Konzeption

Die Gestaltung und Herstellung von Familie unter Bedingungen von Multilokalität wird unter Rückgriff auf theoretische Konzepte aus der Geographie und der Soziologie untersucht: erstens das „Doing-Gender“ Konzept (West/Zimmerman 1987), zweitens das Konzept der „Alltäglichen Lebensführung“ (Voss 1991) bzw. der „Familialen Lebensführung” (Rerrich 1994, Jürgens 2001), drittens das „Family Practices“-Konzept (Morgan 1996, Smart 2006) und schließlich viertens Konzepte der handlungsorientierten Geographie (settings; Weichhart 2003, ‘locales’; Werlen 1997) bzw. der Raumsoziologie (Löw 2001). Gemeinsamer Nenner dieser Ansätze ist ihre Subjektorientierung, d.h. ihr Blick auf das Phänomen Multilokalität aus der Sicht der beteiligten Akteure in den Familien. Die Konzepte werden im Rahmen des Projektes empiriegestützt miteinander in Verbindung gebracht.

Familie wird als ein, häufig Wohnhaushalte übergreifendes, soziales Netzwerk besonderer Art verstanden. Es basiert auf Emotionen und ist um verlässliche persönliche Beziehungen zwischen unterschiedlichen Generationen und Geschlechtern zentriert. Überdies ist Familie ein kulturabhängiges, veränderbares soziales Konstrukt. Was Familie ist und wie Familienalltag gelebt wird, wer zur Familie gehört und wer nicht, das ist nicht selbstverständlich und für alle Menschen gleichbedeutend. Die beteiligten Akteure stellen Familie durch alltägliche Praktiken, im biografischen Verlauf und in permanenter Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen immer wieder neu her. Das Konzept der Herstellung von Familie (Morgan 2011, Schier/Jurczyk 2007, Schier 2011, Jurczyk et al. 2012) fokussiert auf unterschiedliche Komponenten des „Familie machens“ bzw. des „Doing Family“: Zum einen die aktive ‚Beziehungsarbeit‘, die neben dem Aufbau von emotionalen Bindungen, Nähe und Zusammengehörigkeitsgefühlen, die Definition und Vergabe von Rechten, Aufgaben und Privilegien beinhaltet. Dies umfasst unter anderem die alltägliche ‚Definition‘ wer wie zur Familie gehört und wer nicht. Zum anderen, die notwendigen alltäglichen Abstimmungsleistungen von Familienmitgliedern, sowie die Verknüpfung von Familie, Erwerbswelt und anderen Lebensbereichen. Das Augenmerk wird darauf gelenkt, wie die familialen Akteure (Mütter, Väter, Kinder, Verwandte und neue PartnerInnen) mit den Anforderungen, Chancen, Ressourcen und Restriktionen umgehen.

Die Rolle von Raum für die Alltagsgestaltung und Herstellung von Familie unter Bedingungen von Multilokalität steht im Zentrum des Interesses des Vorhabens. Es wird davon ausgegangen, dass Raum, Räumlichkeiten und räumliche Praktiken zentrale Elemente der Herstellung von Familie sind, die bislang wenig in den Blick genommen wurden. Mit der Fokussierung auf multilokale Lebensbedingungen kann dies gut sichtbar gemacht werden. Ein mehr-örtiges Wohnen stellt durch die neue raum-zeitliche Situation andere Anforderungen an die Gestaltung des Zusammenlebens von Eltern und ihren Kindern als das kontinuierliche Zusammenleben unter einem Dach, für die es in unserer Gesellschaft bisher kaum etablierte Praktiken, Routinen und Codes gibt.

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