Neu zugewanderte Jugendliche an allgemeinbildenden Schulen
Zusatzmodul zum Übergangspanel II
Hintergrund
Seit dem Jahr 2010 stieg in Deutschland die Zahl der jährlich Zuwandernden kontinuierlich. Einen Höchststand erreichte sie in den Jahren 2015 und 2016 mit rund einer Million Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen, vor allem auch aus den Kriegsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens und aus den Ländern Afrikas. Darunter waren viele minderjährige Kinder und Jugendliche. Allein im Jahr 2015 lag der Anteil neu Zugewanderter unter 18 Jahre bei circa 20 Prozent. Wie alle für alle Kinder und Jugendliche besteht auch für schutzsuchende minderjährige Schutzsuchende in Deutschland die Schulpflicht.
Für die Bundesländer stellte die schnelle Schulintegration einer großen Zahl neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher, die zumeist kaum über weitergehende Deutschkenntnisse verfügten, eine Herausforderung dar. Das betraf den Aufbau vielerorts benötigter zusätzlicher Platzkapazitäten ebenso wie die Gestaltung pädagogischer Konzepte für und in den Schulen. In den meisten Bundesländern wurden separate Klassen neu eingerichtet, die zugewanderte Schülerinnen und Schüler auf den Unterricht in einer Regelklasse vorbereiten sollen. Diese Beschulungsform gibt es zwar bereits seit den 1960er Jahren, trotzdem gibt es für sie kaum schulrechtliche Vorgaben, etwa für die Klassengröße, die Verweildauer der Schülerinnen und Schüler in den Klassen, aber auch für die Unterrichtsinhalte und Lernziele (Brüggemann/ Nicolai 2016). Die Erfahrung zeigt, dass zwischen den Bundesländern und den Schulen erhebliche Unterschiede sowohl im Umfang als auch in Kombination von vorbereitendem und regulärem Unterricht, der Erfahrung des Kollegiums in der Arbeit mit neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen sowie an Schulen vorhandenen außerunterrichtlichen Unterstützungsangeboten gibt.
Darüber hinaus weiß man wenig darüber, mit welchem Lernerfolg die Schülerinnen und Schüler solche Vorbereitungsklassen besuchen und welche schulischen und nachschulischen Anschlussmöglichkeiten ihnen damit offenstehen. Problematisiert wird auch, dass die Separierung neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher ihre soziale Integration in die Schulgemeinschaft und damit auch ihr Ankommen in Deutschland erschwere (Karakayali u.a. 2016).
Fragestellungen
Angesichts dessen stehen im Projekt zwei Fragestellungen im Fokus. Zum einen wird untersucht, welche organisatorischen und pädagogischen Aktivitäten und Angebote zur Unterstützung neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler es an den Schulen gibt bzw. entwickelt werden?
Zum anderen wird ermittelt, wie es den Schülerinnen und Schülern gelingt, notwendige bildungs- und berufsbiografische Re-Orientierungsprozesse zu vollziehen. Letzteres ist nur der Erwerb sprachlicher und fachlicher Kompetenzen sowie schulischer Bildungsabschlüsse gemeint. Ganz in der Tradition des Forschungsschwerpunktes „Übergänge im Jugendalter“ wird auch untersucht, welche Unterstützung Jugendliche bei der Herausbildung beruflicher Orientierungen und Interessen durch die Schule erhalten. Eine wichtige Frage ist dabei, ob und wie eine solche bildungs- und berufsbiografische Neuorientierung angesichts sehr unterschiedlicher und oft auch unsicherer Bleibeperspektiven gelingt. Dass der Rechts- bzw. der Aufenthaltsstatus einen stratifizierenden Einfluss hat, zeigten beispielsweise Untersuchungen zum Schulerfolg (Söhn 2012).
Methodisches Vorgehen
Zwei aufeinander bezogene standardisierte Befragungen liefern empirische Daten: Zum einen eine im Sommer 2017 an nicht-gymnasialen Schulen in vier Bundesländern durchgeführte Online-Befragung der Schulleitungen; es beteiligten sich über 500 Schulleiterinnen und Schulleiter. Zum anderen wurde im Sommer 2018 an einem Teil dieser Schulen eine schriftliche Befragung mit aus dem Ausland kommenden Jugendlichen ab 13 Jahren durchgeführt, die seit dem Schuljahr 2015/2016 aufgenommen wurden. Fast 700 von ihnen waren bereit, Auskunft über ihren Weg nach Deutschland, ihre Erfahrungen an der Schule und ihre Wünsche und Erwartungen zu geben.
Die Erhebungen wurden durch infas Institut für angewandte Sozialwissenschaften GmbH durchgeführt. Eine weitere Befragung der Schülerinnen und Schüler ist geplant.
Die Daten des Projektes werden auch im Rahmen des Projektes „Kinder- und Jugendmigrationsreport“[2] ausgewertet.
Brüggemann, Christian/ Nicolai, Rita (2016): Das Comeback einer Organisationsform: Vorbereitungsklassen für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche. Berlin: Netzwerk Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Abruf am 6.5.2019, URL: https://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/12406.pdf[3]
Karakayali, Juliane/ zur Nieden, Birgit u.a. (2016). „Willkommensklassen“ in Berlin. Mit Segregation zur Inklusion? Eine Expertise für den Mediendienst Integration, Berlin. Abruf am 6.5.2019, URL: https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Expertise_Willkommensklassen.pdf[4].
Söhn, Janina (2012): Rechtliche Stratifikation: Der Einfluss des Rechtsstatus auf Bildungsunterschiede zwischen Migrantengruppen. In: Becker, Rolf; Solga, Heike (Hrsg.): Soziologische Bildungsforschung. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 52/2012, Wiesbaden, S. 164 -185