsprechend ist das Projekt DCG als längsschnittliches mixed-methods Interventionsprojekt an Schulen angelegt. In einem Modellprojekt in zehn dritten Klassen an zwei Münchner Grundschulen werden für einen Zeitraum von sechs Monaten veränderte Lehr- und Lernprozesse im Lese- und Literaturunterricht erprobt und sowohl durch qualitative als auch quantitative Forschung begleitet. In einem quasi-experimentellen prä-post-follow up-Design mit zwei unterschiedlichen Treatment- und einer Kontrollgruppe werden a) Effekte veränderter Lehr-/Lernprozesse gemäß der der Kultur der Digitalität mit analogen Medien und b) Effekte veränderter Lehr-/Lernprozesse mit digitalen Medien untersucht. Dabei leiten uns drei zentrale Fragen: 1) Verändern sich durch an der (digitalen) Lebenswelt der Kinder orientierte, selbstgesteuerte handelnd-gestalterische Lernprozesse Beteiligungsstrategien von Schüler*innen? 2) Können Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg durch Lehr- und Lernprozesse in der Kultur der Digitalität aufgebrochen oder abgemildert werden? 3) Ändern sich durch eine veränderte Lernkultur auch mediale Praktiken außerhalb der Schule? Hierfür werden einerseits qualitative Methoden zur Erfassung von Interaktionsverhalten (Schüler*innen-Lehrer*innen-Interaktion, Peer-Kommunikation), Beteiligungsstrategien und Lernstrategien der Schüler*innen im Umgang mit multimodalen Texten auf digitalen Medien eingesetzt. Zu verschiedenen Zeitpunkten werden Videografien im Unterricht der Treatmentgruppen durchgeführt. Dabei werden Daten z.B. zur Häufigkeit der Initiierung von Interaktionen sowie deren Dauer und Form erhoben und ausgewertet. Andererseits werden quantitative Längsschnittmethoden zur Bestimmung von Effekten veränderter Lehr-/Lernprozesse auf den Bildungserfolg und das freizeitliche Mediennutzungsverhalten der Schüler*innen in Abhängigkeit der sozialen Herkunft angewendet. Hierfür werden zu mehreren Messzeitpunkten u.a. die Lesekompetenz der Schüler*innen mit standardisierten Tests gemessen und Aspekte der Lesemotivation, des Selbstkonzepts sowie der medialen Praktiken außerhalb der Schule in standardisierten Befragungen der Schüler*innen erhoben. Ergänzend erfolgen standardisierte Befragungen der Eltern zum familiären Hintergrund sowie zur Lese- und digital-medialen Sozialisation. Die Auswertung erfolgt mittels Längsschnittanalysen auf Basis von Regressionsmodellen. Die geplante Stichprobe umfasst N≈350 Schüler*innen in voraussichtlich 15 Klassen (je fünf Klassen pro Treatment-/Kontrollgruppe). Die sorgfältige Erarbeitung der durchzuführenden Interventionen, ein Pre-Test zum Ausloten wesentlicher Aspekte des Experimentaldesigns (z.B. etwaige Wiederholungseffekte bei Lesekompetenztests) und nicht zuletzt die Verschränkung unterschiedlicher methodischer Zugänge birgt großes Aufklärungspotenzial. Mit der Erprobung unterschiedlich ausgestalteter Lehr- und Lernprozesse wird sowohl die Untersuchung von Beteiligungsstrategien der Schüler*innen ermöglicht als auch die Quantifizierung eventueller Kausalzusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Abhängigkeit von schulischen Lehr- und Lernprozessen und unter Berücksichtigung von Mediatoren (z.B. Lesesozialisation). Dabei wird Bildungserfolg nicht ausschließlich an der Weiterentwicklung kognitiver Fähigkeiten gemessen, sondern gemäß dem aktuellen Forschungsstand (z.B. Goy et al., 2017) auch hinsichtlich möglicher Veränderungen im Leseselbstkonzept, der Lesemotivation oder Beteiligungsstrategien im Unterricht betrachtet. Der Beitrag zeigt zum einen auf, wie veränderte Settings in einem quasi-experimentellen Design empirisch erforscht werden können, zum anderen werden erste Ergebnisse der Videoanalysen mit Blick auf Beteiligungsstrategien innerhalb veränderter Lehr- und Lernprozesse vorgestellt.