Workshop des DoktorandInnen-Netzwerks der Schumpeter-Forschungsgruppe „Multilokalität von Familie“
„Familie – Raum – Identität: Theoretische und empirische Zugänge nach dem Spatial Turn“
Inhalte der Arbeitsgruppen
Arbeitsgruppe I: Zur Bedeutung von Kopräsenz in Familien
Dr. Giulia Montanari (Berlin) | Anna Monz (Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V., München)
Steigende berufliche Mobilitätserwartungen und eine Digitalisierung der Arbeitswelt verändern nicht nur die Rahmenbedingungen der Arbeit, sondern auch die des Familienlebens. Die Formen der Kopräsenz in Familie und Paarbeziehung verändern und vervielfältigen sich. Es entstehen neue virtuelle (Misch-) Formen der Kopräsenz, die Grenzen zwischen An- und Abwesenheit werden brüchig.
In der Familiensoziologie wird meist davon ausgegangen, dass körperliche Kopräsenz eine konstitutive Bedingung für Familienleben ist und familiale Beziehungen durch ein gemeinsames Tun in Kopräsenz gestaltet werden. So stellt sich zunächst die Frage nach unterschiedlichen Formen körperlicher Kopräsenz sowie deren Wirkung und Funktion, am Beispiel beruflich mobiler Familien. Im Anschluss möchten wir die Frage diskutieren, inwiefern Familie als ein territoriales Konzept (Massey 2005) zu denken ist und ob der Familienbegriff daher überhaupt ohne räumliche Begrifflichkeiten auskäme. Ebenso wie die Begriffe „konjunktiver Erfahrungsraum" oder des Haushalts proklamiert der Gebrauch des Begriffs „Familie" eine spezifische Beziehung zwischen Raum und dem Sozialen, der sich u.a. eben auch in der Diskussion von An- und Abwesenheiten in Familie niederschlägt.
Ziel der Session ist es daher, implizit „räumelnde“ Konzepte der Familienforschung offenzulegen und am Beispiel des Begriffs der Kopräsenz zu zeigen, welche Perspektiven und Forschungsfragen sich bei dessen Hinterfragung eröffnen.
Arbeitsgruppe II: Familienidentitäten als sinnlich-ästhetische Räume
Petra Schmidt (Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie, LMU München ) | Tino Schlinzig (Zentrum für Qualitätsanalyse, TU Dresden)
Die Familie ist zweifelsohne eine Gruppe besonderer Art. Vor dem Hintergrund ihrer brüchig werdenden institutionellen Absicherung und dem Schwinden deutlich umrissener Handlungsorientierungen sind die in ihr eingelagerten persönlichen Beziehungen verstärkt durch Aushandlungsprozesse geprägt. Familie ist zur voraussetzungsvollen Herstellungs- und Gestaltungsaufgabe geworden. Die Familienforschung behilft sich in der Betrachtung dieser Entwicklungen unter anderem mit praxistheoretischen Überlegungen. Zentral gestellt wird die Frage danach, wie unter den veränderten Vorzeichen Gemeinschaft, Zugehörigkeit und familiale Identität hergestellt werden können und welche Herausforderungen im Alltag damit verbunden sind. Eine Antwort auf diese Frage liefert der Blick auf alltägliche und rituelle Praktiken der Akteure, die ein ‚Wir-Gefühl’ und einen gruppenbezogenen Habitus sichern sollen. Bisher vernachlässigt die Diskussion in diesem Zusammenhang weitgehend die sinnliche Dimension familialer Vergemeinschaftung. Das Panel wird sich diesem Aspekt dezidiert zuwenden und theoretisch sowie empirisch den Fokus auf die visuell-ästhetische, olfaktorische und akustische Fundierung von Familienkollektiven richten. Hierbei wird der Blick über soziologische Ansätze hinausgehend auf anthropologische und (sozial)-psychologische Zugänge gerichtet. Unter Berücksichtigung auch der räumlichen Konstitution von Familie scheint dieser Gruppenzusammenhang ein sinnlich auch über Distanzen wahrnehm- und herstellbarer zu sein, der die gemeinsame physische Anwesenheit und ihre multisensorische Vermittlung nicht zwingend voraussetzt.
Arbeitsgruppe III: Rekonstruktion familiärer multilokaler Praktiken und Räume
Dr. Kerstin Hein (Deutsches Jugendinstitut, München ) | Anna Monz (Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V., München) | Dr. Michaela Schier (Deutsches Jugendinstitut, München)
Multilokale Familien stellen Netzwerke dar, in denen persönliche Fürsorgebeziehungen über Haushaltsgrenzen hinweg gestalten werden. Die Erfassung der Herstellung von Familie (Doing Family) in multilokalen Kontexten stellt die Familienforschung vor vielfältige methodische und ethische Herausforderungen. Im Panel werden wir uns mit unterschiedlichen methodischen Zugängen beschäftigen, die eine Rekonstruktion familiärer multilokaler Praktiken und Räume ermöglichen. Dazu gehört einerseits eine ethnographische Untersuchung multilokaler familiärer Räume aus der Perspektive einer multi-sited-ethnography, in der die Beobachtung und Dokumentation der Alltagspraktiken anhand visueller Erhebungsmethoden erfolgte. Andererseits wird das sozialräumliche Netzwerkspiel dargestellt, das eine Rekonstruktion von Familienbeziehungen und Familienpraktiken unter der Berücksichtigung unterschiedlicher Raumdimensionen ermöglicht. Schließlich sollen die ethischen Implikationen einer ethnographischen Herangehensweise in privaten familiären Räumen diskutiert werden.
Arbeitsgruppe IV: Diskurse um Elternschaft, Familie und Raum
Maya Halatcheva-Trapp (Hochschule München, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften) | Dr. Giulia Montanari (Berlin)
Die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Familie und Raum“ findet nicht nur in der wis-senschaftlichen Diskussion statt, sondern auch im Alltag. Das Wissen hierüber ist vielschichtig und lässt sich anhand kommunikativ-diskursiver Praxis rekonstruieren. In dieser Session nehmen wir daher eine wissenssoziologische Perspektive ein und widmen uns der Frage nach Regelmäßigkeiten in der gesellschaftlichen Verhandlung von Familie, Elternschaft und Raum sowie ihrer empirischen Erfassbarkeit. Wir präsentieren zwei methodisch-methodologische Zugänge, die auf einem je unterschiedlichen Diskursverständnis gründen. Zum einen befassen wir uns mit der Frage, welche Redeweisen in narrativ gestalteten Gesprächen über das ‚Familienleben im Raum‘ produziert werden und wie sie sich mithilfe der Dokumentarischen Methode der Interpretation erschließen lassen. Charakteristisch für diesen Zugang ist die Herausarbeitung von Formen kommunikativer Praxis, die in Gesprächen über eine Analyse der Diskursorganisation auffindbar sind und auf milieuspezifisches Wissen verweisen. Zum anderen stellen wir einen wissenssoziologisch-diskurstheoretischen Zugang zu Familie vor. Der Fokus fällt hier auf die diskursive Konstruktion von Elternschaft in der Trennungs- und Scheidungsberatung. Mittels der Verbindung von Wissenssoziologischer Diskursanalyse (WDA) und Grounded Theory-Methodologie (GTM) wird aufgezeigt, welche Deutungsmuster im professionalen Feld der Beratung als handlungsleitend gelten und den Spezialdiskurs um Elternschaft im Kontext von Trennung oder Scheidung inhaltlich strukturieren. Dieser Zugang erfolgt über die Zusammenführung von Schlüsselkategorien aus der GTM und Deutungsmustern als analytische Kategorien in der Dis-kursforschung. Im Ergebnis wird u.a. sichtbar, dass weniger die räumliche Trennung der Eltern und vielmehr die Wirkmächtigkeit des bürgerlichen Familien- und Geschlechtermodell den untersuchten Diskurs steuert.