Multilokalität von Familie (Schumpeter-Forschungsgruppe)
Die Gestaltung von Familienleben bei räumlicher Trennung
Methode - Fortsetzung
Um lebensweltliche Praktiken und Bewertungen multilokaler Familienarrangements zu erfassen, verspricht es einen erheblichen Erkenntnisgewinn, wenn auch methodisch die spezifische räumliche Erscheinungsweise und ihre Zeitlichkeit berücksichtigt werden. In Orientierung an dem Konzept der „multi-sited ethnography“ nimmt das Design der ethnographischen Fallstudien deshalb die konzeptionell angenommenen drei typischen „raum-zeitliche Momente“ in den Blick, die den Alltag von multilokalen Familien kennzeichnen:- Moment 1: Die Gestaltung des Alltags an den „Knotenpunkten“ familialer Netzwerke - Wechsel von räumlicher Kopräsenz mit Phasen des Getrennt seins.
Wie wird der Wechsel der An- und Abwesenheiten von Familienmitgliedern bewältigt und wie gestaltet sich der konkrete Alltag an den verschiedenen Lebensorten der Familienmitglieder in Zeiten der räumlichen Kopräsenz sowie in Zeiten des Getrennt seins? Relevant ist die Bedeutung der Gestaltung des Wohnraums sowie der raum-strukturellen Rahmenbedingungen für die Alltagsgestaltung. Nachgegangen wird dem Umgang mit Mehrörtigkeit, der Bedeutung der jeweiligen Orte sowie den Praktiken des „making home“ an mehreren Wohnstandorten. Insbesondere die Art und Weise der Nutzung der körperlich-kopräsenten Zeiten ist für die Frage nach der Herstellung von Familie bedeutend.
- Moment 2: Das Unterwegssein und der Raum ‚Dazwischen‘ - Überwindung der räumlichen Distanz zwischen den Lebensorten der multilokalen Familie.
Kennzeichnend für die multilokale Lebensführung sind Momente der Mobilität. Zum einen „pendelt“ das „aktiv multilokale“ Familienmitglied – mit Unterschieden in der Frequenz (häufig/selten) und dem Rhythmus (regelmäßig/unregelmäßig) – zwischen den Haushalten hin und her. Zum anderen sind manchmal auch die „passiv multilokalen“ Familienmitglieder unterwegs, z.B. wenn sie das „aktiv multilokale“ Mitglied besuchen oder begleiten. Neben praktisch organisatorischen Fragen, z.B. welches Verkehrsmittel genutzt wird, wie die Mobilität, v.a. der Kinder, organisiert wird, in welchem Rhythmus die Reisen bzw. Fahrten zwischen den „Familienorten“ stattfinden, interessiert wie das Mobil sein jeweils empfunden wird.
Doch Mobilität bedeutet nicht einfach nur die Überwindung des Weges zwischen zwei Orten – auch vor und auf dem Wege passiert etwas (Rolshoven 2006). Es sind Reisevorbereitungen zu treffen, man ist aufgeregt oder gestresst, freut sich auf das Wiedersehen oder ist sich unsicher, was da kommt. Wird der Weg zwischen den Familienorten regelmäßig bewältigt, entstehen Routinen. Immer ist es ein Wechsel von einer „Welt“ in die andere, ein Übergang, der gestaltet werden muss. Von besonderem Interesse ist deshalb, was vor und auf dem Weg von einem Ort zum anderen geschieht sowie die Gestaltung des Wiedersehens mit bzw. des Abschieds von der (einen) Familie. - Moment 3: Die Gestaltung des „virtuellen“ Familienlebens - Aufrechterhalten und Herstellen von Familie über Entfernung.
Als dritter typischer Moment für multilokale Familienarrangements gilt die Zeit des Getrennt seins. Welche Rolle spielt der Alltag am fernen Familienort für den Alltag vor Ort? Inwiefern entstehen hier translokale Verflechtungszusammenhänge? Gefragt wird nach den Praktiken der Aufrechterhaltung und Herstellung von Familie über räumliche Distanz. Von Interesse ist insbesondere welche Rolle Kommunikationstechnologien bei der Gestaltung des „virtuellen“ Familienlebens spielen und wo die Grenzen der Herstellung von Familie auf Distanz liegen.
In beiden Studien werden folgende Methoden kombiniert genutzt: themenzentrierte erzählgenerierende Interviews mit Erwachsenen und Kindern, sozio-demographischer Kurzfragebogen (Erwachsene), (Auto)Photographie (Wuggenig 1990), sozial-räumliches Netzwerkspiel (Picot/Schröder 2007) sowie video-unterstützte mobile und lokale teilnehmende Beobachtungen.