Wissenschaftliche Begleitung der Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland
Phase 3
Die dritte Projektphase diente dazu, ein Fazit über den gesamten Umsetzungsprozess der EU-Jugendstrategie in Deutschland zu ziehen. Es wurde analysiert, welche strukturellen und inhaltlichen Ergebnisse der Umsetzungsprozess in Deutschland hervorbrachte, und welche Faktoren das Entstehen dieser Ergebnisse beeinflusst haben. Dabei wurde ein Paradox zwischen der subjektiven Wahrnehmung der Akteure und den sichtbaren Ergebnissen festgestellt und analysiert. Weiterhin wurden mit „Transfer deutscher Themen auf die europäische Ebene“ und „kommunale Verankerung europäischer Jugendpolitik in Deutschland“ zwei Themenbereiche in den Fokus genommen, die sich mit der Frage von ebenenübergreifender Zusammenarbeit als grundlegende Voraussetzung für erfolgreiche Politikgestaltung, beschäftigen.
Strukturelle Ergebnisse
Die Kooperation zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland kann rückblickend in drei Phasen gegliedert werden (die Umsetzungsphasen unterscheiden sich zeitlich von den Projektphasen):
Während der ersten Phase des Umsetzungsprozesses (2010 bis ca. 2013), lag der Fokus zunächst auf dem Finden einer gemeinsamen Konzeption für die Umsetzung sowie der Koordination und dem Finden von Arbeitsverfahren zwischen den Akteuren. Diese Phase kennzeichnete sich durch besonderes Engagement der Akteure hinsichtlich der Etablierung und Gestaltung eines gemeinsamen Prozesses.
In der zweiten Phase des Umsetzungsprozesses (ca. 2013 bis ca. 2016), stand die thematische Umsetzung im Mittelpunkt. Dabei gestaltete sich die Umsetzung der EU-Jugendstrategie weniger durch eine gemeinsame Aktion aller Akteure, sondern untergliederte sich mehrheitlich in eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen und individuellen Aktivitäten.
Schließlich wurde der Prozess in der dritten Phase (ca. 2017 bis 2018) beendet. In dieser Phase war kaum noch gemeinsame Koordination des Umsetzungsprozesses zu beobachten. Gremiensitzungen waren letztlich von einem reinen Austausch über Projekte geprägt. Die beteiligten Akteure bezogen sich – insbesondere auch was eine weitere Umsetzung der EU-Jugendstrategie 2019-2027 betraf – auf formale Positionen zurück.
In der Analyse dieser drei Umsetzungsphasen wurde ein Governance-basiertes Erklärungsmodell erarbeitet, warum es zur Zusammenarbeit in einem Governanceprozess gekommen ist und welche Ausweichstrategien diese Zusammenarbeit beeinflusst haben. Unter Ausweichstrategien wurden solche Strategien zusammengefasst, die gefahren wurden, um bei den gegebenen Strukturen und Bedingungen aus dem Prozess auszusteigen, die Zusammenarbeit zu blockieren oder zu verändern (vgl. Hofmann- van de Poll/Pelzer, im Veröffentlichungsprozess). Resultierend aus diesen Entwicklungen verringerte sich die Bedeutung der Umsetzung der EU-Jugendstrategie bei vielen Akteuren in Deutschland.
Inhaltliche Umsetzungsergebnisse
Es wurde eine Kategorisierung erarbeitet, die die Bandbreite der Ergebnisse, die durch die EU-Jugendstrategie in Deutschland hervorgebracht wurden, zeigt.
Diese Kategorien sind:
- Ausgestaltung: Hierunter werden Maßnahmen verstanden, die konkret zur Umsetzung der EU-JS ergriffen wurden (bspw. Broschüren, Stellen für europäische Jugendpolitik, Veranstaltungen, Projekte).
- Räume: Hierunter werden Orte gefasst, die als Umfeld für eine Diskussion über die EU-Jugendstrategie und europäische Jugendpolitik im Allgemeinen dienten (bspw. Gremien zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie).
- Verständigung: Die beteiligten Akteure haben sich auf Definitionen und Begriffe geeinigt, die europäische Jugendpolitik betreffend (bspw. Europäische Dimension).
- Impulse: Hierunter werden Entwicklungen verstanden, die angestoßen wurden, aber nicht zwangsweise zu konkreten Maßnahmen führten (bspw. der Impuls, stärker ressortübergreifend zu arbeiten).
Paradox
In der Analyse der Daten, zeichnete sich im Verlauf ein Paradox ab, welches zwischen der systematischen Ergebniskategorisierung und der individuellen Wahrnehmung relevanter beteiligter Akteure bestand. Trotz der Vielzahl an unterschiedlichen Ergebnissen, die über die Evaluation des Projektes sichtbar wurden, bestand ein subjektives Gefühl der beteiligten Akteure, dass es kaum Ergebnisse aus acht Jahren gemeinsamen Umsetzungsprozesses gab. Aus den vorliegenden Daten wurden Einflüsse extrahiert, die in der Wahrnehmung der Akteure zu diesem Paradox beigetragen haben.
Die Analyse ergab ein Zusammenspiel folgender Einflüsse:
- Die Themen Umsetzung EU-Jugendstrategie und Europa im Allgemeinen haben eine untergeordnete Relevanz.
- Aufgrund dessen gab es häufige Personalwechsel, was zu einer negativen Auswirkung auf die Zusammenarbeit der Akteure im Umsetzungsprozess führte (Wissen geht verloren, dadurch mangelnder Austausch).
- Dadurch kam es zur subjektiven Wahrnehmung der beteiligten Akteure, dass durch den gemeinsamen Umsetzungsprozess kaum sichtbare Ergebnisse hervorgebracht wurden. Dies führte zu Legitimationsdruck auf Seiten der beteiligten Akteure
Diese Einflüsse zeigten aus Sicht der Akteure, dass das individuelle Engagement der Beteiligten grundsätzlich erkannt und gewürdigt wurde. Die Analyse ergab, dass gleichzeitig aber strukturelle Bedingungen dazu führen können, dass die Ergebnisse des Prozesses kaum wahrgenommen wurden.
Hieraus ergaben sich für die Zusammenarbeit der Akteure unterschiedliche Spanungsfelder:
- Selbstverpflichtung vs. Zuständigkeit
- Ressourcen vs. Räume
- Eigeninteressen vs. Zielsetzung
- Freiraum vs. Ergebnisorientierung
Um die Ergebnisse eines Governance-Prozesses, wie es die Umsetzung der EU-Jugendstrategie 2010 bis 2018 war, sichtbarer zu machen, braucht es eine Balance zwischen diesen Spannungsfeldern.
Transfer deutscher Themen auf europäische Ebene
Ein wichtiger Grundgedanke bei der Einführung der EU-Jugendstrategie war es, nicht nur in den Mitgliedstaaten europäische jugendpolitische Themen zu stärken, sondern auch Themen der Mitgliedsstaaten an die europäische Ebene rückzukoppeln. Aus diesem Grund wurde in der bilanzierenden Analyse ein weiterer Fokus darauf gelegt, über welche Wege ein Transfer deutscher Themen auf europäischer Ebene stattgefunden hat. Ausgangspunkt der Analyse war auch hier der Governance-Ansatz, der der Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland zugrunde lag. Demnach waren es nicht nur staatliche Akteure, sondern auch nicht-staatliche Akteure, die für den Umsetzungsprozess – und somit auch für den Transfer deutscher Themen auf europäischer Ebene – Verantwortung trugen. Die Analyse hat gezeigt, dass sowohl die Akteure und als auch die Wege einen starken Einfluss darauf hatten, wie erfolgreich deutsche Themen auf europäischer jugendpolitischer Ebene platziert werden konnten (vgl. Hofmann-van de Poll/Keilberth/Pelzer, im Veröffentlichungsprozess).
Kommunale Verankerung europäischer Jugendpolitik
in Deutschland
Nicht nur der Transfer von Themen aus Deutschland auf die europäische Ebene spielte für die ebenenübergreifende Zusammenarbeit eine Rolle, sondern auch die Verankerung von Themen europäischer Jugendpolitik in Deutschland. Die Datenanalyse ergab, dass trotz einer Kooperation im Sinne des Governance-Ansatzes, die Akteure der Umsetzung der EU-Jugendstrategie bei ihrem Handeln zur Verankerung von Themen europäischer Jugendpolitik von hierarchischen/top-down Denkmustern geprägt waren. Die Verankerung europäischer Jugendpolitik auf den verschiedenen Ebenen, insbesondere der kommunale Ebene wurde durch diese Denkmuster, verstärkt von strukturellen Herausforderungen, erschwert. Beispiele dieser Herausforderungen sind jugendpolitische Zuständigkeiten, ausgedünnte Strukturen, Fachkräftemangel und die Relevanz europäischer Jugendpolitik in Deutschland. Eines der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung war es, dass eine erfolgreichere Verankerung europäischer Jugendpolitik nur dann gelingen kann, wenn die kommunale Ebene sich – über die bundeszentralen Spitzenverbände hinaus – hinsichtlich europäischer Jugendpolitik und einer Europäischen Dimension in der deutschen Kinder- und Jugendhilfe aktiver aufstellt. Gleichzeitig obliegt Akteuren der anderen Ebenen die Verantwortung, die kommunale Ebene stärker als bisher einzubeziehen (vgl. Pelzer/Hofmann-van de Poll, im Veröffentlichungsprozess).