Offen für alle? Personalgewinnung in der Frühen Bildung

In den Kindertageseinrichtungen können offene Stellen kaum mehr besetzt werden. Mit welchen Strategien die Bundesländer dem Fachkräftemangel begegnen und welche Risiken diese bergen.

Von Kirsten Fuchs-Rechlin[1]

Das Ringen um Fachkräfte begleitet das Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen bereits seit zwei Jahrzehnten: Es begann mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr und dem damit verbundenen Krippenausbau. In den letzten Jahren jedoch, spätestens seit Beginn der Coronapandemie, scheint es sich zu einer regelrechten Fachkräftekrise entwickelt zu haben. Konnte das Arbeitsfeld zu Beginn seines Ausbaus noch Personal aus der sogenannten stillen Reserve des Arbeitsmarktes rekrutieren, ist diese mittlerweile vollständig ausgeschöpft. Im Jahr 2022 waren gerade einmal 8.024 Erzieher:innen arbeitslos gemeldet, während es gleichzeitig 13.045 offene Stellen gab (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023). Aufgrund dessen wurde der Erzieher:innenberuf von der Bundesagentur für Arbeit als Engpassberuf eingestuft. Dieser Engpass zeigt sich in der Praxis darin, dass offene Stellen nicht mehr ohne Weiteres besetzt werden können (Wenger u.a. 2022). Hinzu kommen die geradezu dramatisch gestiegenen Krankenstände beim in den Einrichtungen tätigen pädagogischen Personal (AOK Rheinland/Hamburg 2023, IKK Südwest 2023). In Politik und Fachwelt wurde eine Vielzahl von Strategien und Maßnahmen zur Gewinnung von Kita-Personal diskutiert, die allerdings häufig nur partiell zur Umsetzung kamen, temporär oder lokal (Fuchs-Rechlin/Gessler/Hartwich 2022). Zwei Strategien jedoch lassen sich in allen Bundesländern beobachten: der Aus- und Umbau der Erzieher:innenausbildung an Fachschulen sowie die Öffnung der sogenannten Fachkräftekataloge und damit des Berufszugangs zur Kita.

Vergütete Ausbildungsmodelle sollen mehr Interesse erzeugen

Die Fachschulen für Sozialpädagogik sind in den vergangenen 15 Jahren teils massiv ausgebaut worden (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023). Dies wurde begleitet von umfassenden Reformen, die darauf abzielten, die Attraktivität der Ausbildung zu steigern, neue Zielgruppen zu erschließen und die Schüler:innen früher, idealerweise schon während der Ausbildung, in der Praxis einzusetzen. So wurden zum einen neue Ausbildungsformate eingeführt, die sich vom klassischen vollzeitschulischen Modell dadurch unterscheiden, dass sie eine Vergütung ermöglichen. Hierzu zählen die praxisintegrierte, vergütete Ausbildung – zum Beispiel PiA in Bayern und Baden-Württemberg oder PivA in Hessen – und die berufsbegleitende Ausbildung. Solche Ausbildungsformate gibt es mittlerweile in allen Bundesländern, wobei die ostdeutschen eher auf die berufsbegleitende, die westdeutschen eher auf die praxisintegrierte, vergütete Ausbildung setzen (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023). In einzelnen Ländern absolvieren mittlerweile mehr als die Hälfte der Schüler:innen eines dieser beiden Ausbildungsformate.

Die Zugänge zur Fachschule wurden für neue Zielgruppen geöffnet.

Zum anderen wurden die Zugänge zur Fachschule für neue Zielgruppen geöffnet. Wesentliche Stellschraube ist hier die „berufliche Vorbildung“, die nachgewiesen werden muss, um eine Fachschule besuchen zu dürfen. Während laut Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 2000 noch eine fachlich einschlägige Berufsausbildung als Zugangsvoraussetzung zur Fachschule zumindest gefordert (wenngleich nicht immer konsequent umgesetzt) wurde, können neuerdings auch fachfremde Berufsausbildungen, eine Hochschulzugangsberechtigung oder berufspraktische Erfahrungen akzeptiert werden (KMK 2020). So ist die Zahl der Bundesländer, die eine fachlich nicht einschlägige Ausbildung oder eine fachlich einschlägige Berufstätigkeit als „berufliche Vorbildung“ akzeptieren, in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen (Fuchs-Rechlin/Rauschenbach 2021). Damit wurden zwar formale Qualifikationsstandards aufrechterhalten. Doch der Status der Erzieher:innenausbildung als „unechte“ Fachschulausbildung (Janssen 2010, S. 12) – gegenüber etwa Meister- und Technikerschulen, die eine fachlich einschlägige Berufsausbildung nach wie vor voraussetzen – wurde damit zementiert.

Wer als Fachkraft gilt, ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt

Ähnliche Strategien der Öffnung wie in der Ausbildung sind auch im Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen zu beobachten. Eine besondere Rolle für eine Beschäftigung in Kitas spielt die Anerkennung als Fachkraft nach § 72 des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII). Sie entscheidet nicht nur über die Position innerhalb der Einrichtung, sondern auch über das Einkommen. Erwartungsgemäß erhalten deutschlandweit die klassischen Berufsgruppen, also Erzieher:innen und Sozialpädagog:innen, eine solche Fachkraftanerkennung, wie eine Recherche der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte[2] im Jahr 2022 zeigte. Aber schon die Kindheits- und die Heilpädagog:innen, die ebenso wie Erzieher:innen auf Niveaustufe 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens für Lebenslanges Lernen (DQR) eingestuft sind, werden nur in 14 Bundesländern als Fachkräfte anerkannt – teils mit weiteren Voraussetzungen. Die Assistenzberufe (Kinderpflege und Sozialassistenz), und damit Ausbildungen auf DQR-Niveau 4, gelten wiederum in sieben Bundesländern als Fachkraftberufe.

Gleichzeitig lässt sich in allen Bundesländern eine Öffnung gegenüber fachnahen (oder verwandten) Disziplinen beobachten. Hierzu zählen beispielsweise Sonder-, Musik-, Theater- und Kunst- sowie Religions- und Gemeindepädagogik. Auch die Gesundheits- und Therapieberufe finden mittlerweile
breite Anerkennung: Sieben Bundesländer akzeptieren Gesundheits- und Krankenpfleger:innen sowie Personal aus Ergotherapie und Logopädie als Fachkräfte. Öffnungstendenzen zeigen sich schließlich in sechs Bundesländern auch für fachfremde Berufsgruppen. Teilweise ist die Fachkraftanerkennung an bestimmte Voraussetzungen geknüpft: Die betroffene Person muss etwa eine Nachqualifizierung absolvieren oder berufliche Vorerfahrungen vorweisen. Über alle Bundesländer hinweg scheint die Anerkennungspraxis jedoch keiner spezifischen Logik zu folgen. So werden in einigen Ländern fachlich einschlägige Berufsgruppen nicht anerkannt, wohingegen fachfremde Berufsgruppen eine Anerkennung erhalten – und umgekehrt.

Der Großteil des Kita-Personals ist nach wie vor gut ausgebildet

Anstatt Zugänge zum Arbeitsfeld Kita auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus zu ermöglichen und somit möglichst viele Zielgruppen anzusprechen, wurde bei der Fachkräftegewinnung vor allem auf die Erzieher:innen-Ausbildung gesetzt. Das hat die Fachschulen an ihre Kapazitätsgrenzen gebracht: Eine Befragung von Schulleiter: innen zeigt, dass in 47 Prozent der Fachschulen Lehrkräfte und in 52 Prozent Räume fehlen (Mende/Fuchs-Rechlin 2022). Zugleich hat der Ausbau der Fachschulen dazu geführt, dass das formale Qualifikationsniveau in Kitas trotz Expansion vergleichsweise stabil geblieben ist. Nach wie vor stellen Erzieher:innen das Kernpersonal in der Frühen Bildung dar. Zusammen mit den einschlägig ausgebildeten Akademiker:innen sind immerhin 73 Prozent des Personals in Kitas auf DQR-Niveau 6 qualifiziert – das sind lediglich zwei Prozentpunkte weniger als zu Beginn des Platzausbaus für unter Dreijährige (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023). Das Qualifikationsgefüge scheint in der deutschlandweiten Betrachtung also erstaunlich robust. Befürchtungen einer systematischen Dequalifizierung des Personals haben sich – zumindest bislang – nicht bewahrheitet. Allerdings sind die regionalen Unterschiede enorm: Während in Bayern lediglich gut 50 Prozent des pädagogischen Personals und des Leitungspersonals auf DQR-Niveau 6 sind, haben in Thüringen mehr als 90 Prozent eine solch hohe Qualifikation.

Der Anteil der Quereinsteigenden variiert stark – und könnte noch wachsen

Auch in Hinblick auf Quereinsteigende kann insofern Entwarnung gegeben werden, als der Anteil dieser Gruppe am gesamten pädagogischen Personal in den vergangenen 15 Jahren lediglich um einen Prozentpunkt auf knapp 5 Prozent gestiegen ist (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023). Aber auch hier offenbart der Blick in die einzelnen Bundesländer eine enorme Spannbreite: Während etwa in Baden-Württemberg und Hamburg bereits mehr als 8 Prozent des pädagogisch tätigen Personals fachfremd qualifiziert sind, liegt der Anteil in Ostdeutschland (ohne Berlin) und in einigen westdeutschen Ländern mit 2 bis 3 Prozent deutlich niedriger. Berücksichtigt man allerdings, dass viele Bundesländer erst in den letzten zwei bis drei Jahren die Zugänge für Quereinsteigende zum Arbeitsfeld der Frühen Bildung geöffnet haben und Effekte erst mit gewissem zeitlichem Abstand sichtbar werden, ist bundesweit mit weiteren Zuwächsen zu rechnen.

Völlig unzureichend geklärt ist bislang die Frage, wie Quereinstiege zu begleiten sind.

Empirische Befunde zeigen, dass die spezifische fachliche Ausbildung eine wichtige Voraussetzung für die Qualität der pädagogischen Arbeit ist. So sinkt beispielsweise in heterogenen Teams die Arbeitszufriedenheit des einschlägig qualifizierten Personals, und der Einsatz fachfremden Personals korreliert mit einer niedrigen Prozessqualität (Fröhlich-Gildhoff/Weltzien/Strohmer 2021). Insofern
ist die Entwicklung der breiten Öffnung für fachfremde Berufsgruppen kritisch zu betrachten. Der „fachfremden Qualifikation“ ist also aus Qualitätsgesichtspunkten zukünftig verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken. Gleichwohl wird angesichts des aktuellen Personalbedarfs deutlich, dass Quereinstiege das Fachkräfteproblem in der Frühen Bildung zwar nicht lösen, aber doch eine wichtige Stellschraube darstellen, die den Trägern von Kindertageseinrichtungen zumindest Spielräume eröffnet. Völlig unzureichend geklärt ist allerdings bislang die Frage, wie Quereinstiege zu begleiten sind, etwa im Rahmen von Fort- und Weiterbildung, von Einarbeitungsmodellen, von Teamentwicklung oder Fachberatung. Kurzum: Zum Nulltarif sind Quereinstiege nicht zu haben – zumindest dann nicht, wenn die Qualität der Bildung, Betreuung und Erziehung erhalten werden soll.

 

AOK Rheinland/Hamburg (2023): Krankenstand bei Kita-Beschäftigten um 30 Prozent gestiegen. Pressemitteilung vom 25.09.2023

Autorengruppe Fachkräftebarometer (2023): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2023. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. Bielefeld

Fröhlich-Gildhoff, Klaus / Weltzien, Dörte / Strohmer, Janina (2021): Unterstützungspotenziale für multiprofessionelle Teams in Kindertageseinrichtungen. Frühe Bildung, 10. Jg., H. 1, S. 4–15

Fuchs-Rechlin, Kirsten / Gessler, Angélique / Hartwich, Pascal (2022): Quantitative Bedarfe decken – Qualität sichern: Fachkräftebindung in der Frühen Bildung. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit, 53. Jg., H. 2, S. 34–44

Fuchs-Rechlin, Kirsten / Rauschenbach, Thomas (2021): Erzieher*innen – ein Qualifikationsprofil in der Zwickmühle. Seitenwege, Irrwege, Auswege. In: Bildung und Erziehung, 74. Jg., H. 2, S. 200–218

IKK Südwest (2023): Erziehungsberufe seit Jahresbeginn am häufigsten krank.
Pressemitteilung vom 29.03.2023

Janssen, Rolf (2010): Die Ausbildung Frühpädagogischer Fachkräfte an Berufsfachschulen und Fachschulen. Eine Analyse im Ländervergleich. Wiff Studien, Bd. 1. München

KMK – Sekretariat Der Ständigen Konferenz Der Kultusminister Der Länder In Der Bundesrepublik Deutschland (2020): Rahmenlehrplan für die Fachschule für Sozialpädagogik. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.06.2020. Berlin

Mende, Sonja / Fuchs-Rechlin, Kirsten (2022): „Dauerbaustelle“ Erzieher:innenausbildung. Strukturen, Ausbildungsformate und Entwicklungen an Fachschulen für Sozialpädagogik. WiFF Studien, Bd. 35. München

Wenger, Felix u.a. (2022): HF-03 Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte. In: Klinkhammer, Nicole u.a. (Hrsg.): ERiK-Forschungsbericht II. Befunde des indikatorengestützten Monitorings zum KiQuTG. Bielefeld, S. 189–204


Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2024 von DJI Impulse „Die Fachkräftelücke - Perspektiven und Lösungsansätze für die Kinder- und Jugendhilfe“ (Download PDF[3]).

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