Vollerhebung von Fallmerkmalen aller Pflegekindschaftsverhältnisse in vier Gebietskörperschaften in Deutschland

Für eine Vollerhebung von Fallmerkmalen aller Pflegekindschaftsverhältnisse an vier Standorten wurde ein Fallerhebungsbogen entwickelt, der inhaltlich an die Fallerhebung des DJI von 1987 anknüpft und die Methodik der Erhebungen von Erzberger (2003) in Niedersachsen und von Blandow (2004) zur Verwandtenpflege berücksichtigt. Folgende inhaltliche Schwerpunkte waren enthalten:

  • Rechtliche und formale Einordnung des Pflegeverhältnisses
  • Gründe und Bedingungsfaktoren der aktuellen Fremdplatzierung
  • Sorgerechtsentzug, Zusammensetzung von Herkunfts- und Pflegefamilie
  • wirtschaftliche und soziale Situation von Herkunfts- und Pflegefamilie
  • Besuchskontakte und geplante Rückführung
  • Maßnahmen zur Verbesserung der Erziehungsfähigkeit in der Herkunftsfamilie
  • Bindungspersonen des Pflegekindes
  • Belastungen des Pflegekindes
  • Wechsel von Hauptbezugspersonen und besondere/belastende Ereignisse im Leben des Pflegekindes.

Die Fallerhebung fand mit Stichtag 30.11.2005 an den Standorten der DJI-Erhebung von 1987 Karlsruhe und Heide/Dithmarschen und an zwei vergleichbaren Orten in den neuen Bundesländern Halle/Saale und Ohre-Kreis statt. Die Ausschöpfungsquote lag bei 90 %.

Erste Ergebnisse zeigen ein komplexes Bild der deutschen Praxis der Pflegekinderhilfe:

  • Die Zahl der Pflegeverhältnisse ist in den beiden Orten, für die Vergleichszahlen zur Verfügung stehen, seit 1987 gestiegen.
  • In allen einbezogenen Orten ist die Mehrzahl der Pflegeverhältnisse auf Dauer angelegt (89 %), Rückführungen werden im Rahmen des Hilfeplanes sehr selten geplant (6,4 %).
  • Der Anteil der Verwandtenpflegverhältnisse, die dem Jugendamt bekannt sind, variiert von Ort zu Ort stark und ist in Karlsruhe und Heide/Dithmarschen von 44 % im Jahr 1987 auf 25 % im Jahr 2005 gesunken. Über Verwandtenpflegeverhältnisse, die dem Jugendamt nicht bekannt sind und in privater Verantwortung stattfinden, kann keine Aussage getroffen werden.
  • Die wirtschaftliche Situation der Herkunftsfamilien ist seit 1987 unverändert ungünstig, wobei Sozialhilfebezug bzw. ALG II überwiegen. Demgegenüber ist die berichtete wirtschaftliche Situation "Sozialhilfebezug bzw. ALG II".
  • Der Anteil der Fälle mit Sorgerechtsentzug ist zurückgegangen, liegt aber in den Orten in den neuen Bundesländern ca. 10 % höher als in den Orten in den alten Bundesländern.
  • Die Aufrechterhaltung des Kontaktes zur Herkunftsfamilie wird im Pflegeverhältnis im Rahmen der Hilfeplanung überwiegend vorgesehen (ca. 80 %). Aber nur in etwa der Hälfte der Fälle werden dann auch tatsächlich stattfindende Kontakte zur Herkunftsfamilie berichtet, wobei für leibliche Väter am seltensten Kontakte mit dem Pflegekind angegeben werden.
  • Faktoren, die zur Fremdplatzierung führten bzw. im Rahmen der Fremdplatzierung relevant waren, haben sich seit 1987 in der Häufigkeit ihrer Nennungen verändert. Hervorzuheben sind hier die Verdopplung der Nennung ‚Alleinerziehender Elternteil’ und die deutliche Zunahme der Nennung ‚Be- und Erziehungsprobleme’ von 28 % in 1987 auf 48 % in 2005.
  • Nach Einschätzung der Mitarbeiter der Pflegekinderdienste weisen 61 % der Pflegekinder mindestens einen individuellen Belastungsfaktor auf (Entwicklungsverzögerungen/ Sprachrückstand/ Schulleistungsprobleme; emotional auffällig; psychische Krankheit; körperliche Behinderung/ körperliche chronische Krankheit.

Insbesondere die Ergebnisse zu Umgang, Rückführung und Belastungen des Pflegekindes sind vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung interessant. Hier wird weiterer Forschungsbedarf deutlich, um Einflussfaktoren und Erklärungsansätze ausfindig zu machen.

Kontakt

+49 89 62306-245
Deutsches Jugendinstitut
Nockherstr. 2
81541 München

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