Pflegekinderhilfe
Foster Care Service
Kooperationsprojekt des DJI mit dem DIJuF zum Pflegekinderbereich
Entwicklungen in der Pflegekinderhilfe
Abnehmende Aufmerksamkeit, zunehmende Anforderungen
In einer aktuellen Übersichtsarbeit zeichnet Blandow<footnote>Blandow, Pflegekinder und ihre Familien. Geschichte, Situation und Perspektiven des Pflegkinderwesens, 2004.</footnote> die Geschichte der Organisationsformen und sozialpädagogischen Handlungsorientierungen im Pflegekinderwesen nach. Dabei überschreibt er die Phase nach dem DJI-Projekt „Beratung im Pflegekinderwesen“ Anfang der 1980er Jahre mit dem Titel „Entdeckung der Herkunftsfamilie“. Die damalige Forschung war u.a. Ausgangspunkt für die Kontroverse, ob es sich bei der Pflegefamilie um eine „Ersatz- oder Ergänzungsfamilie“ handelt bzw. handeln soll. Für die 1990er Jahre stellt Blandow fest, dass das Pflegekinderwesen in den Hintergrund sozialpädagogisch-fachlicher Aufmerksamkeit tritt. Als Gründe sieht er den Ausbau eines Systems familienorientierter ambulanter und teilstationärer Hilfen, eine reformierte Heimerziehung und angespannte öffentliche Haushalte.<footnote>Vgl. Blandow, Pflegekinder und ihre Familien (Fn. 33), S. 60 f.</footnote>Gleichzeitig steigt jedoch die Zahl jener Kinder und Jugendlichen in den Familienpflegeformen. Ursache ist zum einen, dass sich die Betreuung von Kindern, Jugendlichen und deren Familien durch die örtlich vorhandenen ambulanten Hilfen häufig als nicht ausreichend erweist, und zum anderen, dass für Kinder und Jugendliche, deren Gefährdungsgrad, Schädigungen oder Behinderungen eine Fremdplatzierung unumgänglich machen, in zunehmendem Maße eine familiäre Betreuungsform als einzig geeignete Hilfeform erkannt worden ist.
Diese gegenläufige Entwicklung von abnehmender wissenschaftlicher Aufmerksamkeit und zunehmenden Fallzahlen legt die Vermutung nahe, dass die Vollzeitpflege die Anforderungen des SGB VIII an eine Hilfe zur Erziehung sowie Sozialräumlichkeit und Milieunähe der Hilfe bislang nur unzureichend erfüllt. Im Hinblick auf die Belastungen der Kinder und Jugendlichen erfordert die Betreuung zudem ein eher professionelles als gutmeinendes elterlich-fürsorgliches Verhalten der Pflegepersonen (und deren Familienmitgliedern).
Die Anforderungen haben auch dadurch zugenommen, weil die Herkunftsfamilien bzw. teilweise auch die Pflegekinder mehr Wert auf den Kontakterhalt und dessen Sicherung legen. Die Auseinandersetzung und Konfrontation mit dieser gewandelten Anspruchshaltung wird von den Pflegefamilien insbesondere dann als schwere Belastung wahrgenommen, wenn sie sich (vielfach verdeckt) eher für eine von der Herkunftsfamilie ungestörte Betreuung des Pflegekindes – vergleichbar mit einem Adoptionsverhältnis – entschieden haben.
Qualifizierungsdefizite
Die Jugendhilfe reagierte auf das sich verändernde Anforderungsprofil an Pflegefamilien und die fachliche Begleitung aller Beteiligten am erweiterten Familiensystem, den Kindern, Jugendlichen, Eltern und Pflegepersonen, bislang recht uneinheitlich. Zwar gibt es bundesrechtliche Vorgaben aus dem BGB und SGB VIII und handlungsleitende Konzeptionen auf Landes- und kommunaler Ebene, in der Praxis zeigt sich jedoch zwischenzeitlich eine gewisse Beliebigkeit in der örtlichen Ausgestaltung der Qualität der Pflegekinderarbeit sowie in den Handlungsorientierungen der Fachkräfte, etwa im Hinblick auf Umgangskontakte und Rückführungen:<footnote>Hoch/Lüscher, Familie im Recht. Eine sozialökologische Zugangsweise, 2002.</footnote>
- In der Arbeit mit den Pflegepersonen findet sich diese Uneinheitlichkeit sowohl im Hinblick auf Formen der Einwerbung und Auswahl von Pflegepersonen bzw. -familien, deren Vorbereitung, Fortbildung und fachlichen Begleitung, als auch im Hinblick auf ihren Einbezug in Entscheidungs- und Hilfeplanprozesse.<footnote>Diese Beliebigkeit drückt sich z. B. in örtlich sehr unterschiedlichen Schlüsselzahlgrößen zwischen 1:25 und 1:100 aus, wie auch in der Umfang und Qualität der Auswahl-, Vorbereitungs- und Begleitungsprozesse oder auch in den Angeboten von Fortbildung, Gruppenarbeit und Supervision für Pflegepersonen, deren Beteiligung an den Hilfeplanprozessen und nicht zuletzt an der Qualität der begleitenden Elternarbeit.</footnote>
- Ein erster Blick auf Art und Umfang der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an den Hilfeprozessen sowie die Beziehungsgestaltung der Fachkräfte im ASD und in den Pflegekinderdiensten zu den Kinder und Jugendlichen zeigt signifikante örtliche Unterschiede und lässt keine einheitlichen Qualitätsstandards erkennen.<footnote>Erkenntnisse aus Praxiskontakten während der DJI-Projekte zur Bereitschaftspflege 1998 - 2001.</footnote>
- Gleiche Feststellungen lassen sich in der höchst uneinheitlichen Praxis bei der Einbeziehung der Herkunftseltern treffen.<footnote>Erkenntnisse aus Praxiskontakten während der DJI-Projekte zur Bereitschaftspflege 1998 - 2001.</footnote>
- Auch lässt sich eine gewisse Beliebigkeit bei der Auswahl der Form der Fremdplatzierung erkennen. In einem Teil der Kommunen ist eine Zunahme der „weniger arbeitsaufwändigen“ Heimunterbringungen auszumachen. Dies wird umso verständlicher, als an einigen Orten – im Rahmen von Regionalisierungs- bzw. Einsparungsbemühungen – unter dem Slogan „Alles aus einer Hand“ Entwicklungen in Richtung „Entspezialisierung der Pflegekinderdienste“ zu verzeichnen sind, d.h. die Pflegekinderarbeit wird zusätzlich den Fachkräften im ASD aufgelastet.
In einer Reihe weiterer Kommunen ist demgegenüber eine erkennbare Qualitätszunahme in der Pflegekinderarbeit zu verzeichnen. Antworten auf die neuen Anforderungen werden hier u. a. in einer Ausdifferenzierung bzw. einer Neudefinition des Pflegekinderbereichs gesehen:
- Beispielsweise wird dem Pflegekinderdienst auch die Betreuung der Herkunftsfamilie zugeordnet, im Sinne eines systemischen Beratungsauftrags gegenüber dem durch die Inpflegegabe entstandenen „erweiterten Familiensystem“.
- In anderen Jugendamtsbezirken wird aus inhaltlich-organisatorischen Überlegungen heraus die Bereitschaftspflege als eine familiale Form der Krisenintervention bzw. als Clearingsstelle im Auftrag des ASD verstanden und die Tagespflege wird – ihrem Auftrag entsprechend – nicht mehr dem Bereich der Pflegekinderhilfe, sondern dem der Tagesbetreuung zugeordnet.
- Gegebenenfalls werden Adoptionen vom Pflegekinderdienst abgetrennt, so dass als Kern der örtlichen Pflegekinderarbeit die Betreuung der in § 33 SGB VIII genannten drei Familienpflegeformen verbleibt, die Kurzzeitpflege, die zeitlich begrenzte Vollzeitpflege und die auf Dauer angelegte Vollzeitpflege.